Mord auf der Messe. Uwe Schimunek

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mord auf der Messe - Uwe Schimunek страница 4

Mord auf der Messe - Uwe Schimunek

Скачать книгу

guckte Eggebrecht an. Der hatte den Mantel und das Jackett geöffnet. Die Kette der Uhr funkelte an der Tasche der Weste. Vielleicht hatte er die Frage falsch verstanden.

      «Meine Uhr ist stehengeblieben … Aber ich pflege, sechs Stunden, nachdem ich schlafen gegangen bin, aufzustehen …»

      Der Herr «pflegt» also, dachte Katzmann. Das klang, als hätte sich Eggebrecht nicht nur neue Anzüge zugelegt. Der Reporter zog seine Uhr aus der Tasche und sagte: «Zehn nach halb elf.»

      «Na, dann lass mich rechnen …» Eggebrecht zog beim Sprechen seine Taschenuhr auf. «Wir sitzen jetzt noch eine halbe Stunde rum, dann geht es zu meinen Eltern nach Lindenau … Also, wenn alles normal läuft, kann ich morgen gegen halb acht beim Frühstück sitzen und bin ab neun für jeden Spaß zu haben.»

      Auf der linken Straßenseite tauchte das Haus 19–21 auf, die Toreinfahrt war vom Schein einer Laterne erleuchtet. Am Fuß der Laterne lag ein Müllsack. Ungewöhnlich für diese Gegend, dachte Katzmann, und dann noch direkt vor dem Bureauhaus. Oder war das wieder ein Gruß von rechten Witzbolden?

      «Da vorn liegt ein Sack.» Eggebrecht zeigte auf den Müll. Er klang nicht entsetzt, eher wie einer, der die Wirkung eines Naturgesetzes konstatiert. Er hätte auch sagen können: «Das Ding ist nach unten gefallen.» Wahrscheinlich kamen an den Straßenrand geworfene Müllsäcke in Berlin öfter vor.

      «Gott, verdamm mich!» Jetzt hörten sich die Worte an wie ein Ausruf der Empörung. Ganz so dreckig war Berlin vielleicht doch nicht. «Ein Kopp …»

      Katzmann sah zum Sack. Je näher er kam, desto deutlicher zeichneten sich die Konturen im fahlen Laternenschein ab. Der Sack hatte nicht nur einen Kopf, sondern auch Arme, Beine, Lackschuhe … Die Gliedmaßen lagen ineinander verdreht, als habe jemand versucht, die Extremitäten zu verknoten. Wenn der Mann an dieser Stelle gestürzt war, dann musste er zuvor gymnastische Übungen durchgeführt haben – nicht besonders wahrscheinlich um diese Uhrzeit, dachte Katzmann.

      «Wie liegt der denn rum?», fragte Eggebrecht.

      «Sieht nicht gesund aus.»

      Eggebrecht beugte sich über den Liegenden, hielt inne und griff dann einen Arm. Er hielt das Handgelenk ein paar Sekunden und sagte: «Kalt. Kein Puls. Tot.» Mit der Spitze seines Schuhs stieß er vor den Kopf – mit Vorsicht, als wolle er der Leiche das Haar nicht durcheinanderbringen. «Erschossen. Kleines Loch in der Stirn, großes im Hinterkopf.»

      «Wieso liegt der gerade hier?»

      Eggebrecht schien die Frage nicht zu hören. «Den kenn ich.»

      «Direkt vor der Redaktion?»

      «Unser Kellner.»

      «Unser Kellner? Wie kommt denn der hierher?»

      Eggebrecht inspizierte weiter den Leichnam. Er fragte: «Und was ist das hier für ein Zettel?»

      Heinz Eggebrecht schaute auf die Uhr, es ging auf Mitternacht, und er stand neben einer Leiche. Der Wind pfiff durch die Tauchaer Straße, es klang, als würde ein Gespensterorchester gerade die Instrumente stimmen. Eggebrecht lief ein kalter Schauer über den Rücken. Nein, keine Albereien! Da lag ein toter Mann, der konnte ihm nichts antun. Ansonsten weit und breit nur leere Straßen, und die Polizei musste jeden Augenblick eintreffen.

      Es war richtig, dass Katzmann allein ins Bureau gegangen war, um die Kriminaler anzurufen. So lag die Leiche hier unten nicht unbeobachtet herum. Und falls gefährliche Gestalten des Weges kamen, würde er einfach ins Redaktionsgebäude flüchten, Katzmann hatte extra die Tür zum Treppenaufgang in der Durchfahrt offen gelassen.

      Nur, wo blieb Katzmann? Der war vor bestimmt zwanzig Minuten nach oben geeilt. So lange konnte der doch nicht mit der Polizei telephonieren …

      Zeit totschlagen – irgendwann musste der Herr Redakteur wiederauftauchen. Eggebrecht guckte noch mal zum Zettel. Der klemmte unter der Fliege, es sah ein bisschen aus, als hätte ein wütender Gast dem Ober eine überhöhte Rechnung an den Hals genagelt.

      Sollte er das Papier herausziehen und nachschauen? Die Polizei wäre davon sicher nicht begeistert. Andererseits mussten die nicht alles wissen …

      Eggebrecht kniete sich neben den Leichnam. Der Zettel stak in der Fliege, zusammengerollt wie ein Blätterteiggebäck. Er beugte sich ganz nah an den Zettel, im innersten Stück des Papiers zeichneten sich die Buchstaben Dr. Bl ab – mehr war nicht zu erkennen, obwohl seine Nase beinahe vor das Papier stieß.

      Mit Dr. Bl konnte er nichts anfangen, vielleicht ein Arzt … Wenn er Genaueres wissen wollte, musste er den Zettel aus der Fliege ziehen.

      Seine Finger wurden vom Papier angezogen wie ein Trinker vom Zapfhahn. Er wehrte sich, trotzdem schien die Hand geradezu zum Kragen des Obers zu schweben. Nur noch Millimeter …

      Kaltes Leder im Genick. Eggebrecht zuckte zusammen, sprang auf, sah Katzmann. «Mann, Konrad!»

      «Ich bin wieder da.» Katzmann grinste. Der Mund sah aus, als wolle er vor Freude aus dem Gesicht springen.

      «Willst du, dass ich einen Herzinfarkt kriege? Mann!» Eggebrecht guckte auf Katzmanns Hände. «Und was soll der Quatsch mit dem Handschuh?»

      «Daktyloskopie.»

      «Dakti-was?»

      «Fingerabdrücke. Also genauer gesagt, keine Fingerabdrücke … Wir haben noch mindestens eine Viertelstunde, bis die Polizei hier ist.» Katzmann holte eine Pinzette aus dem Jackett, klemmte die Papierrolle zwischen die Spitzen und zog den Zettel aus dem Knoten der Fliege. Er hob die Rolle nach oben, drehte das Papier im Laternenschein und ließ den Zettel zwischen den Handschuhen verschwinden. Katzmann hatte offenkundige Schwierigkeiten, die Papierrolle mit seinen gefütterten Fingerlingen zu öffnen.

      «Ist gar nicht so kalt, was?»

      Katzmann guckte, als lenke ihn ein lästiges Insekt ab – wohl keine Zeit für Scherze. Der Reporter blickte nochmals auf das Papier. «Rechnungszettel. Signet vom Krystall-Palast.» Dann schüttelte er den Kopf. «Aber was soll das?»

      Katzmann hielt das Papier herüber. Eggebrecht las:

      Wichtige Mitteilung an alle:

      75 für 100 sind das Mindeste. Ausnahmen von dieser Regel sind nicht vorgesehen.

      Hochachtungsvoll,

       Dr. Blei

      «Hm. Doktor Blei? Ein Arzt?» Eggebrecht schaute zu Katzmann, der schüttelte immer noch mit dem Kopf, als habe er eine Stahlfeder im Hals.

      «’ne Rechenaufgabe im Text. Vielleicht ein Naturwissenschaftler? Von der Uni?»

      «Ich weiß nicht …»

      Katzmann drehte den Zettel in alle Richtungen. «Ich hab noch nie was von einem Doktor Blei gehört … und ich bin hier Journalist.»

      «Vielleicht ein Auswärtiger …»

      «Der kommt von außerhalb und legt eine Leiche mit einem Briefchen vor der LVZ ab. Wieso?»

      «Hm, du bist der Journalist … Dinge rauskriegen ist dein Beruf!»

      «Also

Скачать книгу