Flirmsse. Ursula Engel
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Ursula Engel (geb. 1952) Psychoanalytikerin, leitete nach ihrem Psychologie-Studium eine psychiatrische Station für chronisch psychisch Kranke.
Veröffentlichungen u. a.: „Vom ‚Thorapeutikum‘ nach Chestnut Lodge. Frieda Fromm-Reichmann 1889-1957“, „Zum Verhältnis von Psychiatrie und Pädagogik. Aspekte einer vernunftkritischen Psychiatriegeschichte“.
Ursula Engel
FLIRMSSE
Irre Geschichten aus Spreeblick
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Autorin
Titelbild © Beate Binder
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
INHALT
VORWORT
Gern erinnert sich Barbara an die 1980er Jahre, verbunden mit intensiven, wechselnden Gefühlen, aber immer mit einem Gefühl der Dankbarkeit für die spannenden, bereichernden und sehr besonderen Erfahrungen, die sie machen konnte.
Sie war Stationspsychologin gewesen auf einer Station für chronisch psychisch Kranke, der Station 13 in Spreeblick. Ihre Erinnerungen bündeln sich um zwei stark idealisierte Aspekte: Einerseits sah sie sich als heldenhafte Kämpferin für das Wohl der PatientInnen, obwohl nüchtern betrachtet eigentlich nicht viel mehr passiert war, als dass aus einer überfüllten, undifferenziert belegten Station für vierzig chronisch psychisch kranke Männer (Schizophrene, geistig Behinderte, Alkoholiker, Epileptiker u. a.) eine nach therapeutischen Gesichtspunkten gestaltete Wohnstation für Schizophrene beiderlei Geschlechts wurde. Für Barbaras Gefühl, und vermutlich auch für manche PatientInnen und Schwestern, hatte sich aber eine Revolution ereignet. Die PatientInnen waren ihr nahegekommen, sie hatte gelernt mit vielen ihrer wunderlichen Äußerungen und seltsamen Verhaltensweisen umzugehen. Horizonte der Verrücktheit hatten sich ihr eröffnet, sie hatte existentielle Erfahrungen gemacht und vieles verstanden.
Andererseits denkt sie sehnsüchtig an die Stimmung friedlicher Toleranz zurück, die damals Verrückten und Ausgeflippten aller Art in der gesamten Gesellschaft, besonders in Spreeblick, entgegengebracht wurde. Die Zeit kommt ihr, trotz aller einschränkenden, ärmlichen Begleitumstände, wie sie auf der Station gegeben waren, idyllisch vor. Die optimistische Aufbruchsstimmung der TherapeutInnen erfüllt sie nachträglich mit Wehmut, weil sie endgültig vorbei zu sein scheinen.
Auch nach dreißig Jahren ist sie noch bestürzt vom Leid der PatientInnen, gerührt von ihrer Scheu und der bizarren Unbeholfenheit ihrer Kontaktversuche, die oft ungewollt komisch wirkten. Es ist auch viel gelacht worden.
Die große Angst, die oft geherrscht hatte, fühlt sie nicht mehr, erinnert sich aber noch gut daran. Sie hatte oftmals untergründig gebrodelt, zog sich manchmal stundenlang hin, führte zu einer Lähmung des Denkens und Handelns, bis sie sich schließlich entlud, oft in einer gewalttätigen Aktion, sei es im Ausbruch eines Patienten, sei es durch seine Überwältigung durch das Personal.
Für die Arbeit hat Barbara sich mit Haut und Haaren engagiert, zehn Jahre lang. Sie war manchmal erschöpft und frustriert, oft von Angst gequält, meistens aber eher gelassen und fast fröhlich.
Sie ist stolz auf ihre Arbeit. Sie hat über viele Jahre hinweg zahlreiche PatientInnen gründlich kennengelernt, für die sie mit der Zeit eine Stabilität und Vertrauen verkörpernde Bezugsperson wurde.
Was aber hat sich tatsächlich getan auf der Station 13? Dort hatten vierzig chronisch Kranke gelebt, auf engstem Raum zusammengepfercht, meistens in Vier-Bett-Zimmern, ohne eigenen Schrank, viele sogar ohne Nachttisch. Gemeinsam war ihnen nur, dass sie alle schon jahre- oder jahrzehntelang in Kliniken gelebt hatten und keinerlei Verbindung mehr zum Leben außerhalb hatten: keine Arbeit, keine Wohnung, keine Familie, kein Geld. In mehrfacher Hinsicht also die Ärmsten der Armen, die sich nicht mehr im Alltag außerhalb des Krankenhauses zurechtfinden konnten. Nirgendwo wurden sie geduldet, es gab auch keine Entlassungsmöglichkeiten für sie. Alleine zu leben waren sie nicht fähig, sie in eine andere Einrichtung zu verlegen, machte in den wenigsten Fällen Sinn und war, wenn überhaupt, nur mit größten Schwierigkeiten möglich.
Aus dieser Perspektivlosigkeit entstand Hoffnungslosigkeit, bei PatientInnen und bei BetreuerInnen gleichermaßen. Die hatte eine Art gesetzlosen Zustand