Treibsand und andere seltsame Geschichten. Ruedi Strese
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Читать онлайн книгу Treibsand und andere seltsame Geschichten - Ruedi Strese страница 2
Ich bejahte.
„Ja, da lassen Sie es sich ruhig gutgehen. Die Alte ist in Ordnung. Hatte ein heftiges Leben - davon hat sie Ihnen bestimmt erzählt - aber nimmt doch immer alles mit Humor. Ihr Mann damals, das war ein Pfundskerl. Naja, Unfälle passieren. Also… ich quatsche Sie hier voll, aber Sie wollen bestimmt was trinken! Sonst könnten Sie sich ja auch auf die Bank beim Denkmal setzen, oder? Da scheint ja immer die Sonne rauf. Also, was soll’s denn sein?“
„Einen großen Kaffee bitte, ohne Zucker, mit viel Milch. Dazu zwei Stück Kuchen - von dem selbstgemachten, was auf der Tafel steht.“
„Wir haben heute Bienenstich und Apfelstreusel.“
„Ja, dann jeweils ein Stück.“
„Gut.“
Nach nichtmal einer Minute kam er wieder. Kaffee und Kuchen… das paßte.
Er stellte die Sachen auf den Tisch und fing wieder an zu sprechen:
„Sie sehen ja nicht so aus, als wären Sie an dem neuesten Dorfklatsch interessiert, oder?“
„Naja, wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann, stört es mich auch nicht. Also erzählen Sie ruhig.“
„Die Leute hier sprechen über Sie.“
„Über mich?“
„Ja, es heißt, Sie hätten etwas mit diesem komischen neuen Laden zu tun.“
„Neuer Laden?“
Ich war durchaus verblüfft.
„Davon wissen Sie nichts?“
„Nein, ganz und gar nicht!“
„Gegenüber vom Gemeindehaus ist ein neuer Laden. Oben steht auf einem Schild „Videoladen“. Die Auslagen sind gänzlich mit schwarzem Stoff bezogen, bis auf etwa anderthalb Meter Höhe nur diese schwarz bezogenen Auslagen. Darauf liegen ein paar Videokassetten, aber ohne Bilder drauf. Nur so. Dahinter scheint der Raum komplett leer zu sein, aber es ist ziemlich dunkel, ich bin mir nicht ganz sicher.“
Ich schüttelte den Kopf. Was sollte das bedeuten, wenn es denn überhaupt etwas bedeuten sollte?
Er fuhr fort: „Das Komischste ist, der Laden hat nie offen. Dabei ist er erst seit kurzem da, genau, seit Sie bei der Alten wohnen. Deshalb denken die meisten hier, Sie hätten was damit zu tun. Niemand weiß ja, was Sie hier machen und so…“
Ich überlegte, ob ich ihm über meine Tätigkeit in der Gegend berichten sollte, aber entschied mich dagegen und sagte nur kurz:
„Nein, damit habe ich nichts zu tun.“
„Ich glaube Ihnen. Sie wirken wie eine ehrliche Haut. Naja, schauen Sie sich das mal an, zumindest werden Sie es auch seltsam finden. Zumal sich, seit er da ist, gar nichts weiter getan hat. Er ist einfach nur da.“
In der Tat mußte ich mir diesen Laden ansehen. Ich fand ihn wie beschrieben vor. Eine Erklärung wußte ich nicht.
Am Abend berichtete ich meiner Gastgeberin. Diese schüttelte ebenfalls den Kopf.
„Wissen Sie, das ist schon eine komische Geschichte. Aber es betrifft mich nicht. Ich lebe bestimmt nicht mehr lange, und bis dahin kann ich von meinen Erinnerungen gut leben. Ich brauche keine neuen Geschichten.“
Sie schmunzelte, und ich beschloß, das Thema ad acta zu legen und besser kräftig zuzulangen, bevor der hervorragende Wirsingeintopf auf meinem Teller kalt würde.
Die folgenden Tage hatte mich die Arbeit wieder voll in ihren Fängen. Am Tag war ich beschäftigt, die Abende verbrachte ich in der Pension bei gutem Essen und den anscheinend nie versiegenden Anekdoten der Alten.
Irgendwann hatte ich dann wieder nur wenig zu tun und schaffte es, am Nachmittag das Straßencafé für etwas Kaffee und Kuchen aufzusuchen. Diesmal gab es Eierschecke und Rührkuchen. Natürlich mußte ich beides probieren!
Nachdem der Wirt mich bedient hatte, setzte er sich ungeniert zu mir an den Tisch und sah mich mit verschwörerischer Miene an.
„Also… ich hätte Ihnen ja letztes Mal schon geglaubt, aber das ist jetzt doch zu viel, oder?“
„Was meinen Sie denn? Etwas mit diesem Laden?“
„Naja. Jetzt können Sie nicht mehr sagen, Sie hätten nichts damit zu tun, oder?“
„Doch, das kann ich.“
„Hören Sie, ich habe es niemandem gesagt, aber ich habe die Beweise gegen Sie…“
Es kostete mich einiges an Aufmerksamkeit und diplomatischem Vorgehen, um aus den wirren Anschuldigungen und Andeutungen letztlich ein klares Bild bekommen zu können.
Im Laden war in den letzten Tagen etwas geschehen. Er war weiterhin geschlossen, aber dann und wann lief hinter der schwarzen Auslage jemand hin und her, wobei dieser Jemand eine Schweinemaske trug. Er mußte, so wie ich, ziemlich groß sein, fast zwei Meter, denn man sah, wenn er hinter der Auslage lief, nicht nur seinen Kopf, sondern auch einen Teil seines Oberkörpers und - wobei dies wohl der wichtigste „Beweis“ gegen mich war - er trug ein Hemd, genau wie jenes, welches ich bei meinem letzten Besuch in dem Café getragen hatte. Sonst tat er nichts. Auf Gesten und Geräusche reagierte er ebenfalls nicht, ließ sich nicht ablenken, lief nur für einige Minuten hin und her, bis er irgendwann seitlich wieder verschwand.
Ich wußte, daß ich dies nicht sein konnte, ich hatte wahrlich Besseres zu tun. Aber was sollte ich reden, ich würde sehen, daß ich meinen Auftrag möglichst bald erledigen könnte, und dann wäre ich weg, und der Wirt müßte von alleine feststellen, daß sein „Videoladen“ weiter Schauplatz eines seltsamen Geschehens sein würde, auch wenn ich längst fort war. Ich verkniff mir auch die Bemerkung, daß der Wirt es ja auch selbst gewesen sein könnte, er war ja ebenfalls nicht gerade klein. Aber irgendwie - die Sache mit dem Hemd war schon befremdlich, denn ich hatte dieses auf einer Geschäftsreise in Hongkong speziell anfertigen lassen - beschloß ich trotzdem, mich für diese Sache nicht weiter zu interessieren. Auch versuchte ich gar nicht erst erneut, meiner Gastgeberin Gedanken dazu zu entlocken.
Wieder folgten einige Tage beschwerlicher Arbeit, und an einem Freitag, ich hatte viel geschafft, denn ich wollte bald fertig sein, kam ich erst zu später Stunde zu meinem Quartier. Davor stand ein Polizeiwagen.
„Hier darf niemand rein. Ein ungeklärter Todesfall. Beweisaufnahme“ wurde mir erklärt.
„Aber ich habe meine Sachen da oben, ich wohne hier.“
„Nun ja, die Mordkommission wird sich vielleicht für Sie interessieren.“
Nach einem kurzen, aber lästigen Wortwechsel wurde mir schließlich zugestanden, in Begleitung eines Polizisten meine Sachen aus dem Zimmer holen zu dürfen. Was ich auf dem Weg dorthin sah, wirkte so sonderbar, so abwegig… die alte Frau lag unmittelbar vor der Treppe auf dem Boden, sie hatte mein Hemd an, in der Hand hielt sie eine Schweinemaske. Und sie hatte sich Stelzen an die Beine gebunden.