New Cage. Johannes Fischler
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„Mit deiner Hilfe erfülle ich meinen Lebensplan.“
So tat Manuel alles, um seiner neuen Rolle als Lichtbotschafter auf Erden gerecht zu werden. Engelsseminare, Heilsingen-Wochenenden, Channeling-Kurse: Kein Weg war ihm zu weit, um seine Tuchfühlung ins Feinstoffliche beständig neu aufzufrischen. Finanzielles spielte in der Welt des Transzendenten keine Rolle, denn nun war alles Energie. Der Arztkoffer mit Lichtessenzen durfte dabei niemals fehlen. Es wurde gereinigt, entstört und energetisch versiegelt, was das Zeug hält. Für Manuel war jede Begegnung von Bedeutung, jeder Mitmensch ein Auftrag. „Es kann doch kein Zufall sein, dass wir das notwendige Geld dafür schon am Sparbuch haben“, beteuerte er dabei immer wieder. Der spirituelle Webshop5 erschien plötzlich als Startseite. Seinen Job hatte er längst an den Nagel gehängt, ein weiterer Beweis seiner Ergebenheit.
„Engel Hariel“ – „Ich vertraue mich dem Leben an.“
Manuela war nun für die finanzielle Grundversorgung zuständig. Zeitweise schwankte sie, doch die zahllosen Workshops halfen auch ihr, dieses wichtige Urvertrauen wieder zu erlangen. Und wenn die Sorgen ihr wieder einmal eine schlaflose Nacht bescherten, dann, ja dann wachte Erzengel Essenz „Jophiel“ verlässlich am Nachttisch. „Lebensfreude – Leichtigkeit – Intuition statt Verstand“: Der Anbieter versprach kaum zu viel. Schließlich wollte auch Manuela ihren Lebensplan in die Tat umsetzen.
„Engelsessenz No. 35“ – „Engel für Tatkraft und Erfolg“ [52]
Und so fanden Licht und Karmaerlösung ihren Weg bis in die Lüftungsanlage des örtlichen Krankenhauses. Per Pumpzerstäuber forcierte Manuela das globale Erwachen. Manuel und Manuela betrachteten sich nämlich als spirituelle Transformatoren. Je mehr Weltliches sie investierten, desto eher konnte das Neue Zeitalter Wirklichkeit werden. Dargebrachtes Geld und, nicht zu vergessen, der geopferte Verstand fungierten als Brennstoff und Beschleuniger in diesem Geschäft. Ballons, aufgebläht mit heißer Luft – je dünner die Atmosphäre, desto heiterer die Stimmung. Und die Engel? Die applaudierten, ja sie feuerten geradezu an. So wurde der globale Aufstieg derweil von den zwei Auserwählten zwischenfinanziert, immerzu aus eigenen Mitteln, dem Kapital für den Hausbau.
„Engelsessenz No. 17“ – „Engel für Wohlstand und Fülle“
Dieser würde sich lediglich ein wenig nach hinten verschieben. Immerhin hätten die „Angies“, wie Manuela sie liebevoll nannte, als Belohnung einen Lottogewinn prophezeit und Manuel würde bald als „Energethiker“ seine Brötchen verdienen. Und übrigens, wer Geldsorgen hat, der braucht nur die „Grüne Tara“ anzurufen. Die lässt keinen Liebesdelegierten im Stich. Mit der Affirmation „Om tara tuttare ture soha … kommt Geld in dein Leben“6. Der Rest erfordert wohl kein Übermaß an Phantasie.
Manuel und Manuela lebten ihr spirituelles Erwachen mit aller Konsequenz. Zeitweise konnten sie sogar Mitstreiter für diese höhere Sache gewinnen, doch gegen die zunehmende Kritik aus dem Umfeld half dennoch kein Mittelchen. Man beschloss abermals, seiner Intuition Folge zu leisten und übersiedelte ins schöne Kärnten. Schließlich ist der Prophet im eigenen Land nichts wert, das weiß doch jeder. Und als ob es die überirdischen Instanzen so gewollt hätten – die neue „Familie“ erwartete die beiden schon mit offenen Armen. Aber der Geldsegen stellte sich nicht ein. Ganz im Gegenteil: Auf ihrem Werbefeldzug für die Engelswelt transformierte sich das Angesparte in reine Energie. Ob das Universum gerecht ist, bleibt hier unbeantwortet. Ein Haus haben die beiden noch keines gebaut, jedenfalls nicht in dieser Dimension. Übrigens: „Esoteriker“ waren Manuel und Manuela nie. Damit hatte man freilich nichts am Hut. Und Sekten? „Das sind sowieso nur allesamt Spinner!“
Ein kurzes Resümee: All ihr Geld wechselten Manuel und Manuela gegen das buchstäbliche Gar Nichts. Andere wiederum verstehen es sehr gut, dieses Nichts äußerst gewinnbringend an ein immer breiter werdendes Publikum zu verkaufen. An welche großflächigen Trends esoterische Unternehmer dabei andocken, beleuchten wir auf den nun folgenden Seiten.
Manuel – ein Einzelschicksal?
Glauben Sie wirklich? Dann gedulden Sie sich noch bis Kapitel 4. Denn der Facettenreichtum an energetischen Webshops zeugt von der Einträglichkeit dieses Geschäfts mit Essenzen, Kristallen und dergleichen. Der Tauschhandel „Geld gegen gar nichts“ blüht und so liefert uns Manuel nur ein Musterstück für allzu zahlreiche spirituell-esoterische Werdegänge: Ein gutgläubiger Jemand sehnt sich nach Wahrheit und Erfüllung und driftet dabei vollends in eine Parallelwelt ab. Was bei manchen mit harmlosen Meditationen anfängt, endet bei anderen im finanziellen Desaster.
Laut der Düsseldorfer „Identity Foundation“ sowie der Universität Hohenheim ist inzwischen jeder siebte Deutsche ein „spiritueller Sinnsucher“. „Bereits 15 % der erwachsenen Bevölkerung“, demnach immerhin sechs Millionen Menschen, „sind aktiv auf der Suche nach spiritueller Neuorientierung“ [53]. Tendenz steigend. Damit hat man bereits die „Traditionschristen“ hinter sich gelassen. Mit einem Marktanteil von lediglich 10 Prozent gehören diese wohl oder übel zum alten Eisen.
Derartige Zahlen erschallen wie ein Weckruf in den Ohren kluger Geschäftemacher. Denn wer Transzendenzhunger und Erfahrungssehnsucht nicht bedient, dem schwimmen im globalen Tauwetter die Felle davon. Derjenige aber, der schlau genug ist, dieses Klima zu nützen, der kann ein gut gedüngtes Feld bestellen. Wer hier kräftig aussäht, dem ist eine reiche Ernte gewiss.
Guru war gestern
Doch es sind eben nicht die herkömmlichen Guru-Kulte und Sekten, die zum einträglichen Business werden. Zu viel Aufwand, zu viel Publicity und zu viele lästige Anhänger brächte ein Sektierertum alter Schule mit sich. Die Kasse würde vielleicht stimmen, doch wer will schon gerne tagelang im Schneidersitz verharren, sich den Bart in die Suppe hängen lassen und den Guru markieren? So etwas bedeutet harte Arbeit. Fortwährendes meditatives Training, Chi Gong, stundenlanges Chanten von betörenden Mantren, den ganzen Tag barfuß herumlaufen, überall Räucherstäbchen und tagein tagaus dröhnende Sitar-Klänge: Das geht an die Substanz. Immerzu müsste man seine Schäfchen im Zaum halten, nur um dann womöglich noch von lästigen Reportern bloßgestellt zu werden. Und das vielleicht noch komplett in Weiß oder Orange gekleidet, wer will das schon?
Die Religionsschaffenden von heute gehen andere Wege. Ausgesprochen elegant finden sich diese in unserem „Brand Yourself“-Zeitgeist zurecht. Liefert doch dieser ein Milieu, in dem Bedeutung und Image vom Kunden selbst erworben werden. Die hieraus resultierende Eigenmarke erweist sich dabei als Produkt unserer Kauf- und Konsumationsentscheidungen. Eine so passfertig zurechtgezimmerte Ich-AG versorgt ihren Konstrukteur mit einer neuen, glanzvollen Einhausung, sein Ego erfährt so etwas wie Aufladung. Ob nun spirituell oder mit Mausklicks, die Pflege und Vermarktung des Selbst sind im wahrsten Sinne des Wortes selbstverständlich. Und ehe wir uns versehen, landen wir im Kultischen. Denn wo weniger das „Wahre“, sondern vielmehr die „Ware Selbst“ zum Verkaufsartikel aufsteigt, avanciert eben dieser sorgfältig auswählende Konsument zum aktiv miterschaffenden User. Bekanntlich hat sich der Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt.
Sehr treffend hat hier der Internet-Papst und Chefredakteur von Wired [54], Chris Anderson, vor wenigen Jahren den sogenannten „Prosumer“ [55] wieder ins Spiel gebracht. Schließlich holen die Marken von heute den kleinen Mann mit ins Boot. Die bloßen Konsumenten von einst wandeln sich demnach zu arbeitswilligen Produzenten. Man selbst wird bedeutsam. Der User macht sich „useful“. Er empfindet sich als integraler Bestandteil eines größeren Prozesses und gestaltet diesen eigenmotiviert mit. Foren, Chatrooms und User-Conventions sind die wichtigen Identitäts-Tauschbörsen. Dabei steigt der eigene