New Cage. Johannes Fischler

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New Cage - Johannes Fischler

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neuen Gesetzmäßigkeiten, neuen Protagonisten, neuen Göttern und natürlich auch neuen Selbstbildern derer, die in diese Welten eintauchen. Eine Geschichte der Esoterik gibt es nicht. Lassen Sie uns lieber von einer Historie des Esoterischen sprechen. Esoterisches oder das, was wir heute darunter verstehen, ist und war in der Menschheitsgeschichte stets allgegenwärtig. Mal eher am Tageslicht, meist aber im Verborgenen, im Okkulten. Esoterik, Religion und Wissenschaft koexistierten seit jeher in gegenseitigem Wechselspiel.

      Doch egal in welcher Ausformung, der Reiz des Metaphysischen bestand immer schon im Nicht-Offensichtlichen, das es noch zu entdecken galt. Der Zugang zu obskurem Wissen war fortwährend ein gut gehütetes Geheimnis, in welches nur wenige Ausgewählte Einlass erhielten. Esoteriker bildeten so seit jeher eine heimliche Elite. Sie waren Geheimnisträger und verstanden sich als Hüter eines „heiligen Grals“, als Torwächter zu einer obskuren Innerlichkeit. Glücklich schätzen konnte sich demnach jener, welchem der Zutritt in die Halle des Bergkönigs1 gewährt wurde.

      Wie wir schon am Namen des vermeintlichen esoterischen Urvaters, Hermes Trismegistos, erkennen können, zeichnete sich innerweltliches Wissen also immer schon durch seine Exklusivität aus. Es war eben eine hermetische, nach außen abgeriegelte Welt. Eine Sphäre, von der die breite Masse ausgeschlossen war, ja regelrecht sein musste. Und so inszenierte man noch bis ins späte 19. Jahrhundert magische Rituale stets in kleinen Zirkeln Gleichgesinnter. Übersinnliche Séancen und die Anrufung bereits Verstorbener waren vornehmlich die Angelegenheit weniger Reicher, deren Erlebnishunger über das Diesseitige hinausgriff. Obschon hier der Okkultismus zu einer Art „Chic“ des betuchten Bürgertums und des Adels avancierte, markierte die magische Praxis immer noch ein diskretes Insignium einer gewissen Schichtzugehörigkeit. Man konnte es sich leisten, sich gemeinsam zur Geisterbeschwörung auf seinen Landsitz zurückzuziehen. Manche erwiesen sich dieser höheren Ebenen würdig, andere wiederum nicht. So jedenfalls präsentierte sich die „Old School“ des Spiritismus, oder nennen wir sie lieber die Esoterik des alten Paradigmas.

      Und was geschah dann? Industrialisierung und Flucht in Wirklichkeiten

      Mit dem Siegeszug der Industrialisierung und dem damit verbundenen Wertewandel erfuhr das Esoterische vor allem im beginnenden 20. Jahrhundert einen nie dagewesenen Aufschwung. Der seinen bisherigen Bezugssystemen entrissene Mensch sah sich angesichts des zunehmenden Diktats von Technik und Zweckmäßigkeit nun endgültig einem viel zu aufgeklärten, alles verschlingenden Kosmos gegenüber. Drehte sich die Welt seit Beginn der Aufklärung mehr und mehr wie ein wundervolles großes Uhrwerk, so war das Getriebe des Daseins Ende des 19. Jahrhunderts zu einer alles zermalmenden Tretmühle geworden. Der Mensch, die ehemalige Krone der Schöpfung, fand sich plötzlich als Sklave seiner eigenen Schaffenskraft wieder. Stechuhr und Rationalitätsdoktrin bestimmten seine Existenz. Der, der sich nach dem Ebenbild Gottes geformt glaubte, war unversehens nur mehr ein kleines Rädchen, verloren im großen Apparat des Kapitalismus. Eben nur mehr das, was Charlie Chaplin in seinem Film „Modern Times“ so sinnbildlich zum Ausdruck bringt: ein Niemand, verloren im übermächtigen System, ein bloßer Spielball des Fortschritts.

      Wen wundert’s, wenn Funktionalismus und technokratische Rationalität für viele schon damals zum Feindbild par excellence wurden? Man konnte mit der Modernisierung kaum noch Schritt halten. Und so erwuchs die Sehnsucht nach einer neuen Menschlichkeit, einer neuen Menschheit. Eine Besinnung auf das Wesentliche, eine neue Innigkeit wurde gepriesen. Die zu dieser Zeit kursierenden Ahnenlehren und Kosmologien zeugen von dem Verlangen, dem Menschen ein Gefühl von Wert und vor allem Mächtigkeit wiederzugeben. Vieles wurde unternommen, was einer „Wiederverzauberung“ der Welt dienlich sein sollte.

      Das erste Drittel des 20. Jahrhunderts könnte man demnach als großes Projekt gemeinschaftlicher Wirklichkeitsflucht bezeichnen. Und hier meinen wir vor allem die Flucht in Wirklichkeiten. Okkulte Strömungen und magische Weltsichten schossen wie die Pfifferlinge aus dem Boden. Und so markierte dieser Abschnitt einen ersten Kulminationspunkt einer durch viele Bevölkerungsschichten dringenden, esoterischen Breitenströmung. Was Helena Blavatsky, die Grande Dame des Okkultismus, noch im Jahre 1875 als „die Geheimlehre“ [2] (The Secret Doctrine) etikettierte, verdiente ein halbes Jahrhundert später kaum mehr den Namen. Das ehemals noch Verborgene, die einstigen Geheimnisse avancierten zu einer Art esoterischen Mode. Und diese präsentierte sich beinahe schon im Gewand einer Massenbewegung.

      Und wie, glauben Sie, ist diese Geschichte weitergegangen?

      Unser Leben ist zweifelsohne noch schneller geworden. Im Informationszeitalter mutiert unsere Lebensumwelt mehr und mehr zu einem total vernetzten Dorf. Und das in einem Tempo, in dem sogar Zukunftsforscher zur „Verzögerung der Zeit“ [3] aufrufen. Nur mit Burn-out bleibt man in. Wie heißt es doch so schön? Speed kills. Hunger, Tod, Ausbeutung und Verderben brechen tagtäglich, nein viertelstündlich in Newsflash-Gewittern über uns herein. Diese werden wie Donnerkeile vom medialen Gott in unsere Privatsphäre geschleudert. Von Terrorismus bis Klimagau, die Sendboten des Chaos sind im Echtzeit-Zeitalter omnipräsent. Wir sind umzingelt von lauter Informationen und diese Informationskultur formt unser Befinden. Sie stellt uns allerorts nach und permanent werden wir mit unserem scheinbaren Unvermögen konfrontiert. „Global“ ist da noch nicht genug. Wir schaffen es ja nicht einmal, das Universum sauber zu halten. Noch produzieren wir ja nur Weltraumschrott, doch bald gehören wir wohl selber zum alten Eisen. Als wäre der Homo sapiens bloß ein tragischer Irrläufer der Evolution, ein verwunschenes Enfant terrible, unfähig, den Planeten nicht doch noch zu ruinieren, oder wenigstens begabt genug, sich selbst auszurotten. In einer derartigen Leitkultur des Infotainment – Matthias Horx prägte sehr treffend den Ausdruck „Krisotainment“ [4] – verlieren wir endgültig jedes Gespür für eine Wirksamkeit unserer selbst. Das Fühlen verflacht sich heute zum sogenannten „Feeling“. „Feeling“ ist eine Ware und wird uns erfolgreich verkauft. Ihr Erwerb macht uns scheinbar frei und lässt uns die quälende Ahnung von Bedeutungslosigkeit für kurze Augenblicke vergessen. Der eigene Gemütszustand wird so zum Konsumgut, der Zeitvertreib zur Profession. Doch wir können machen, was wir wollen: Hinter allem lauert stets diese gähnende Leere.

      Neue Wirklichkeiten machen den Niemand zum Jemand

      Umso mehr ertönt in diesem Umfeld der Ruf nach Sinnhaftigkeit und Geltung. So wie damals sehnt man sich danach, irgendwo doch noch so etwas wie Selbstwirksamkeit entfalten zu dürfen. Denn sich als handelndes Agens wahrzunehmen liefert erst die Grundbedingung dafür, sich als ein Jemand zu empfinden. Wie Thomas Metzinger [5] und zahlreiche Denker vor ihm betonen, hängt die Wahrnehmung von Agentivität eng mit unserem Bewusstsein für Subjektivität zusammen. Bleibt die Erfahrung eigener Einflussnahme jedoch aus, verblassen wir unversehens zu dem, was ein alter Beatles-Song so treffend ins Bild rückt: ein „nowhere man, sitting in his nowhere land“. Und wer will das schon sein? Der Mensch der Postmoderne verlangt nach neuen Songtexten, neuen Sphären des Aktiv-Werdens, schlicht nach neuen Wirklichkeiten.

      Maßgeschneiderte Seins-Dimensionen gibt’s mittlerweile zuhauf. Dabei faszinieren virtuelle Gefilde à la „Word of Warcraft“ (Wo W) heute nicht nur Kinder und Jugendliche. Auch die sozialen Netzwerke des Internet fungieren mehr und mehr als Spielräume einer nicht unbedingt realen, aber dennoch wirksamen Identitätserfahrung.

      Die sogenannten „Second Lives“ lediglich als unechte Spielereien abzutun würde ihrer Bedeutung nicht gerecht. Ob wir uns auf die moderne Hirnforschung beziehen oder uns unsere eigenen Beobachtungen ins Gedächtnis rufen: Man wirkt und handelt doch ganz und gar erfahrbar in diesen Cyber-Räumen. Hier erlebt sich der Protagonist geradezu „in Action“. Spielen befreit eben ungemein und rettet den Involvierten aus seiner alltäglichen Ohnmacht. Oder haben Sie sich noch nie in einem Spiel regelrecht verloren? Nicht umsonst spricht man vom Homo ludens. Dieser empfindet die damit einhergehende Selbstvergessenheit als lustvoll und gerade das macht künstliche Identitätsangebote ja auch so beliebt. Dabei lässt sich eines wohl unbestreitbar festhalten: Wirklichkeiten

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