Treibsand und andere seltsame Geschichten. Ruedi Strese

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Treibsand und andere seltsame Geschichten - Ruedi Strese

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der Gattung Lithops einen passenden Platz zu suchen, als plötzlich ein Schatten vor dem Fenster erschien. Es war ein Baum, der seine Wurzeln verloren hatte und nun umherirrte, in seiner neuen Freiheit wohlmeinend Tod und Zerstörung statt Leben bringend. Ich holte Flammenwerfer und Gebetsbuch aus dem Schrank: der Kampf um die Relevanz des Seins hatte begonnen.

      DER GALERIST

      Der Galerist saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Hocker und las. Auf dem kleinen runden Tisch neben ihm, im hinteren Raum der Galerie, stand eine Flasche Rotwein, auf den Mehraufwand eines Glases verzichtete er heute, denn er erwartete keine Besucher. Er rauchte einen Zigarillo nach dem anderen.

      Die letzte Ausstellung war ein eher mäßiger Erfolg gewesen, die nächste Vernissage konnte ruhig noch etwas warten, erst einmal wollte er etwas Zeit für sich haben, das finanzielle Polster war vollkommen ausreichend. Dennoch, es ging ihm nicht gut, wie er sich eingestehen mußte. Abends einsam in der Galerie zu sitzen und Rotwein aus der Flasche zu trinken schien ihm da noch die sinnvollste Weise, um Lebenszeit loszuwerden.

      Da klingelte es.

      Das konnte doch nicht wahr sein!

      Sollte er sich rasch ein Glas nehmen, um seriöser zu wirken? Die Kunstszene war ein Dorf, zumindest, was den Klatsch anging. Ihm lag etwas daran, nicht als das psychische Wrack, das er war, sondern als achtbarer Geschäftsmann von hohem Sachverstand zu gelten. „Die Maröttchen sind ein Privileg der Künstler“ zitierte er sich selbst immer wieder schmunzelnd, wenn seine kunstinteressierten Kunden derartige Dinge ansprachen.

      Erneut klingelte es. Nein, er bräuchte kein Glas. Seine Kunden kannten die Öffnungszeiten, sie kamen eh nur zu den Ausstellungen. Die Künstler machten sich nur nach vorheriger Verabredung auf den Weg. Wenn es aber kein Kunde und kein Künstler war, konnte er den Wein auch aus der Flasche trinken.

      Noch ein Klingeln. Nun reichte es aber! Er stand auf und ging zur Tür. Dort stand ein junger Mann mit kurzen, blonden Haaren, einer lächerlichen Brille mit überaus plumper Fassung und einem roten Wollpullover.

      „Darf ich eintreten?“ fragte der Störenfried.

      ‚Nein, Du Ar***loch‘ wollte er antworten, aber letztlich nickte er nur wortlos.

      Der junge Mann trat ein und sah sich um.

      „Gar keine Bilder hier.“

      Das war keine Frage, auch kein Ausdruck der Verwunderung, sondern eine ganz selbstverständliche Feststellung.

      „Nein, gerade nicht“ brummte der Galerist.

      „Keine Sorge, ich habe welche, die Sie hier hinhängen können.“

      Der junge Mann lächelte, etwas herablassend, zumindest schelmenhaft. Doch ein Künstler… Na, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Der Eindringling holte eine Mappe aus seinem Rucksack und legte sie ohne jeden Kommentar auf den Tisch, direkt neben die Weinflasche.

      Der Galerist öffnete sie. Es waren Kohlezeichnungen. Die erste stellte, klar erkennbar, die Galerie von außen dar. Na sowas! Recht minimalistisch, im Grunde geradezu roh, doch das Wesentliche war getroffen. Darüber, ohne daß sich dies begründen ließ, diese Aura der tiefen Traurigkeit. Oder spiegelte sich in den Bildern nur seine momentane eigene Stimmung? Ihm war klar, daß er hier einen wirklichen Könner vor sich hatte; ihm blieb nichts, als anerkennend zu nicken.

      Er sah zu dem jungen Mann, dessen Gesicht keine besondere Gefühlsregung, jedoch eine gewisse Konzentration erkennen ließ. Er blätterte weiter. Was sollte das…?

      Er sah sich. In der Galerie, mit einer Flasche Wein und keinem Glas am Tisch sitzend, so, wie er gerade eben erst hier gesessen hatte. Und… es war wirklich brilliant gezeichnet. Genial. Unglaublich. Sein Gesicht

      versteinerte, er zögerte… und nahm das nächste Blatt. Dort lag er betrunken am Boden dieses von der Straße nicht einzusehenden Raums. Aber es folgten noch weitere Bilder. Er spürte, aus dem Nichts kommend, eine kalte Hand an seiner Kehle, die ihm langsam die Luft abzudrücken schien. Er ahnte, was kommen würde.

      Nur andeutungsweise hob er das oberste Bild an, um sich zu vergewissern. Er hatte genug gesehen. Nelli… die Frau Reinhard Schellings, seines besten Künstlers, des Zugpferds der Galerie, seiner Haupteinnahmequelle. Sie hatten sich heftig ineinander verliebt und sich abends in der Galerie getroffen. Aber es war aussichtslos gewesen, und niemand hatte es wissen dürfen. Es war immer klarer geworden, wie sinnlos und falsch das alles war, und sie hatten sich jedes Mal hemmungslos betrunken, bevor sie sich auf dem Boden umarmten. Genau in diesem Zimmer.

      Bis sie irgendwann einen Schlußstrich gezogen hatte, indem sie sich von einer Brücke stürzte. Ohne einen Abschiedsbrief. Schelling wußte nichts. Sie hatten sich bei Nellis Beerdigung getroffen, kurz danach hatte er hier eine Ausstellung, zu ihrem Andenken. Eine Künstlerkollegin war verständnisvoll gewesen und hatte von sich aus vorgeschlagen, ihre Werkschau auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

      Der Hang zum Rotwein und eine tiefe Depression waren das, was dem Galeristen von der Zeit mit Nelli geblieben war.

      Lange herrschte Stille.

      „Die Fotos habe ich zu Hause“ sagte schließlich der junge Mann.

      Wieder Schweigen.

      „Was wollen Sie?“ fragte der Galerist schließlich.

      „Berühmt werden.“

      „Und wie?“

      „Ganz einfach. Sie machen eine Ausstellung mit genau diesen meinen Arbeiten, unter dem Titel „Fantasia“, und ich gebe Ihnen die Fotos und die Negative, sowie mein Ehrenwort, daß ich auch keine Abzüge davon behalten werde. Ansonsten…“

      „Aber man erkennt mich… uns… doch trotzdem!“

      „Die Ausstellung heißt „Fantasia"… und in der Fantasie ist alles erlaubt, oder?“

      Der Galerist sah einige Minuten stumm zu Boden.

      „Sie wissen, was mit Nelli passiert ist?“

      Der Zeichner nickte.

      „Was bezwecken Sie damit?“

      „Ich will nur meine Ausstellung.“

      „Sie sind unglaublich gut. Sie hätten hier mit ihren Fähigkeiten auch so jederzeit eine Ausstellung haben können, ohne…“

      Er sprach den Satz nicht zu Ende.

      Der junge Mann lächelte sanft.

      „Sie haben ja aktuell nichts im Programm. Ich lasse Ihnen einfach die Zeichnungen hier. Zur Vernissage erhalten Sie von mir die Mappe mit den Fotos.“

      Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging er aus dem hinteren Raum, durch den vorderen Raum, aus der Galerie hinaus und verschwand in der Dunkelheit.

      Der Galerist atmete schwer und setzte sich wieder an den Tisch. Er betrachtete die Zeichnungen, konnte sein Auge nicht von ihnen lösen und war dabei vollkommen aufgelöst, ein Nichts. Was ihn aber am meisten verstörte, war die Tatsache, daß er dabei auf eine seltsame Weise glücklich war.

      „In

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