Begegnungen im DDR-Knast. Artur Weiß

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Begegnungen im DDR-Knast - Artur Weiß

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in Einklang zu bringen. Wenn ihnen dann noch Kinder zur Adoption anvertraut werden, kann man das nicht nachvollziehen. Irgendwann werden die Kinder fragen: „Wer ist meine Mutter oder mein Vater.“ Dann muss dem Kind erklärt werden, wie zwei Männer oder Frauen miteinander verkehren. Stellt sich die Frage, wann und wie sage ich es dem Kinde, ohne Scham aufkommen zu lassen. Ob sich in einer solchen Umgebung Kinder normal entwickeln können? Daran kann man ernsthaft zweifeln.

      Sicherlich ist es so, dass nicht alle Schwulen und Lesben zu Verbrechern werden, sondern zu zweit oder in Gruppe gut miteinander leben und auskommen. Was aber in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien zur Show gestellt wird, fällt oft aus dem Rahmen. Es ist bedauerlich, dass die Natur den Menschen einen Streich gespielt hat. Das verlangt aber nicht, dass daraus ein kostümiertes Spektakel gemacht wird. Bekanntlich ist es so, dass die Geschmäcker und Meinungen verschieden sind, was bewirkt, dass jeder nach seiner Fasson selig werden kann.

      Die vierzehn Tage U-Haft in der Sammelzelle, auch wenn der Gesprächsstoff noch lange nicht erschöpft war, langweilten mich. Deshalb bemühte ich mich um eine Arbeit, diesen Wunsch hat ein Schließer für mich weiter gegeben. Ein positiver Bescheid wäre ganz in meinem Sinn, um dem Gestank in der Zelle zu entkommen. Nach der Geschichte von Schwuli war mein Gespräch mit dem Schlossermeister an der Reihe. Er war der Erste, welcher mir half, als ich in die Zelle gestoßen wurde. Ihm war das Gleiche widerfahren wie mir und vielen anderen, auch er hatte heftig sein Eigentum verteidigt. Beim Fachsimpeln gerieten wir schnell zu seinem Problem, das er mir in allen Einzelheiten schilderte. Voller Wut ging er auch auf die Rücksichtslosigkeit seiner Peiniger ein.

      Es waren einige Tage vergangen, als nach dem Mittagessen die Zellentür entriegelt und aufgeschlossen wurde. Ein Uniformierter betrat den Raum mit den Worten: „U-Häftling Weiß, raustreten!“ Dieser brachte mich in ein Büro, das ich noch nicht kannte, wo ein Unterleutnant am Schreibtisch saß. Mit ernster Miene fragte er mich: „U-Häftling Weiß, Sie wollen arbeiten“, was ich mit Ja beantwortete. Bei dem Wortwechsel stellte ich fest, dass wir uns kennen, was auch er bemerkte. Etwas nachdenklich und mit freundlicher Stimme sagte er: „In zwei Tage werden Sie in der Küche eingesetzt.“ Das war Musik in meinen Ohren, komme ich doch endlich aus der stinkenden Raucherkammer heraus. Auf dem Weg zur Zelle überlegte ich, woher der Unterleutnant mich kennt. Nach langen Überlegungen stellte es sich heraus, dass er ein Bürger meiner Heimatstadt Belzig ist. Das kann unter Umständen für mich hilfreich sein, soll er etwa mein Schutzengel werden? Neugierig empfingen mich meine Leidensgenossen. Einige freuten sich, andere waren neidisch über meinen Erfolg. Zur gegebenen Zeit war Abendbrot-Ausgabe, wo jeder seine Portion entgegennahm. Teils nachdenklich, auf ihr karges Essen starrend nahmen alle Achtzehn ihr Abendbrot ein. Als Getränk gab es meistens Muckefuck oder Tee, was allmählich langweilig wurde.

      Nicht mehr hungrig legten sich die meisten auf ihre Betten und vertrieben sich die Zeit mit Rauchen, was mich als Nichtraucher zunehmend belastete. Andere erzählten sich ihre Geschichten. So auch einer, der zum Mörder wurde.

      Sie waren eine intakte Familie, wenn auch hin und wieder Probleme auftraten, doch die waren immer zur Zufriedenheit aller gelöst worden. Seine Eltern zielstrebig und ehrlich, erzogen ihn, Horst, und seine Schwester Inge ebenso. Beide waren Durchschnittsschüler, so dass kaum Beschwerden von Seiten der Schule kamen. Seine Schwester, zwei Jahre älter, bestand als Erste den Abschluss der zehnten Klasse. Ihr Wunsch war es, im Gesundheitswesen tätig zu werden, so entschied sie sich für Krankenschwester. Als vierköpfige Familie lebten sie in einem Einfamilienhaus, glücklich und problemlos. Das Haus hatten die Eltern von ihren Eltern 1945 übernommen, hier kamen auch die Kinder Inge und Horst zur Welt. Die beiden Eltern waren stolz auf ihre Tochter Inge, weil sie ihren kleinen Bruder immer hilfreich unterstützte. Nun war auch Horst so weit, dass er die Zehnklassen-Oberschule erfolgreich abschließen konnte. Er erhielt eine Lehrstelle in einem VEB Chemiewerk, wo er später im Labor als Laborant sich einen Namen machte. Auch sein Vater hatte sich in diesem Werk hochgearbeitet, sein Lohn war entsprechend. Die Mutter von Inge und Horst hatte eine Halbtagsarbeit, am Nachmittag erledigte sie den Haushalt. Jeder hatte eine gute Arbeit und beteiligte sich angemessen am Lebensunterhalt. So lebte die Familie nun schon seit Jahren als könnte sie nichts umwerfen. Bis durch Zufall bei einer Routine-Untersuchung bei der Mutter Krebs diagnostiziert worden ist. Durch diese Feststellung kam schlagartig das familiäre Leben ins Wanken. Durch eine intensive Untersuchung und eine folgende Operation wurde erkannt, dass keine Hoffnung mehr bestehe, die Mutter zu retten. Zumal 1960 nicht nur in der DDR die Krebs-Bekämpfung noch in den Kinderschuhen steckte. Der Vater mit seinen nun schon erwachsenen Kindern war auf das Schlimmste gefasst. Es folgten Tage und Wochen des Bangens, weil sich der Zustand seiner Frau, zusehends verschlechterte. Wenn abends seine Kinder ihrer Wege gingen, war er plötzlich allein. Das nagte an seiner Substanz und er musste sich neu orientieren. An seinen Kindern bemerkte er auch eine gewisse Veränderung, hauptsächlich an seinem Sohn. Seine Frau war in guten Händen, lag sie doch in dem Krankenhaus, wo seine Tochter tätig war. All abendlich brachte Inge düstere Nachrichten mit nach Hause. An einem Morgen sah Inge im Krankenhaus betroffene Gesichter. Ihre Mutter war in der Nacht auf die Intensiv-Station verlegt worden. Dort stattete sie ihr gleich einen Besuch ab, der Arzt riet ihr, sie solle ihren Vater und Bruder benachrichtigen. Als diese eintrafen, konnten sie sich nicht mehr von ihr verabschieden. Sie, die Frau und Mutter, war ihrer schweren Krankheit erlegen.

      Tage später trugen der Vater und seine Kinder die Verstorbene zu Grabe, wohin sie viele Freunde und Bekannten begleiteten. Nach der Trauerfeier wurde eines klar, dass sie viele Freunde gehabt hatte und nicht nur bei ihnen eine Lücke hinterließ. Inge begriff schnell, dass sie die Stelle ihrer Mutter übernehmen musste. Ihr Bruder Horst hatte Probleme, ihn hat es aus der Bahn geworfen. Vater und Schwester konnten ihn nur mühsam in der neuen Situation lenken. Mittlerweile war es spät geworden und es wurde Nachtruhe befohlen, kurz danach erlosch das Licht. Am Morgen wie immer gab es das Frühstück: Brot, zwei Scheiben Wurst und Marmelade. Ein wenig später wurde das Geschirr eingesammelt. Echt erschrocken war ich, als der Schließer in die Zelle rief: „U-Häftling Weiß, fertig machen, Sie werden gleich abgeholt.“ Innerlich machte ich einen Luftsprung, weil der Unterleutnant Wort gehalten hatte. Während des Wartens ging mir alles, was ich in dieser Zelle erlebt und gehört hatte, durch den Kopf. Einige Geschichten, die mir hier bekannt wurden, werde ich sicherlich noch erzählen. Während ich noch Gespräche führte, öffnete ein Schließer die Zellentür, forderte mich auf herauszutreten. Es ging die Treppe hinunter in den Keller, wo sich die Küche befand. Hier übernahm mich ein Koch, der auch ein Häftling war. Dieser setzte mich zum Kartoffelschälen und zur Essenausgabe ein, so bekam ich einen weitläufigen Überblick. Diese Arbeit blieb mir lange erhalten, sie brachte Abwechslung in meinen Tagesverlauf. Die Küche war mit acht Mann besetzt, wobei Küchenarbeit für mich Neuland war. Nach der Ausgabe des Abendbrotes war Küchenreinigung angesagt und somit hatte ich den ersten Arbeitstag hinter mich gebracht. Pünktlich um Sechs war Küchenschluss, wo dann der Unterleutnant die Küche abnahm. Ein JVA-Angestellter brachte das Küchenkommando wie immer in die Küchenzelle. Dort angekommen war mir das frei gewordene Bett vom Küchenchef zugewiesen worden. Das frische weiße Bettzeug lag bereits auf dem Bett, mit welchem ich das Bett bezog. In meinem Spint lag ein weißer Anzug, Socken und eine Mütze, was von nun an meine Bekleidung war. Bis zur Nachtruhe blieb noch genügend Zeit, uns miteinander bekannt zu machen. Es werden zukünftig viele Geschichten zu hören sein, jetzt aber möchte ich die Geschichte von Horst zu Ende erzählen.

      Horst hat den Tod seiner Mutter nicht so gut verkraftet wie seine Schwester, er entwickelte sich zum Sorgenkind. Sein Vater unternahm alles, um seinen Sohn zu motivieren, weil es bereits betriebliche Probleme mit ihm gab. Auch kam er nicht mehr mit seinen Finanzen klar, ein Grund könnten seine Freunde sein. Seine Schwester unternahm auch den Versuch, ihrem Bruder Mut zu machen, obwohl sie es nicht leicht hatte. Familiär musste sie den Haushalt bewältigen und auch ihre Arbeit im Krankenhaus. Dem Vater, im Rentenalter, ging es auch nicht besonders, er brauchte immer mehr Hilfe.

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