Gewalt. Frank Rudolph
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2011 – In Sarstedt bei Hannover wurde am Neujahrstag ein 35-jähriger Mann in seinem Auto erschossen. – Die Täter warteten an einer Ampel, bis diese auf Rot schaltete. Dann näherten sie sich dem Wagen und schossen mehrfach durchs Seitenfenster.
2011 – Wegen eines Streits um die Reihenfolge in der Warteschlange vor dem Gemeinschaftsklo erschoss im November in Moskau ein Mann den Freund seines Nachbarn.
Der Stellenwert der Gewalt in der Gesellschaft
Es ist interessant zu beobachten, wie sich in der Geschichte der Stellenwert der Gewalt geändert hat, ohne dass sich indes etwas an der allgemeinen Situation geändert hätte. Das fängt im Grunde schon vor den ersten Aufzeichnungen in der Menschheitsgeschichte an. Immer war Gewalt vorhanden und wurde als Mittel zur Problemlösung akzeptiert.
Im indischen Arthashastra, das vor etwa 2300 Jahren geschrieben wurde, geht man soweit, Empfehlungen und Methoden für das Töten der Mitbewerber um die Macht auszusprechen.1 Das betraf auch die eigenen Geschwister. Das hört sich für uns sehr grausam an, gewiss. König Ashoka (ca. 304 - 232 v. Chr.), der sich mittels dieser Methode den Thron des Reiches verschaffte, bereute später seine Taten und wurde einer der friedfertigsten Herrscher der Weltgeschichte. Jedoch versäumte er es nicht, überall mittels Grenzmarken ebenso klar wie drohend darauf hinzuweisen, wo sein Einflussbereich begann.
Das Arthashastra hat viel Ähnlichkeit mit dem chinesischen strategischen Denken einiger Philosophen und Feldherren wie Sūnzǐ (ca. 545 - 470 v. Chr.) oder Cao Cao (ca. 155 - 220), der formulierte: »Betrüge lieber die Welt und die Menschen, als dass die Menschen und die Welt dich betrügen.«
Auch die berühmten 36 Strategeme (siehe Fußnote 45 auf Seite 52) lassen mitunter Menschenfreundlichkeit vermissen. Sie sind pragmatisch für die Lösung spezieller Probleme ausgelegt. Wenn ein Mensch das Problem ist, wird zur Beseitigung desselben geraten. Jedes Mittel, wenn es denn hilfreich ist, wird empfohlen. Ein alter Spruch aus Europa belegt, wie sehr ein derartiges Denken in der Vergangenheit verbreitet war. Er lautet: »Ist der Mensch die Krankheit, ist der Tod die Medizin.«
Der Athener Kleon2 sagte treffend: »Es ist unmöglich – und wer es glaubt, ist sehr einfältig –, den Menschen von den Handlungen, zu denen er sich nun einmal von der Natur getrieben fühlt, durch den Druck der Gesetze oder durch andere Schreckmittel abzubringen.«
Die griechische Schwerathletik und die römische Gladiatur waren alles andere als zimperlich. Der Tod wurde in der Antike immer in Kauf genommen. Bei der Gladiatur war er Teil des Wesens dieser Spiele. Es wurde erwartet, dass ein schlechter Kämpfer mit seinem Blut bezahle. Unterliegen durfte er durchaus ungestraft, wenn er nur tapfer war. Aber wehe ihm, er verstand es nicht, sich zu wehren. Die Römer waren in diesem Punkt sehr entschieden.
Die ritterlichen Zweikämpfe des Mittelalters waren in der Anfangszeit nicht viel friedfertiger als die Gladiatur. Zwar war der Tod von einem der Kämpfer nicht unbedingt beabsichtigt, aber wenn er umkam, dann wurde das gleichmütig in Kauf genommen. Die Krieger des Mittelalters wurden von der Kirche gebremst, aber nur dann, wenn sie ihre Kampfkraft zum eigenen Vergnügen oder zum Schaden der Kurie verschwendeten. Ging es gegen äußere Feinde, besonders gegen Nichtchristen, dann gab es keine Schranken für die Gewalt. Bei der Eroberung Jerusalems 1099 töteten die Kreuzfahrer fast die gesamte Einwohnerschaft. 110 Jahre später, im Jahre 1209, ereignete sich etwas Ähnliches bei den Albigenserkriegen. Nur dass es hier gegen »ketzerische« Christen, die Katharer, ging. Kurz vor der Eroberung der Stadt Béziers wiesen einige Feldherren darauf hin, dass es schwierig werden könnte, zwischen Katholiken und Katharern zu unterscheiden. Daraufhin verkündete der katholische Legat Arnaud Amaury: »Tötet sie alle. Gott wird die Seinen schon erkennen.«
In der Renaissance blühte der Meuchelmord. Das war keine neue Idee, aber nun löste man häufiger damit Probleme, als durch richterliche Schiedssprüche. Spanier und Italiener perfektionierten den Meuchelmord. Er wurde geradezu zu einer Kunstform erhoben.
Jahrhunderte hindurch wurde das Duell als akzeptable Form der Konfliktlösung betrachtet. Auch wenn diese Duelle nach festen Regeln abliefen und die Duellanten sich höflich zueinander verhielten, so war es doch nur ein Weg, einen Gegner durch Gewalt umzubringen, ohne dabei mit dem Staat in Konflikt zu geraten, der ansonsten Gewalttätigkeit außerhalb von Kriegen verbot.
Heute wird oft heute suggeriert, dass Gewalt keine Lösung für Probleme sei. Der Staat versucht, die Gewalt in der Öffentlichkeit durch massive Überwachung einzudämmen. Ob dies sinnvoll ist, ist zumindest fraglich.3 Wenn es wirklich einmal hart auf hart kommt, dann ist höchstwahrscheinlich niemand da, der Ihnen beistehen wird. – Wehren Sie sich mit allen Mitteln! Es gibt keinen Grund, Schuldgefühle gegenüber einem Angreifer zu empfinden, wenn dieser durch Ihre Notwehrhandlung zu Schaden kommt. Der Angreifer ist derjenige, der für den Kampf verantwortlich ist, niemand sonst.
Wir möchten an dieser Stelle aber nochmals betonen, dass man sich im Klaren darüber sein muss, dass man mit aktivem Selbstschutz leicht in eine rechtliche Grauzone geraten kann. Zwar existiert ein Notwehrparagraph, und selbst die Überschreitung der Notwehr, wenn diese aus Angst oder Verwirrtheit geschieht, wird für gewöhnlich nicht geahndet. Aber niemand kann sich letzten Endes darauf verlassen, dass ein Richter seine Notwehrlage auch als solche anerkennt. Tatsache ist jedoch, dass es unmöglich ist, sich mit Zurückhaltung und Bedenken gegen einen skrupellosen Angreifer zu schützen.
»Gewinnen ist eine Angewohnheit«
Dieser Spruch stammt von Vince Lombardi.1 Er verweist mit knappen Worten auf den Kern der Sache. Gewinnen muss man wollen. Es spielt dabei keine Rolle, ob man einen Kampf am Ende tatsächlich gewinnt oder nicht. Wenn man aber die Möglichkeit eines solchen in Betracht zieht, sollte man auch gewinnen wollen. Ohne diesen unbedingten Willen ist es nicht ratsam, sich auf Gewalt einzulassen. Doch auch wenn Sie bereit sind, sich darauf einzulassen, sollten Sie sich der Gefahren bewusst sein. Es ist immer möglich, dass Sie während eines Kampfes verletzt oder getötet werden. Und auch nach einem erfolgreich bestandenen Kampf drohen unter Umständen große Gefahren: Sie könnten das Opfer eines Racheakts werden, oder Sie werden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil Sie aus Sicht des Richters unverhältnismäßig auf eine Bedrohung reagiert haben.
Hinzu kommt der Aspekt des Gewissen. Falls Sie gezwungen waren, den Gegner zu töten – selbst wenn das Recht dabei auf Ihrer Seite war –, bleibt abzuwarten, ob Sie damit umzugehen verstehen. Der beste Weg ist und bleibt der, sich, soweit es geht, von körperlicher Gewalt fernzuhalten, obwohl wir fairerweise zugeben müssen, dass man diese Gewalt oft nur verstehen lernt, wenn man sich mit ihr direkt befasst, d. h., wenn man Auseinandersetzungen nicht immer aus dem Weg geht. Doch Gewalt erzeugt grundsätzlich Gegengewalt. Rache und Vergeltung sind starke Motivationen. Und die Situation kann derart eskalieren, dass Sie als Einzelner keinen ausreichend Schutz vor der Gewalt mehr finden können.
Früher, vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, war es oft so, dass Straßenschläger sich nach einem Kampf die Hände reichten. Man sah das Ganze in einem sportlichen Sinne. Von roher Gewalt hatten die Menschen damals mehr als genug. Doch wir sind vergesslich. Bereits in den 60ern nahm man es mit der Fairness nicht mehr so genau. In den letzten Jahren hat die Gewaltbereitschaft potentieller Gewalttäter ein Maß erreicht, das kaum noch steigerbar zu sein scheint.2
Geht es um Gewalt und Gegengewalt, zählt nur noch das Recht des Stärkeren beziehungsweise des Gewalttätigeren. Um sich einen Vorteil zu schaffen, muss man in vielen Fällen einfach