New Cage. Johannes Fischler
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Folgt man dem Ergebnis dieser Untersuchung, bedürfen gesellschaftliche Spannungen weniger politischer Lösungen als viel eher energetischer Säuberungen. Quelle: [15]
Es sind schon lange nicht mehr die Spinner
Die Marketingfachleute haben den allgemeinen Trend längst aufgegriffen. Man spricht vom Entstehen einer „neuen Bewusstseinsindustrie“, und das in einer „Gesellschaft der Sinnsuchenden“ [16]. Die sogenannten „Sinntouristen“ werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren an die „40 Prozent aller Urlauber“ ausmachen, konstatiert Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut Kelkheim. Dazu passen Berechnungen der Dresdner Bank, wonach die deutschen Bundesbürger bereits jetzt pro Jahr „an die neun Milliarden Euro in Lebenshilfe, Orientierung, Selbstverwirklichung und Sinnsuche“ investieren. Von einem Industriezweig zu sprechen scheint da wohl kaum übertrieben. In diesem Umfeld gereicht so etwas wie „yogisches Fliegen“ nicht mehr zur Besonderheit. Ganz im Gegenteil: Ehemals „Esoterisches“ wird zusehends zu einer Art Volkssport. Wer hier nicht mitmacht, stellt sich geradewegs ins Aus.
Schon Georg Lukács (1916) ortete ein Zeitalter „transzendentaler Obdachlosigkeit“ [17]. Und von einem Rückgang des religiösen Hungers will wohl niemand ernsthaft reden. Umso vielversprechender demnach die Frage, welche Form die spirituellen Einhausungen dieser Tage angenommen haben. Eines kurz vorweg: Esoterisches Gedankengut ist uns keineswegs fremd. Es ist vielmehr zum selbstverständlichen Geistesgut unserer Gesellschaft geworden.
Von rosaroten Panthern
Wer hat an der Uhr gedreht? Theologen wie Paul M. Zulehner bemerken vor allem seit den Neunzigerjahren einen „Megatrend zur Respiritualisierung“ [18] unserer Lebensweise und damit einhergehend eine kontinuierliche Verfärbung unserer sozialen Wahrnehmung. Ehemals Exotisches wird nicht mehr als solches identifiziert. Und wenn uns das Rosa der Esoterik nicht mehr ins Auge sticht, mag das auch folgende Gründe haben:
Vielleicht tragen wir alle bereits rosarote Brillen. Paulchen Panther wäre demnach für unser Auge kein Verdächtiger mehr. Er erschiene ganz einfach wie einer von vielen. Um ihn zu finden, müssten wir den Filter aus unserem Blick entfernen, aber wie soll das gehen?
Angenommen unsere Landschaft hätte sich inzwischen rosarot verfärbt: Wiesen und Blumen, alles pink. Paulchen und seine Freunde wären demnach kaum sichtbare Phantome, Ton in Tönchen mit ihrer Umwelt. Dann täten wir gut daran, wenigstens ihren Fußspuren nachzugehen.
Möglicherweise hat Paulchen auch sein Fell gewechselt. Nach einem rosaroten Zeitgenossen zu fahnden erwiese sich nicht nur sinn-, sondern auch chancenlos. Womöglich ist Indigo der neue Trend? Doch dazu noch später.
Was, wenn sich herausstellt, dass wir überhaupt keine Paulchen finden können? Und das vor allem deshalb, weil wir selbst bereits zu rosaroten Panthern mutiert sind? Vielleicht sehen wir nur deshalb keine esoterische (Massen-)Bewegung, weil wir schon selbst in Bewegung sind. Vielleicht sind es vielmehr wir selbst, die wir suchen oder doch eher untersuchen sollten.
Vermutlich ist es, wie so oft, eine Mischung, die der Wahrheit am nächsten kommt. Hartmut Zinser, Professor für Religionswissenschaft an der FU Berlin, thematisiert diese Schwierigkeiten in unserer Wahrnehmung. „Die Esoterik dringt zunehmend in den ganz normalen Alltag ein“, erklärt der Religionswissenschaftler. Ursprünglichkeitssehnsucht, Apparateglaube, Technikfaszination und die Begeisterung für Magisches werden bedient. Esoterische Angebote wirken für Zinser wie „schwankende Gestalten“ zwischen Wissenschaft und Religion. Spiritistische Produkte und energetische Dienstleistungen etablieren sich zusehends zu fixen Bestandteilen der täglichen Konsumation. Der Szenekenner fasst zusammen: „Viele nehmen sie schon gar nicht mehr als esoterisch wahr. Und das macht es so problematisch.“ [19]
Keiner ist Esoteriker, aber der Markt ist da: die Zahlen der Zahlenden
Esoterik hat was von „Modern Talking“, jeder findet sie dämlich, doch das Geschäft boomt trotzdem. Von „Schamanismus“ über „Okkultismus“ bis hin zu „Kohlemachismus“ reichen die Headlines, „zehn Milliarden Euro“ generiere der Handel mit magischen Erzeugnissen und Diensten Jahr für Jahr in Deutschland. So eine vorsichtige Expertenschätzung aus dem Jahre 2004 [20]. Aber dennoch, „wie groß der Esoterik-Markt wirklich ist, weiß niemand – zumal schon Volkshochschulen Handauflegen in ihren Katalogen haben“, schreibt Die Welt. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass es immer mühsamer wird, Magisches und Nicht-Magisches auseinanderzuhalten. Denn, „die Esoterik ist längst keine Spielwiese mehr für ein paar Spinner, sondern hat sich tief in die Gesellschaft eingeschlichen“, bemerkt die Kult- und Sektenexpertin Ursula Caberta [20]. Wir haben es also mit einem Unschärfeproblem zu tun. Doch wie verschwommen unsere Sicht der Dinge auch immer sein mag, es geht hier in jedem Fall um einen Milliardenmarkt, der stetig wächst.
So gehören Neo-Spiritualität und das Faible für Übersinnliches zu den Kerngebieten der Konsumforschung, und das nicht von ungefähr. Spricht der Spiegel noch im Jahr 1994 von einem Marktvolumen von circa 18 Milliarden DM jährlich [21], so schätzt Eike Wenzel die Umsätze in diesem Segment 2010 bereits auf 18 bis 20 Milliarden Euro [22]. Und das in einem Jahr, wo uns allen noch die Finanzkrise im Nacken saß. Ein Abflauen des Hypes ist nach Wenzel nicht in Sicht. Bis 2020 soll der Umsatz mit spirituell-esoterischen Angeboten auf ganze „35 Milliarden“ Euro ansteigen [19]. Nur zum Vergleich: Die deutsche Brauwirtschaft setzt aktuell gerade einmal knappe acht Milliarden Euro um [23]. Und wehe dem, der auf diesen Zug nicht aufspringt. Denn beim „Konsum zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab“ [24]. Fernab von schnöden Statussymbolen etabliert sich „Sinnsuche als neue Wirtschaftsgröße“. Die Flyer der Wirtschaftsberater sprechen von „gigantischen Zukunftsmärkten“. Nicht umsonst gehören Transzendenz, Selbstfindung und Esoterik schon längst in jede bessere Marketingschulung. Vom mystischen Waschmittel oder dem „Balance-Kaugummi“ bis hin zur Partnervermittlung im Dienste der Selbstvervollkommnung: Unsere Produkt- und Dienstleistungswelt erfährt zusehends eine spirituelle Aufladung.
Doch auch klassische Magie kann an diesem Kuchen mitnaschen. „Eine Viertelmilliarde“ sollen die rund 10.000 haupt- und nebenberuflichen Wahrsager und Handaufleger einnehmen. 150 Millionen Euro erwirtschaftet die Astrologiebranche, „mehrere hundert Millionen der seit Jahren zum Teil zweistellig wachsende esoterische Buchmarkt“, so die Zahlen in der Welt [20]. [20]
Dass auch noch altgediente Hellseherei durchaus profitabel vermarktet wird, beweist beispielsweise das Berliner Unternehmen „Questico AG“. Astrologie-Shows der Marke „Astro TV“ im Fernsehen und Telefonberatungen zählen zu seinen Einnahmequellen. Matthias Pöhlmann und die „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (Berlin) beziffern den Umsatz bei Questico auf jährlich 70 bis 80 Millionen Euro [25]. Rund eine Million Questico-Kunden gelten als registriert. Über die Questico-Hotlines laufen täglich mehr als 20.000 Gespräche. 2600 „Experten“ – ihres Zeichens Kartenleger, Wahrsager, Astrologen, Hellsichtige und Sensitive – bieten „liebevolle, kompetente Lebensberatung“, natürlich gegen Geld, minutengenau abgerechnet versteht sich.