Nataschas Winter. Susanne Scholl

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      edition

karo HORIZONTE NR. 1

      Susanne Scholl

      Nataschas Winter

      Eine einzigartige Reise durch Russland

      Reiseerzählung

      literaturverlag josefine rosalski, berlin 2016

      Für alle meine

      russischen Freunde und Mitarbeiter,

      mit deren Hilfe meine Kinder Laura und David

      und ich gelernt haben, Russland zu lieben.

      Inhalt

       Cover

       Titel

       Widmung

       Der Abschied

       Die Datscha

       Das weite Land

       Das Dorf

       Das Ende eines russischen Reisetages

       Pawel und die Autos

       Der Fürst und die Geologin

       Nataschas Winter

       Der Elch

       Der Untermieter

       Ein ganz anderes Meer

       Eine ganz gewöhnliche Familie

       Die Fähre

       Der Hundeklub

       Die kleine Kämpferin

       Die Unbesiegbaren

       Endlich zu Hause?

       Impressum

      Moskau, die Wankelmütige, zeigt sich von ihrer strahlendsten Seite. Es ist sechs Uhr früh. Lenin – der immer noch vor unserem Haus majestätisch über den Gartenring in Richtung Außenministerium blickt – hat rund um seine prominente Glatze einen feinen, leichten Nebelkranz. Während wir über die Brücke entlang dem Gorki-Park fahren, blenden uns die Goldkuppeln der alt-neuen Christ-Erlöserkathedrale im Sonnenlicht und lassen Peter den Großen auf seinem Schiff im Schatten verschwinden.

      »Gut so«, sagt Adlerauge und schließt seine Augen wieder.

      Wir verlassen die Stadt, die uns abwechselnd abgrundtief hässlich und über alle Maßen schön war, nach unglaublich lange erscheinenden sechs Jahren, aber die beiden wollen nicht Abschied nehmen. Wir haben sie geliebt, wenn im Sommer die Abende bis in die Nacht hinein hell blieben, oder wenn sie im Winter weiß vom Schnee glänzte. Wir haben sie geliebt dort, wo sie noch ihr altes, ein wenig schnörkeliges Gesicht zeigte, und gehasst, wenn wir an unendlichen Hochhäusern und dicken Heizungsrohren vorbeikamen, die direkt auf der Straße nur knapp über den Köpfen der Menschen verlaufen. Wir haben sie auch gehasst, wenn sie wieder einmal dunkelgrau und schmutzstarrend jede Lebensfreude schon im Keim erstickte und wir in Schlamm und Schmutz zu versinken drohten. Und wir haben sie geliebt, wenn wir an frostklaren Tagen den zartblauen, unendlichen Himmel über ihren übermäßig breiten Boulevards betrachteten, die doch nie ausreichten, um alle Autos aufzunehmen, die sich in diesen sechs Jahren hier eingefunden haben.

      Jetzt aber wollen Adlerauge und die Kartenleserin einfach nicht auf die Stadt schauen, als würden sie sie zum letzten Mal sehen. Nur die Tatsache, dass so wenige Autos zu dieser Stunde unterwegs sind, kann sie für kurze Zeit aus ihrer durch die Müdigkeit und den Trennungsschmerz bedingten Lethargie und auch aus ihrem Schweigen herauslösen, und wir sind uns einig, dass es wohl nur Datschenbesitzer sein können, die sich um diese Zeit freiwillig auf den Weg machen.

      Als wir über die steinerne Brücke neben dem Kreml fahren, über dem sich ein paar unfreundliche Wolken zu zeigen beginnen, und ich Adlerauge und der Kartenleserin ans Herz lege, sich den Anblick noch einmal einzuprägen, stoße ich auf Ablehnung. Ob ich denn wolle, dass sie bis Petersburg weine, fragt die Kartenleserin, bevor sie sich mit einem herzerweichenden Seufzer auf den Rücksitz unseres kleinen Autos zurückfallen lässt – woraufhin ihr beinahe unsere drei Rucksäcke auf den Kopf fallen, die wir – wegen akuten Platzmangels – unter dem Rückfenster verstaut haben.

      Nein, Adlerauge und die Kartenleserin wollen nicht Abschied nehmen, und so rast Moskau dank der frühen Stunde in voller Schönheit zwar, aber fast unbeachtet an uns vorbei.

      Adlerauge und die Kartenleserin haben Moskau erst im letzten ihrer sechs Jahre wirklich zu entdecken begonnen.

      Natürlich haben sie den Gorki-Park als Eislaufplatz und den alten Zirkus mit seiner ganz besonderen Atmosphäre von Anfang an genau so kennen gelernt wie das Bolschoi-Theater mit seinen Stuckaturen und den ältlichen Billeteusen, den neuen alten Arbat – Moskaus lange Fußgängerzone mit ihren Schnellzeichnern, die Leninberge – die jetzt wieder Sperlingsberge heißen –, in denen sie in unserem ersten Jahr sogar gerodelt sind, oder Sagorsk, vor den Toren Moskaus – das heute wieder Sergiew Possad heißt – und eine Ansammlung buntester, wunderhübscher Kirchen zur Schau stellt. Mit mir.

      Kurz bevor wir unsere Zelte abgebrochen haben, haben sie aber begonnen, die Stadt allein – also in Gesellschaft gleichaltriger Freunde – zu entdecken. Denn was sind schon Erlebnisse, die man mit der Mutter teilt,

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