Ein Arzt als Patient. Wolfgang Wild
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„Heißt das, ich kann weiterhin Skifahren, Tennis- und Fußballspielen?“
„Sie können alles machen, dürfen aber das Knie nicht über neunzig Grad beugen. Sie haben eine Kunststoffröhre als Schlagader in der Kniekehle. Ihre eigenen Gefäße waren wegen Ablagerungen an der Gefäßwand leider nicht geeignet. Das wäre natürlich besser gewesen.“
„Wie lange muss ich noch hierbleiben, und wie lange funktioniert ein solcher Bypass eigentlich?“
„In fünf bis sechs Tagen können Sie ambulant weiterbehandelt werden, und die Kunststoffbypässe sind erfahrungsgemäß etwa zehn Jahre lang funktionstüchtig. Haben Sie weitere Fragen?“
„Nein, danke.“
„Na dann, trotz allem, ein schönes Wochenende.“
„Danke, gleichfalls.“
Kurz nach dieser Visite kam eine Schwester zur Blutabnahme. Davor war mir nie bange, da ich gute Venen habe. Es gelang ihr auch gleich beim ersten Stich, die Nadel regelrecht zu platzieren. Abgelöst wurde der „Vampir“ von einer Mitarbeiterin, welche für die Wochenendreinigung der Zimmer und der Station zuständig war.
„Guten Morgen, Sie sind wohl neu hier?“, fragte sie.
„Ja, guten Morgen.“
„Wissen Sie, ich frage nur deshalb, ob Sie neu sind, damit Sie sich nicht wundern, wenn ich gleich wieder weg bin, denn am Wochenende werden nur Sichtreinigungen durchgeführt.“ Danach sprach sie noch über den allgemein bekannten Personalmangel, wünschte mir einen schönen Tag und ging.
Es dauerte nicht lange, da hörte ich Stimmen auf dem Gang: „Kaffee oder Milch, Käse oder Wurst …“ Und so weiter. Das war die Bedienung des Speisewagens.
Mich fragte man: „Möchten Sie auch ein gekochtes Ei?“
„Nein danke“, sagte ich. „Meine Gefäße seien verfettet, und da will ich mal auf Cholesterin verzichten.“ Das war natürlich eine typische Überreaktion nach der Ansprache des Arztes während der Visite, und schon zwei Tage später lehnte ich Spinat mit Ei nicht mehr ab.
Nun waren wohl alle Mitarbeiter des Sonnabenddienstes mindestens einmal in meiner „Stube“ gewesen. Dabei fiel mir auf, dass die Kleidung des Personals nicht einheitlich war. Man konnte die Oberschwester, abgesehen vom Alter, nicht mehr von einer Schwesternschülerin unterscheiden. Es wurden zwar Namensschilder getragen, die aber infolge des ständigen Herumhantierens ihrer Trägerinnen oftmals auch umklappten, sodass dem Patienten die nicht beschriftete Rückseite dargeboten wurde.
Als Arzt in einer Klinik hatte ich das nicht bewusst registriert, aber als Patient erkennt man so etwas auf Anhieb. Auch erinnert man sich, dass es einmal die Haube war, die eine Schwester in früheren Zeiten als solche kenntlich machte. Korrekt gekleidete Schwestern mit Haube sieht man aber nur noch auf Reklameschildern der Pflegedienste. Nicht nur hier, sondern in allen Bereichen, spürt man den Wunsch vieler Menschen, das Alte und Bewährte möge nicht auf-Teufel-komm-raus modernen Auffassungen einiger Wichtigtuer zum Opfer fallen.
Das Wochenende verging ziemlich schnell. Es kamen viele Besucher. Meine Familienangehörigen, die alle einen medizinischen Beruf haben, begutachteten das noch gefühllose Bein und machten mir natürlich Hoffnung auf Besserung, die dann auch am dritten Tag nach der Operation eintrat.
Da ich bereits nach fünf Tagen entlassen wurde, hatte ich nur kurze Zeit Gelegenheit, meine Betreuung und Versorgung zu überwachen, also aus ärztlicher Sicht einzuschätzen, denn auch in einem Krankenhaus werden trotz aller Vorsicht Fehler gemacht13.
Es ist nicht selten, dass bei der Verabreichung von Medikamenten oder anderen Tätigkeiten Irrtümer vorkommen13. Dies hielt sich aber bei diesem Kurzaufenthalt gegenüber späteren und längeren stationären Behandlungen in Grenzen. Wenn ich auf solche Fehler gestoßen bin, habe ich sie immer korrigiert13. Auch musste ich mehrfach die gleiche Auskunft geben. Daran erkennt man, dass wichtige Informationen nicht ausgetauscht werden; dass Mitarbeiter, die einen versorgen, nicht informiert sind, dass Maßnahmen doppelt zur Anwendung kommen, Anordnungen zu spät getroffen oder verspätet ausgeführt und andere Aufgaben dafür gar nicht erledigt werden13.
Die Krankenschwestern sind oft überarbeitet, weil die Einrichtungen immer mehr sparen müssen und weniger Personal beschäftigen13.
Nach meiner Entlassung am elften Dezember konnte ich das folgende Wochenende noch genießen, aber danach ging ich mit zirka sechzig Wundklammern im linken Bein wieder in meine Praxis.
Die Selbständigkeit ist hart, und die laufenden Kosten einer Praxis scheren sich nicht um die Genesungsdauer ihres Inhabers, sodass ich nicht umhin kam, auf weitere Schonung oder Rehabilitationsmaßnahmen zu verzichten.
Die Klammern wurden mir in der eigenen Praxis entfernt. Nun musste ich auch regelmäßig Medikamente einnehmen, die das Blut „verdünnen“, damit sich an der Kunststoffgefäßprothese keine Gerinnsel bilden konnten. Außerdem durfte ich, wie bereits erwähnt, das linke Kniegelenk zur Schonung der Prothese nicht mehr über neunzig Grad beugen. Daran hielt ich mich natürlich, und so war der weitere Verlauf bis zur vereinbarten Kontrolluntersuchung nach einem Vierteljahr komplikationslos.
Während meiner langjährigen ärztlichen Tätigkeit habe ich immer beobachtet, dass sich die meisten Patienten zeitaufwändig auf einen Arztbesuch vorbereiten. Sie waschen sich und ziehen ihre Lieblingskleidung an. Natürlich gibt es Ausnahmen. Solche Patienten möchte man liebend gern zum Duschen oder wenigstens Waschen ihrer Füße wieder wegschicken.
Auch ich bin nicht in Gartenkleidung zur Kontrolluntersuchung gegangen und hatte zudem einige Fragen, die ich beantwortet haben wollte. Was aber bei dieser ambulanten Kontrolle ablief, hat mich sehr enttäuscht. Eigentlich hätte es ausgereicht, wenn ich an der Anmeldung einen Zettel abgegeben hätte mit der Aufschrift: „Herrn Wild geht es gut!“
Wenn man als Arzt zu einem Kollegen geht, erwartet man, etwas bevorzugt behandelt zu werden. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Die Schwester an der Anmeldung war wegen der großen Patientenzahl überfordert und erkannte in mir nicht den ärztlichen Kollegen. So wurde ich in das überfüllte Wartezimmer gewiesen.
Nach langer Zeit rief man mich schließlich in das Sprechzimmer. Dort saß der Arzt am Schreibtisch, zwei Schwestern kümmerten sich um Patienten, die offenbar das Arztgespräch schon hinter sich hatten. Mir sagte man, dass ich auf dem freien Stuhl neben dem Schreibtisch des Arztes Platz nehmen soll.
Solche Spezialsprechstunden habe ich früher in meinem Fachgebiet auch übernehmen müssen. Allerdings kenne ich keinen, der das freiwillig und gern getan hat. Hier hatte ich auch diesen Eindruck.
Da ich der Meinung war, dass nun alles schnell gehen musste, wollte ich schon vor dem Platznehmen durch Herunterlassen der Hose das operierte und zu begutachtende Bein freimachen. Mir wurde jedoch schnell klar, dass ich nicht, wie bei der Entlassung aus dem Krankenhaus vereinbart, zu einer Nachuntersuchung, sondern zu einem Kurzgespräch kam.
„Herr Wild, wie geht es Ihnen?“
„Mir geht es gut.“
Damit begnügte sich der Arzt und schrieb es in meine Akte. Das Bein sah er sich nicht an. Dann sagte er: „Die Medikamente nehmen Sie so weiter und kommen bei Bedarf wieder.“
„Das