Mord auf der Messe. Uwe Schimunek

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Mord auf der Messe - Uwe Schimunek

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Lauf angezogen zu werden. Er schielt geradezu auf das schwarze Loch im Stahl und sagt: «Aber … nein.»

      Jetzt fällt ihm also ein, dass er etwas falsch gemacht hat. Wieso konnte er nicht vorher zur Vernunft kommen? Nun ist der Moment vorbei, an dem das hier alles noch hätte gut enden können. Schade. Sehr schade.

      «Nein, bitte …»

      Das will ich nicht hören, dieses Gewimmer. Ohne jede Würde! Plopp. Welch erhabenes Geräusch meine Luger macht!

      Der Kopf schnippt weg, schlägt mit einem «Plonk» gegen den Rahmen der Frontscheibe.

      Dann Stille.

      Ich schließe die Augen. Immer nach einem Schuss lehne ich mich einen Moment zurück. Auch dieses Mal genieße ich die Ruhe, das gute Gefühl, ein Problem beseitigt zu haben. Nein, ich schieße nicht gern – nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Aber nun, wo es geschehen ist, gönne ich mir einen Augenblick und überlege, wie sich aus dem Vorfall Kapital schlagen lässt. Vielleicht sollte ich meinen Leuten ein Zeichen senden. Ihnen mitteilen, dass Regeln gelten. Dann hätte der Tod des Kellners da vorn einen Sinn.

      Ich öffne die Augen und schaue auf die Schweinerei an der Frontscheibe. Flüssigkeit läuft vom Dach in Richtung der Armaturen meines Automobils. Im Dunkel sieht der Blutbrei beinahe schwarz aus. Ein Klumpen fällt von der Scheibe, kurz darauf höre ich ein schmatzendes Geräusch … Mein schöner neuer Maybach. Hat mich ein Vermögen gekostet, der W3 … Und nun braucht der Wagen eine grundlegende Reinigung, den muss ich in unsere Werkstatt bringen lassen. Aber darüber mache ich mir später Gedanken.

      Zuerst brauche ich eine Idee, wie ich die Leiche präsentieren kann, so dass meine Leute es schnell mitkriegen. Herumsprechen wird sich die Sache früher oder später von allein. Aber ein bisschen Tempo kann nicht schaden. Während der Frühjahrsmesse laufen unsere Geschäfte immer besonders gut, und die Messe steht unmittelbar bevor. Also scheint mir Eile geboten.

      Ein Artikel in der Zeitung wäre nicht schlecht, ich muss nur sicherstellen, dass der Ober von einem der Schmierfinken gefunden wird. Ich gehe im Kopf die Blätter durch … Natürlich, die Zeitung von den Sozis hat ihre Redaktion um die Ecke, in der Tauchaer Straße – nur ein paar Meter von hier.

      Ich ziehe die Taschenuhr aus der Weste: Kurz nach neun. Vielleicht sitzt heute, am Vorabend der Messe, sogar noch jemand in der Redaktion. Aber selbst wenn nicht, kommen die Kriminaler bestimmt alsbald vorbei und fragen, was die Leiche vor der Zentrale der Zeitung zu suchen hat. Ich sollte den Redakteuren noch eine Botschaft hinterlassen. Gerade bei den Sozis neigen die Schreiberlinge dazu, die wichtigen Dinge zu übersehen.

      Der Applaus wollte kein Ende nehmen. Bernadette La Belle stand am Bühnenrand und deutete einen Knicks an. Ihr Kleid hatte einen Schlitz von den Füßen fast bis zur Taille, und schon die kleinste Bewegung erlaubte einen Blick auf das rechte Bein. Die Bewegung dauerte nur einen Augenblick, aber eines wurde klar: Falls die Sängerin überhaupt Unterbekleidung trug, musste diese ausgesprochen knapp sein.

      Das Publikum im Varietésaal des Krystall-Palastes feierte weiter, ein neuer Knicks, noch mehr Applaus und so weiter … Konrad Katzmann hörte auf zu klatschen. Bernadette La Belle begeisterte auch ihn, aber nach seinem Geschmack durfte sie nun weitersingen.

      An die 1800 Menschen um ihn herum sahen das vorläufig anders. Das Klatschen wurde rhythmisch. Es schien fast, als wollten die Gäste selbst Teil der Vorführung sein, sich vielleicht als gemeinschaftliche Schlagwerker beim Orchester verdingen. Katzmann überlegte, ob das nicht peinlich wurde. Was musste die Frau da oben auf der Bühne denken? Wollte sie nicht ihr Programm fortführen? Oder bereitete ihr der Fanatismus von den Rängen Freude?

      Ihr Blick verriet nichts, und das Lächeln konnte eine Frau, die ihre Abende seit Jahren auf der Bühne verbrachte, sicher nach Belieben auf den Mund zaubern.

      Bernadette La Belle hob die Hand. Mit einer kurzen Verzögerung ebbte der Applaus ab. Das Lächeln verschwand. Stille.

      Der Pianist drückte schwere Moll-Akkorde in die Tasten, nach ein paar Takten schummelten sich weitere Instrumente ins Lied. Es klang, als wollten die Musiker sich hinter ihren Instrumenten verstecken. Bernadette La Belle hob den Kopf und begann zu singen.

      Die Sängerin hauchte die Strophe geradezu, Konrad Katzmann verstand Worte über Sehnsucht nach der Ferne. Seine Gedanken schweiften ab. Der Radius seiner Reisen beschränkte sich meist auf Sachsen. Da aber kam er viel herum. Es war das richtige Maß an Sesshaftigkeit – für sein derzeitiges Leben.

      Der junge Mann neben ihm schien weitere Wege zu mögen. Heinz Eggebrecht war erst am Nachmittag aus Berlin angereist. In den letzten Jahren hatte er in seiner Korrespondenz von Reisen durch ganz Europa berichtet: Prag, Preßburg, Wien, Mailand, Rom, Paris … Konrad Katzmann konnte sich an die Briefmarken erinnern und daran, wie er sich wunderte, was aus dem Redaktionsstift geworden war.

      Er sah hinüber. Eggebrechts Augen schienen Bernadette La Belle zu folgen, als gelte es, am nächsten Tage ein Abbild aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Der Blick des Photographen suchte offenbar nach Details, nach Blickwinkeln, aus denen die Persönlichkeit der Sängerin am besten abzulichten sein würde. Eggebrecht lehnte im Sessel, sein Gesicht zeigte dabei die Art von Gelassenheit, die Menschen durch jahrelange Erfahrung erlangten. Hier war aus der Berufung ein Beruf geworden.

      Auch Katzmann sah abermals zur Bühne. Dort setzte Bernadette La Belle zur finalen Wiederholung des Refrains an. Sie hob die Arme, als wolle sie die Weite der Welt andeuten. Die Melodie sauste einen Ton höher als zuvor durch das Lied, Bernadette La Belle sang lauter. Dabei öffnete sie den Mund weiter, was ihre Lippen noch etwas voller aussehen ließ. Ein langer Ton – durch die Anspannung waren Muskeln unter den Wangen zu erahnen –, trotzdem blieben die Züge der Sängerin zart. Das Gesicht unter dem Bubikopfschnitt wirkte noch weiblicher. Das war keine Frau, die sich lange mit Strophen aufhalten sollte, fand Katzmann.

      Das Lied endete, und für einen Augenblick herrschte in dem Saal eine Stille, dass sogar die Opfer der Februar-Erkältungswelle den Husten herunterschluckten.

      Ein Knicks, und der Beifall setzte ein.

      Katzmann klatschte mit und guckte zu Eggebrecht. Auch der schlug die Hände zusammen, ohne dass sein Gesicht den lauernden Ausdruck des Beobachters verloren hätte. Katzmann fühlte sich ein bisschen, als seien sie beide die Insel der Bedächtigkeit im Meer des Fanatismus. Dabei berührten ihn die Lieder und der Vortrag der Sängerin durchaus. Er verspürte nur nicht den Drang, das so extrovertiert zu äußern wie die anderen im Saal. Inzwischen wurde das Klatschen zunehmend von einem Johlen übertönt, es klang fast wie bei einer Sportveranstaltung.

      Der Sängerin auf der Bühne gelang es dieses Mal kaum, die tosende Menge zu beruhigen. Das Heben der Hand reichte nicht. Erst als Bernadette La Belle den Zeigefinger der rechten Hand vor den Mund legte, ließ der Lärm auf den Rängen nach. Nach einem Augenblick führte sie die Finger zusammen und hauchte einen Luftkuss in den Saal – das Publikum jubelte.

      Bernadette La Belle wiederholte dieses Spiel ein paar Mal. Stille, Beifall, Stille, Beifall. Vor allem die Männer im Publikum schienen Gefallen an der Sache zu finden. Der Lärm wurde mit jedem Durchlauf lauter.

      «Komm, weg hier!» Eggebrecht schaffte es, die Worte in einem Moment der Ruhe mit Nachdruck zu flüstern. «Wer auf die Zugabe verzichtet, bekommt die besseren Plätze im Restaurant.»

      Heinz Eggebrecht zündete sich eine Zigarette an und trank den letzten Schluck aus seinem Bierglas. Seit er in Restaurants wie diesem verkehrte, glitzerten die Gläser, als seien sie vor dem Ausschank frisch geschliffen, dafür dauerte das mit dem Nachschub ewig.

      Die

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