Begegnungen im DDR-Knast. Artur Weiß
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Читать онлайн книгу Begegnungen im DDR-Knast - Artur Weiß страница 4
Es war mir ein Bedürfnis, mich über die Schikanen der JVA-Angestellten bei meinem Anwalt zu beschweren. Somit war erstmals alles gesagt, worauf der Anwalt sich von mir mit den Worten verabschiedete: „Wir bleiben in Verbindung.“ Dann klapperte der Schließer mit den Handschellen, die er mir anlegte, und er brachte mich zurück in die Zelle.
Auf dem Weg dorthin war ich gedanklich bei meiner Familie und freute mich, bald meine Frau wiederzusehen. Andererseits fürchtete ich mich vor dem, was auf mich zukommt, weil die Ungewissheit an meinen Nerven nagte. Die Gespräche mit dem Anwalt hatten sich in die Länge gezogen, so dass inzwischen das Abendbrot ausgegeben wurde. Die nie so üppigen Malzeiten waren schnell von den Insassen eingenommen und die Langeweile nahm wieder Besitz von uns. Die Raucher sorgten dafür, dass die stinkende Luft in der Zelle zusätzlich vernebelt wurde. Die Nichtraucher, zu denen auch ich gehörte, hatten es besonders schwer, zumal es nicht möglich war, den Raum zu lüften. Dicht unter der Zellendecke empfand ich den Gestank besonders stark. Um Neun wurde Nachtruhe ausgerufen und das Licht erlosch.
Seit dem Besuch meines Anwalts hatte ich eine für mich wichtige Aufgabe zu erfüllen, die Vorbereitung auf den Tag X. Zunächst aber möchte Schwuli mir seine Geschichte zu Ende erzählen. Als gelernter Schlosser nahm er eine Arbeit als Hausmeister in einer Schule an, wo es ihn auf Grund seiner körperlichen Verfassung hinzog. Der Direktor zeigte ihm seinen zukünftigen Arbeitsbereich und übergab ihm eine kleine Werkstatt. Auch auf die Hausordnung wurde er hingewiesen. Nun hatte er eine gute Arbeit. Sorge bereitete ihm die Tatsache, dass sein langjähriger Freund mit seinen Eltern verzogen war. So verlor er nicht nur einen Freund, sondern auch seinen ganzen Halt. Das Naheliegende trat ein, er begab sich auf die Suche, um neue Freunde zu finden. Vorerst konzentrierte er sich auf seine Arbeit, die ihn voll in Anspruch nahm. Auch genoss er die Pausen, wo die Kinder Groß und Klein sich auf dem Schulhof tummelten. So verging die Zeit ohne besondere Vorkommnisse, bis eines Tages eine Prügelei auf dem Schulhof entstand. Größere Jungs attackierten einen ihnen Unterlegenen, diesem kam Schwuli zu Hilfe. Fortan machte er es sich zur Aufgabe, in den Pausen den Schulhof zu überwachen. Dies brachte ihm ein Lob des Direktors ein und die Zuneigung des Jungen, was ihm zum Verhängnis wurde. Die Eltern des Jungen hatten ihn als Kleinkind adoptiert, wenig später verstarb der Vater. Das konnte der Junge, namens Philip, seinerzeit sechs Jahre alt, nicht so richtig verarbeiten. Es fehlte ihm an der Seite seiner Mutter der Vater, zu dem er ein besonders gutes Verhältnis hatte. So konnte sich zwischen Schwuli und dem Jungen eine Vater-Sohn-Beziehung entwickeln. Ihre Freundschaft und Zuneigung vertiefte und festigte sich. Beide verbrachten viel Zeit miteinander. In den Pausen aßen sie ihre Brote in der Werkstatt und tranken Tee dazu. In ihrer Freizeit gingen sie schwimmen und bekamen so Körperkontakt. Das löste bei Schwuli seine Gefühlsströmungen aus, die er nur schwer unter Kontrolle bringen konnte. So begann er den Jungen zu befummeln, auch an seinem Unterleib. Philip wehrte sich verzweifelt, konnte aber gegen den kräftigen Mann nicht ankommen. In seinem Wahn schlug er Philip so heftig, dass dieser die Besinnung verlor. Schwuli schleppte den Jungen in ein Gebüsch, wo er sich dann an ihm verging. Während des Aktes kam Philip wieder zu sich und rief jämmerlich um Hilfe, worauf Schwuli ihn würgte. Erst als er seinen Orgasmus hatte, ließ Schwuli von dem Jungen, der fast leblos und wimmernd am Boden lag. Selbst erschrocken von dem, was er angestellt hat, rief Schwuli lautstark um Hilfe. Eine Gruppe Frauen und Männer eilten herbei, die dem Jungen halfen. Andere benachrichtigen die Polizei und das DRK. Der Täter wurde mit Handschellen festgenommen und Philip in ein Krankenhaus gebracht.
Hier stoppte er seinen Redefluss und bemerkte, dass ihm alle zuhörten, einer rief lautstark: „Du bist ja nicht nur schwul, sondern echt krank.“ Dann senkte Schwuli seinen Kopf und verbarg das Gesicht hinter seinen Händen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nicht nur maßlos schämte, sondern auch die Tat bereute.
Nachgefragt
Etwas derart Schreckliches hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört und schon gar nicht für möglich gehalten. Daher unternahm ich den Versuch, seine Beweggründe für eine solch schändliche Tat zu ergründen. Die Frage an Schwuli war: „Was war der Auslöser, um eine solche Tat zu begehen?“
Er begann damit, dass er schon einmal eine ähnliche Straftat begangen habe, die ihn aber nicht geändert hat. Obwohl seine Unmoralität medizinisch behandelt und therapiert wurde, ist Schwuli doch zum Kinderschänder geworden. Dass er zum Wiederholungstäter wurde, begründete er damit, dass in ihm ein unlöschbares Programm installiert ist, das immer dann in Aktion tritt, wenn er Kinder sieht und mit ihnen in Körperkontakt kommt. Es ist für ihn wie ein Rausch, dem er willenlos ausgesetzt ist.
So schlimm es auch für die Täter ist, dürfen aber nicht die Opfer vergessen werden, die aus der Lebensbahn geworfen, oder gar getötet werden. Immerhin werden den vergewaltigten Frauen und Kindern tiefe seelische und moralische Wunden geschlagen. Für die Täter wird am Ende immer gesorgt, die Opfer jedoch oft allein gelassen. Aus der Sicht der Verletzten ist es eine Zumutung, dass sie mit ihren Steuern den Täter im Gefängnis unterstützen. Vielmehr herrscht die Meinung vor, dass der Täter im Gefängnis durch seine Arbeit dem Opfer Schmerzensgeld schuldet.
GETEILTES LEID UND FREUDE
Wieder einmal holte mich ein Schließer aus der Zelle, wie ich glaubte, zum Verhör. Ich wurde aber in eine andere Richtung geschoben. Was mich wunderte war, dass man mir nicht die Handschellen anlegte. Ich traute meinen Augen nicht, als vor einer Zimmertür Halt geboten wurde. Ich erkannte die Aufschrift: „Besucherraum“.
Mir rutschte vor Schreck das Herz in die Hosentasche, als sich die Tür öffnete und ich meine Frau entdeckte. Als wir, durch eine Glasscheibe getrennt, uns gegenüber saßen, standen uns beiden die Freudentränen in den Augen. Durch ein Sprachgitter in der Scheibe war es möglich, miteinander zu reden. Es dauerte einige Minuten, bis es uns gelang, sachbezogen miteinander zu sprechen. Irene zog einen Zettel mit Notizen aus ihrer Tasche, die wir dann abarbeiteten. Wir hatten uns viel zu sagen. Es war mehr eine Berichterstattung von Irene, bei der sie auch Fragen stellte und ich sie beantwortete. Ich erfuhr, sie hatte erst Tage später von meinem Verbleib erfahren, es gab eine Hausdurchsuchung, der Betrieb musste geschlossen und die Technik verkauft werden, um eine angebliche Schuld an das Finanzamt zu zahlen. Zu all den Dingen machte ich Vorschläge und auch zur Abwicklung des Betriebes. Die dazu notwendigen Behördengänge muss Irene selbst erledigen und das wird lange so bleiben. Telefonieren, um sachbezogen zu helfen, war nur mit Genehmigung und unter Bewachung möglich. Die ein Stunde Sprechzeit pro Monat ging zu Ende, und ich durfte mich kurz von meiner Frau verabschieden. Eine Glanzleistung erbrachte der Schließer, als er mir vor den Augen meiner Frau die Handschellen anlegte. Beim Verlassen des Raumes versuchte ich noch, einen Blick zu erhaschen, aber mein Wächter versperrte mir die Sicht.
Anmerkung
Wieder in der Zelle angekommen, unternahm ich den Versuch, die Ereignisse in meiner Familie und im Betrieb zu ordnen. Es erschien mir wichtig, in einem Brief zu allen anliegenden familiären und betrieblichen Problemen umfassend Stellung zu nehmen. Diesen ließ ich durch meinen Anwalt meiner Frau als Vorgabe zur Lösung der anstehenden Arbeiten zukommen. Mir blieb nur die Hoffnung, dass es meiner Familie gelingen möge, der Belastung standzuhalten.
In meinen Gedanken versunken, was meiner Familie und mir zurzeit widerfährt, näherte sich Schwuli, um mich zu trösten. Ich begegnete ihm mit den Worten: „Deine Last ist schwer und unmenschlich, daran musst du arbeiten.“ In Anbetracht dessen, was er getan hatte und was ihm vorgeworfen wurde, kann aus meiner Sicht nicht gesühnt werden. Für diese Täter ist die Psychiatrie der einzige Ort, wo sie mit der Öffentlichkeit nicht in Berührung kommen.
Die