Sehnsucht nach dem Süden. Gerhard Dienes
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sehnsucht nach dem Süden - Gerhard Dienes страница 5
Das architektonische Juwel kann aber nicht über die Schattenseiten Roms hinwegtäuschen. In Theatern wie jenem von Pula suchte das „Proletariat“, bei den Spielen seine Leiden zu vergessen, indem es sich, so Lewis Mumford, „lasziv-genießerisch über Menschen freute, die noch schlimmere Qualen und Würdelosigkeiten erdulden mussten“. Durch Brot und Spiele wollte Rom die Menschen beruhigen und von ihren Nöten ablenken. Die Spiele sind durchaus mit den heutigen großen Sportveranstaltungen zu vergleichen, nur dass damals Sport fast in jedem Fall Mord war. Die Spieler hatten immer ihr Leben zu riskieren: Blutiger Sport als Unterhaltung! Man amüsierte sich – frei nach Neil Postman – zu Tode. Sportkämpfe, die, wie bei den alten Griechen, wirklich solche waren, gaben den Römern zu wenig. Blut, Todesangst und Schrecken waren gefragt. Die Wagenrennen boten Nervenkitzel, wenn ein „Bolide“ umkippte und der Fahrer zertrampelt wurde. Das heimliche Verlangen nach Blutvergießen war damit befriedigt. Und dies gilt genau so heute noch, man erinnere sich an den Hit von Rainhard Fendrich aus dem Jahr 1982 „Es lebe der Sport“, darin an den Refrain: „Und haut es einen aus der Wäsch, wird ein Grand Prix erst richtig fesch.“
Auf der Jagd nach immer höher gepeitschten Sensationen verfielen die Römer darauf, dem alten Brauch der religiösen Schlachtopfer in der Arena eine neue weltliche Gestalt zu geben: durch die Gladiatorenspiele. Mit diesen konnten die Beauftragten des Regimes ihre teuflische Erfindungsgabe auf das Quälen und Vernichten von Menschen verwenden. Aus ganz Istrien kamen die Schaulustigen und Sensationslüsternen in das Theater von Pula. Hektoliterweise floss der Wein und zum Entzücken der Massen wurden auch Löwen, Panther und Bären auf die Gladiatoren gehetzt. Um den beißenden Gestank des Blutes zu überdecken, besprenkelten Diener die Zuschauerränge mit Rosenöl.
Das römische Theater von Pula zieht heute mit dem Filmfestival an langen Sommerabenden die Menschen an, Luciano Pavarotti ließ hier sein „Vincerò“ erschallen und mit den Gladiatorenspielen von Pula Superiorum wird man zurückversetzt in die Antike, in das Rom der Verfallszeit.
Je schlechter es Rom ging, desto mehr Spieltage gab es, an denen das Volk in die Arenen zu den gigantischen Massenveranstaltungen strömte. Niemals haben so viele Menschen so viel Freizeit mit so vielen sinnlosen Beschäftigungen ausfüllen können wie im alten Rom. – Gibt es da nicht Parallelen zu unserer Zeit?
Diese Frage stellte sich Neil Postman schon vor Jahrzehnten und kam zum Schluss:
„Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben bestimmt wird als eine Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen …, als gigantischer Amüsierbetrieb …, dann wird das Absterben der Kultur zur realen Bedrohung.“
Zeichen des Absterbens der römischen Kultur fand man auf der gesamten istrischen Halbinsel. Dort hatten die, die es sich leisten konnten und andere ausbeuteten, ihre luxuriösen Sommervillen, wie etwa im heutigen Cervar (zwischen Novigrad und Poreč). Hier frönten sie dem feudalen, aber auch dem zusehends exzessivdekadenten Landleben.
Von einer ungeheuren Ausschweifung erzählt Romano Farina (1929 – 2000):
„So wie sich viele Jahrhunderte später die Briten in Indien neuen kulturellen Strömungen öffneten, gaben sich die Römer in ihren istrischen Villen im Namen der Cybele (der asiatischen Göttin der Fruchtbarkeit) geheimen, mystisch verschlüsselten Zeremonien“ hin:
Geheime Feste als endlose orgiastische Bacchanale!
Die Ausschweifungen erfolgten im Zeichen eines erigierten männlichen Gliedes. In den Gärten von Koper fand man Säulenbruchstücke aus Stein, Phallen überdimensionaler Größe darstellend!
„Die Zeremonien verliefen nach der Regie des Großen Meisters, des Archigallo, ab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Kastraten eingeschlossen, praktizierten diverse sexuelle Handlungen. Dabei wurden Jungfrauen defloriert, man ‚brauchte‘ die Knaben und genoss, ‚per via anale‘, die Alten, die unmittelbar danach geviertelt und beigesetzt wurden.“ Farina schließt nicht aus, dass der istrische Wein seinen Anteil an diesem orgiastischen Wahnsinn hatte.
Im Archäologischen Museum der zur Römerzeit so bedeutsamen Stadt Aquileia fällt ein Relief mit Priapus-Szenen auf. Dieser war der Gott der Fruchtbarkeit und wird hier als kleiner Bub dargestellt, den Venus, die Göttin der Liebe, und ihre Mägde in einer Wanne baden. Sein übermäßig großes Glied erregt ihre Aufmerksamkeit und sie betrachten es mit Abscheu – oder mit Lust?
Aquileia war eine Stadt, in der die Reichen reicher als reich waren. Ihr Luxus lässt sich im erwähnten Museum erahnen: ein Schleier, übersät mit unzähligen kleinen Goldfliegen, Parfumfläschchen aus Bernstein, geschmückt mit Amoretten und Akanthusblättern, Haarnadeln aus Elfenbein, ausgestattet mit plastischen Porträtköpfen, mit orientalischen Ornamenten verzierte Öllampem et cetera.
Und wie waren die lukullischen Genüsse der Reichen? Per Schiff kamen die kostbarsten Früchte und Gewürze, die ausgefallensten Tiere und Spezereien von den afrikanischen und orientalischen Märkten. Spitzenköche, die so viel wie drei Pferde kosteten, bereiteten ihrer schwer wohlhabenden Klientel immer absurdere Gerichte: Flamingo- und Storchenzungen, Ragout aus Nachtigallenleber oder Schweinevagina, Zitzen und Gebärmutter von der Jungsau. Verbreitet war die Marotte, die Esser durch Saucen darüber zu täuschen, was ihnen vorgesetzt wurde. Im Kochbuch des Apicius (um 25 v.–42 n. Chr.) heißt es bei einem Rezept stolz: „Keiner an der Tafel wird wissen, was es ist.“ So wurden die Schweinshaxe zum Huhn und das Saueuter zum Fisch! Die High Society von „anno dazumal“ versuchte, sich an Aufwand und Extravaganz zu übertreffen. Von dem Geld für ein Galadinner der oberen Schichten hätte sich ein Normalbürger mehrere Jahre ernähren können. Aber selbst Superreiche trieb die Völlerei bisweilen in den Bankrott.
Ob das Aufgetischte unseren Gaumen gemundet hätte? Wer weiß. Zeiten und Geschmäcker sind verschieden. Klar scheint, dass wir das zur Zeit der Römer als besonders erlesen erachtete Liquamen-Gewürz nicht als solches eingestuft hätten, denn:
In ein Gefäß wurden Eingeweide von Fischen und auch kleinere Fische gelegt und eingesalzen. Dann ließ man diese Mischung in der Sonne stehen, bis sie gärte. Das konnte bis zu zwei Monate dauern. Wenn die Masse gut durchgefault war, trieb man sie durch ein Sieb und diese Flüssigkeit war dann das liquamen. Es war schlechthin das Universalgewürz im alten Rom.
Von der Esskultur zur Sprachkultur
Das nach dem Forum des Julius Caesar benannte Friaul ist eine Landschaft, in der die Geschichte, auch wenn sie Vergangenheit geworden ist, nicht stirbt. Vielmehr lebt sie in den Gebräuchen des Volkes und auch in mannigfachen Gewohnheiten, Kulturschöpfungen sowie im Furlanischen, einer eigenen romanischen Sprache, fort. Im Friaul sagt man demnach nicht buongiorno, sondern mandi, ein im übrigen Italien völlig unbekannter Gruß. Seine Herkunft ist ungewiss. Vielleicht leitet sich das Wort vom lateinischen manibus dei, also „in Gottes Hand“, ab.
Pier Paolo Pasolini hatte seine Wurzeln im Friaul. Auch die seines Denkens und seiner Sprache fußen hier. In der Sprache seiner friulanischen Mutter schrieb er die ersten Gedichte.
Pasolini setzte sich für das Furlanische oder auch Friulanische ein und forderte die Gründung einer „Academiuta di lenga furlana“. Nicht mehr vom Friulanischen als Dialekt, sondern als Sprache sollte die Rede sein.
Pasolini: „Der Dialekt ist die bescheidenste, die gewöhnlichste