New Cage. Johannes Fischler

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New Cage - Johannes Fischler

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      Um es hier gleich vorwegzunehmen: Trancezustände und außeralltägliche Bewusstseinserfahrungen erachte ich als wichtig. In vernünftigen Dosen eingesetzt ermöglichen sie eine Relativierung starrer Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster und eröffnen einen Zugang zu einem Lebensgefühl, fernab von „mein Haus, mein Auto und meine Bank“.

      Mein persönlicher Zugang zu Dimensionen des Nicht-Verstandesmäßigen hingegen bedient sich eher der Ressourcen unseres Kulturkreises. Von Schuberts „Unvollendeter“, Karajan, über berauschende Bergwanderungen bis hin zu Jimi Hendrix: Jeder hat hoffentlich seinen eigenen Zugang! Doch kann ich auch nachvollziehen, dass mitunter auch andere Kulturkreise einen Weg zu neuen Sichtweisen eröffnen. Ja, oft entsteht hieraus auch ein fruchtbarer interkultureller Dialog und das können wir sicher brauchen.

      Vom Gefängnis des Ich in die Tyrannei des Selbst

      Doch abseits einer Überhöhung unserer Breitengrade sprechen wir hier auch vom selben Kulturkreis, der das Ekstatische seit mehreren Jahrzehnten immer massiver in seine Schranken weist. Soziologen orten eine „Überprivatisierung“ unserer Gesellschaft. Gemeint ist eine Leitkultur, in der jeder nur mehr er selbst sein soll, ja viel eher, regelrecht er selbst sein muss. Damit verbunden ist ein unhinterfragter Authentizitätskult, mit welchem wir jedem Freiraum entsagen, auch einmal jemand anderer sein zu dürfen. Starr und eingeengt im unverfälschten „wahren Selbst“ wird jedes Ausbrechen zum gesellschaftlichen No-Go.

      Dabei avanciert die Verwirklichung des sogenannten „Selbst“ zur alles dominierenden Religion. Ob am Jakobsweg, beim Spirit Dance oder beim Tantra-Sex: Urlaub, Tanz oder Liebesspiel – alles nur mehr im Namen und auf Rechnung des Selbst. Der Philosoph Robert Pfaller betont in diesem Zusammenhang auch die Übervertrautheit, welche wir von unseren Beziehungen abverlangen. Andere nennen sie die „Tyrannei der Intimität“ [11]. Im Zuge dessen führt dieser Zwang, immer wahr und unverfälscht zu sein, schnell auch in eine wechselseitige Zementierung. Denn wir nehmen einander so jedweden persönlichen Entfaltungs- oder besser Spielraum.

      Nehmen wir hier nun einen weiteren unhinterfragten Wert, nämlich „Gesundheit“ hinzu, dann erhalten wir eine mitunter fatale Mischung. Persönliches Wohlbefinden als höchstes Gut, verbunden mit der Verpflichtung zu permanenter Authentizität, machen uns hypersensibel und intolerant zugleich. Sie wirken mit an der Etablierung einer neumodischen Verbotskultur, welche Großstädte in George-Orwell-Utopien verwandelt. Rauchen, Trinken, Dicksein oder meinetwegen Nacktbaden – eine Welt, in der alles dem Rotstift zum Opfer fällt, macht uns vielleicht „sicherer“ oder „gesünder“, das Dasein jedoch erfährt eine beklemmende Einengung. Kein Wunder also, wenn Leute hier ausbrechen und in phantastische Wirkwelten auswandern. Doch egal wohin: Das allem zugrunde liegende Religiöse schleppen sie unbewusst mit. Das Resultat prägt das ganz und gar selbstbewusste Auftreten spirituell-esoterischer Selbstdarsteller: hyperauthentisch, aber nicht echt.

      „Man muss sich an seiner Religion abarbeiten“ …

      … betont der Medienphilosoph Norbert Bolz [12]. Und damit meint er nicht die persönlich zurechtgezimmerte, sondern jene unseres Kulturkreises. Denn ansonsten klebt uns diese immerzu an den Fersen, Schritt für Schritt. Ob nun im Selbstverwirklichungsmilieu oder in esoterischen Dunstkreisen, wo man hinschaut dieselben Schemata: Schuldgefühle, Unwertsein, Ablasshandel, Beicht- und Bekenntniskult, Leistungsethos, Dienen sowie Erlösungssehnsucht: Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Wer sich seine kulturgeschichtlichen Wurzeln nicht vergegenwärtigt, wird ewig in diesem Hamsterrad rotieren. Denn diese Prinzipien prägen gewissermaßen unser Ich-Empfinden. Ob wir das loswerden können, wage ich nicht zu beantworten. Doch simples Wissen kann hier helfen.

      Gewiss, Meditation dient als gangbarer Weg zu mehr „subjektbezogener“2 Gegenwärtigkeit, doch den Geschichtsunterricht ersetzt sie uns nicht. Ganz im Gegenteil: Falsch verstanden und eingesetzt bedient sie viel eher die Auswüchse einer in sich selbst verliebten Gesellschaft und der darin kultivierten Glückseligkeitsdoktrin. Meditation ohne Wissen ist wie das Reisen ohne Landkarte, man verirrt sich leicht. Und egal ob nun Trance oder die Praxis kontemplativer Versenkung – Medikamente können gesund machen, doch wenn man sie auch als Gesunder noch nimmt, dann ist das Doping. Doping macht schnell auch süchtig.

      Unabhängig also davon, welche Form der Innenschau wir betreiben, es lohnt sich, darüber zu reflektieren, wann man auf dem Holz- oder besser Kreuzweg ist. Denn je mehr man sich mit seinen eigenen vier Wänden beschäftigt, desto mehr abgestoßene Ecken, Kanten und Macken treten hervor: Polieren, Putzen, Staubsaugen, Selbstoptimierung ohne Ende sind die Folge. Eingebettet in einen Wettlauf spiritueller Workaholics werden wir so vielleicht immer noch heiler, noch ganzer, noch leidfreier, aber wozu? Wird’s nicht ab einem gewissen Grad irgendwie unnatürlich? Gibt es nicht noch etwas Wichtigeres als das eigene Innenleben, etwas Erstrebenswerteres als formvollendete Ganzheit?

      Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück

      Eben derlei „Werte“ gilt es zu hinterfragen. Ansonsten landen wir abermals bei Franz Schubert: „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.“ Uns plagt die Sucht nach dem Sehnen, die im Stück „Der Wanderer“ ihren Widerhall findet. Ewig getrieben von einer unbändigen Gewissheit, wonach überall die Wiesen grüner sind, nur nicht im eigenen Garten. Sei es nun beim Schamanen im peruanischen Urwald oder in einem Tempel im Himalaya. Wir machen uns bereitwillig zum Spielball unserer eigenen Projektionen.

      Es ist absolut in Ordnung, Weisheitslehren aus Fernost zu importieren, doch müssen wir deshalb auch deren spirituell-aristokratische Hierarchien mitbejubeln? Es ist okay, sich dann und wann dem Irrationalen hinzugeben, doch müssen wir deshalb gleich höhere Wahrheiten mit ins Boot holen? Karma-Religionen und irrationale Erklärungsmodelle eröffnen einen Kosmos, in dem jeder alles behaupten kann und darf. Wenn wir dahin zurücksteuern, liegt jede Beweislast fortan beim hilflosen Kritiker. Dann können wir gleich wieder Hexen verbrennen. Der sehnsüchtig Suchende läuft hier Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Und ehe man sich’s versieht, verwirft man alles, was Denker, Künstler und Schreibende aller Art über Jahrhunderte an Freiheit für uns erkämpft haben.

      Doch Freiheit scheint heutzutage nicht mehr viel wert. Für manche wirkt sie geradezu wie ein Feindbild. Apolitisch, antiintellektuell und antimodern. Wenn es um die bereitwillige Aufgabe aufklärerischer Werte geht, liefert die Esoterik 2.0 ein umsatzträchtiges Exempel. Von Frauenrechten keine Spur, inszeniert frau sich als Engel oder „Weisse Priesterin“ [13] – narzisstische Aufwertung mit dem Etikett einer neu gefundenen Reinheit. Doch tatsächlich geht es hier um eine groteske Form von „Ent-freiung“, welche das Gefühl von Freiheit verkauft – ein Rückschritt ins dunkle Spätmittelalter und nichts anderes.

      Es bleibt, was es ist, ein New Cage.

Die Epidemie

      Laut führenden Trendforschern glauben 40 Prozent der Deutschen ihr Leben von magischen Kräften durchwirkt [14]. So wie das „Entgiften“ des eigenen Körpers zum selbstverständlichen Ritus einer neuen Gesundheitskultur geworden ist, säubert beziehungsweise „entstört“ man dieser Tage selbstredend seinen Wohn- und Arbeitsbereich. Nicht nur sauber, sondern energetisch rein soll nun alles sein. Lokalisierte man ehemals noch irgendwelche Geister oder verlorene Seelen als Quelle seines Unbehagens, geht man nun daran, sein Dasein wieder an das „astrale Magnetgitter“ anzubinden. Das alles im Namen der Ganzheitlichkeit, das Universum als lebender Organismus. Re-Connection an die kosmische Ordnung und laufende Rekalibrierung sind die magischen Einflussnahmen der Esoterik 2.0.

      So wie alle anderen Bereiche unseres Lebens unterliegt auch das Magische bestimmten Moden. Die neuen Labels

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