Art of Fake.. Zulehner Christoph
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Art of Fake. - Zulehner Christoph страница 10
Vor meinem Besuch im Autohaus hatte ich mir bereits eigene Gedanken gemacht: Das neue Auto sollte alltagstauglich sein, ein komfortabler Reisewagen und auch vom Design her ansprechend. Daneben gab es die speziellen steuerlichen Regelungen für Firmenwagen zu bedenken. Ich hatte gehört, dass sich bestimmte Fahrzeuge für Selbstständige rechneten, während andere leicht zur Kostenfalle werden konnten. Herr Stangl gab mir das Gefühl, meine Bedürfnisse auf Anhieb zu verstehen. Ich fühlte mich abgeholt. Zwar merkte ich schnell, dass seine Leidenschaft mehr der Technik galt als den Preisen und den Prozenten. Doch erstens sah ich ihm das nach. Und zweitens hatte ich bei den Fahrzeugen, die in die engere Wahl kamen, noch durchaus Fragen zu technischen Details: Ab welcher Motorleistung war man kein Verkehrshindernis mehr? Welcher Verbrauch war in der Praxis realistisch? Was für eine Rad- und Reifenkombination bot den besten Kompromiss aus Handling und Komfort? Diese und weitere Fragen beantwortete Herr Stangl souverän. Er zog alle Register, sprudelte nur so vor Fachwissen und hatte immer eine eigene Meinung.
Die ganze Szene im Verkaufsraum erinnerte mich an eine typische Situation in der Schule. Vielleicht erinnern Sie sich auch daran? Ich meine jene Schüler, die ausnahmsweise einmal richtig gut vorbereitet zu einer Stunde kamen und dann unbedingt drankommen wollten. So wirkte auch Herr Stangl auf mich: richtig gut vorbereitet und glücklich, dass er heute drankam und so viel erzählen durfte. Dabei trat der junge Mann zu keinem Zeitpunkt besserwisserisch oder gar arrogant auf. Sehr entspannt, lässig und nahbar kam er mir vor. Später, viel später erst gestand mir Herr Stangl, er sei bei diesem Gespräch so nervös gewesen, dass er sich fast in die Hose gemacht hätte. Doch noch erkannte ich ihn nicht als Faker. Vielmehr wollte ich langsam den Sack zumachen und ein Auto bestellen. Zunächst setzte sich Herr Stangl mit mir an einen Tisch mit Computer. Dort spielte er verschiedene Konfigurationen durch.
Am Ende waren nur noch die finanziellen Konditionen und die steuerlichen Fragen offen. Zum ersten Mal wirkte Herr Stangl jetzt ein klein wenig unsicher. Es war nur eine minimale Veränderung seiner Ausstrahlung, aber doch spürbar. Fast im selben Moment ging die Eingangstür auf und eine kleine Gruppe von Männern in dunklen Anzügen kam herein. Offensichtlich kamen da Mitarbeiter aus der Mittagspause zurück.
Fast ein wenig erleichtert sagte Herr Stangl: „Da kommen unsere Verkäufer. Ein Kollege übernimmt gleich bei Ihnen. Mit ihm besprechen Sie dann auch die kaufmännischen Konditionen.“
Mir passte das ganz und gar nicht. Selbstverständlich wollte ich den Ansprechpartner, der mich so überzeugt hatte, jetzt auch behalten.
Also sagte ich: „Herr Stangl, das können wir doch miteinander besprechen.“
„Das darf ich leider nicht“, entgegnete er. „Ich bin noch in der Ausbildung.“
Selten war ich so überrascht. Beinahe hatte ich schon beschlossen, bei diesem kompetenten Verkäufer zukünftig alle meine Autos zu kaufen. Und dann entpuppte er sich als Lehrling. Herr Stangl hatte das Verkaufsgespräch nur geführt, weil die wirklichen Verkäufer zu Tisch waren. Was für ein cooler Faker!
BELLA FIGURA MIT SCHLOTTERNDEN KNIEN
Seit der Spätphase der Industriegesellschaft spielen Spezialisierung und Expertentum eine so zunehmend große Rolle, dass an der Kulturtechnik des Fakes kaum noch jemand vorbeikommt. Es gibt nur noch wenige Wirtschaftszweige, in denen Einsteiger Fuß fassen könnten, ohne zumindest ein wenig zu faken. Im Kundenkontakt ist der Fake ohnehin längst Pflicht. Der Kunde erwartet überall den Experten, den Profi, den kompetenten Berater. Je unübersichtlicher das Angebot, desto mehr zählt Beratung zur Kernleistung. Mehr noch: Die Kombination aus Dienstleistung und tangiblem Produkt wird zum Standardfall. Doch wer kann mit 18 oder 20 Jahren schon ein mit allen Wassern gewaschener Branchenguru sein? Zumal, wenn das Wissen in fast jeder Branche immer schneller veraltet und das in der Ausbildung Gelernte bereits nach wenigen Jahren wertlos ist? Der Markt verlangt heute von den Repräsentanten eines jeden Unternehmens, dass sie gegenüber dem Kunden Bella Figura machen – und sei es mit schlotternden Knien.
Vielleicht hatten Sie ja nach der Lektüre der ersten drei Faker-Geschichten in diesem Buch den Eindruck, dass der Fake das Erfolgsgeheimnis einer Clique der Supererfolgreichen ist: der Weltunternehmer, der Sportstars, der Paradiesvögel der High Society. Das ist der Fake ganz sicher auch. Doch längst ist er eine unerlässliche Kernkompetenz für alle, die in einer sich immer schneller wandelnden Arbeitswelt überhaupt einen Job haben und produktiv sein wollen. Für einen Johannes Stangl, seinerzeit Lehrling in einem Autohaus in Oberösterreich, gelten genau die gleichen Erfolgsprinzipien wie für einen Elon Musk, den Gründer von Tesla Motors, der wie aus dem Nichts mit Elektroautos reüssierte und damit eine ganze Branche das Fürchten lehrte.
In meinem früheren Buch „Make the Fake: Warum Erfolg die Täuschung braucht“ erkläre ich diese Zusammenhänge ausführlich. Darin erzähle ich auch die Geschichte, wie der 17-jährige Krankenpflegeschüler Christoph Zulehner einst zum Faker wurde: Während meiner ersten Nachtwache im Krankenhaus, bei der ich allein für 35 Patienten zuständig war, kollabierte prompt eine Patientin – und mir blieb nichts anderes übrig als der Fake. Ich tat so, als ob Reanimation für mich eine tägliche Routine sei. Ähnlich wie Butter aufs Brot streichen oder Kamillentee in Schnabeltassen gießen. Ich gebe zu, dass meine Sympathie für den Lehrling Johannes Stangl auch etwas mit dieser biografischen Parallele zu tun haben könnte. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen den jugendlichen Fakern Stangl und Zulehner: So etwas wie meine damalige Aktion bezeichne ich heute als einen „unbewussten Fake“. Stangl war hingegen schon sehr viel näher am „bewussten Fake“.
Ein unbewusster Faker hat Vertrauen in sich selbst; ein bewusster Faker gibt zusätzlich ein Versprechen an sich selbst ab. Als während meiner ersten Nachtwache eine sehr nette ältere Dame beschloss, ihre Herztätigkeit einzustellen, rutschte mir nicht nur das Herz in die Hose, sondern mir blieb auch kaum eine andere Wahl, als beherzt zu handeln. Ich traute mir das zu und tat etwas, das ich als Lehrling eigentlich noch nicht durfte. Das war bei Johannes Stangl genauso. Mit dem Unterschied, dass er leichter hätte kneifen können. Er hätte zum Beispiel das tun können, was in vielen Autohäusern ohnehin geschieht: den potenziellen Kunden, der da ohne Termin hereinschneit und um die ausgestellten Fahrzeuge schleicht, einfach ignorieren. Selbst wenn ich ihn angesprochen hätte, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, den Fake zu vermeiden. Er hätte sagen können, dass die Verkäufer zu Tisch seien und ich mich bitte gedulden solle, bis sie zurück sind. Selbst wenn er mir eine Tasse Kaffee angeboten und mir ein paar Prospekte gereicht hätte, wäre er auf dem sicheren Boden dessen geblieben, was er als Auszubildender sollte und durfte. Aber Herr Stangl wollte es wissen. Sein Versprechen an sich selbst lautete: Ich zeige dem Kunden jetzt schon, was ich einmal können möchte. So gut es geht. Obwohl ich es noch nicht darf. Nicht um den Kunden zu täuschen, sondern weil ich es sonst vielleicht nie lerne.
„ICH LERNE NOCH“ – WER EIGENTLICH NICHT?
Es hätte nur ein winziges Detail am Outfit von Johannes Stangl anders sein müssen und sein mutiger Fake wäre ihm unmöglich gewesen. Ahnen Sie, was ich meine? Bestimmt sind Sie als Kunde irgendwo schon einmal von einem jungen Menschen bedient worden, der einen Anstecker mit dieser Aufschrift trug: „Ich lerne noch.“ Was macht ein solcher Anstecker mit Ihnen als Kunde? Keine Frage: Er schraubt Ihre Erwartungen auf die Höhe der Auslegeware herunter. Sie glauben sofort zu wissen: Der kann noch nichts – und der wird deshalb auch nichts für mich tun können. Vielleicht geben Sie dem Lehrling dennoch eine kleine