Hauptsache verliebt?. Reinhold Ruthe
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Das sind keine erfreulichen und Mut machenden Feststellungen. Sie machen den liebesuchenden Menschen den Mund nicht wässrig. Zu schwarz gemalt? Ich habe nur eine unverdächtige Zeitschrift zitiert. Es werden viele Probleme genannt, die wir im Folgenden genauer untersuchen wollen.
Internetdating und Bindungslosigkeit
Zweifellos gibt es Menschen, die heute glücklich sind, weil sie ihren Partner im Internet gefunden haben. Aber im Online-Dating stehen Hunderttausende zur Wahl. Ein Mausklick genügt, und ein neuer Bewerber oder eine neue Bewerberin steht zur Verfügung. Der „Onlinemarkt“ macht es möglich. Die „Ware“ ist jung und unverbraucht. Wer nicht passt, wird ausgesondert, wird fallen gelassen, wird abgehakt.
Die israelische Soziologin, Dr. Eva Illous, die sich intensiv mit Partnerschaftssuche im Internet auseinandergesetzt hat, schreibt ernüchtert:
„Ich beobachte zunehmend einen Trend zur Bindungslosigkeit und gebe dem Internet eine Mitschuld daran. Heute ist es total legitim, Partner erst einmal auszutesten und anschließend abzuservieren. Die Auswahl scheint ja riesig. Die romantische Idee einer Partnerschaft fürs Leben, der traditionellen Ehe, verliert in der Kultur des World Wide Web anscheinend zunehmend an Bedeutung.“2
Vorwiegend geht es im Internet um Sex, Egoismus und Ich-Sucht, ohne emotionales Engagement und Verantwortung. Mit wahrer Liebe hat das tatsächlich meist wenig zu tun.
Sind die Erwartungen zu hoch?
Es sieht so aus. Wenn Hunderttausende zur Auswahl stehen, wer will sich dann mit dem Erstbesten der Erstbesten zufrieden geben?
Selbstverständlich bieten die Partnerbörsen Tests an. Die Suchenden streichen an, was sie mögen, was sie bevorzugen, was sie ablehnen, was sie können und nicht können. Je größer die Auswahl, desto höher die Ansprüche. Je reicher die Angebote, desto übertriebener die Auswahlkriterien. Die einen sind zu weit weg, die anderen haben Bedürfnisse, die nicht in ihr Konzept passen. Die einen lieben klassische Musik und suchen einen gleich gesinnten Partner. Die andern haben einen Kanarienvogel und wollen auf keinen Fall auf ihn verzichten. Die einen sind katholisch und suchen einen Partner, der auch katholisch ist. Selbst wenn von hundert Punkten 95 stimmen, findet sich bestimmt ein Partner, der die letzten fünf Prozent auch noch erfüllt.
Was ist daran problematisch? Diese Gruppe wird es im Leben schwer haben. Diese Menschen laufen von einer Enttäuschung in die Nächste hinein. Denn immer wieder findet sich ein Haar in der Suppe. Wenn keins drin sein sollte, schütteln sie so lange ihr Haupt, bis ein Haar reinfällt. Diesen Anspruchsvollen ist schwer zu helfen. Es gibt einen Seelsorger, der von einem solchen Unglücklichen konsultiert wurde und diesem geantwortet hat: „Ich rate Ihnen, heiraten Sie einen Engel!“
Die andere Gruppe, die vor allem aus Männern besteht, sucht nicht in erster Linie die Partnerin, die Lebensgefährtin, sondern ein Abenteuer, ein sexuelles Highlight. Kurz und knapp formuliert der „Stern“ das so: „Anderthalb Monate Mailverkehr, dann Geschlechtsverkehr.“
Er küsste sie an jeder roten Ampel, so landeten sie im Bett. Er hatte Tränen in den Augen, als er sich am nächsten Morgen nach Frankfurt auf den Weg machte. Er verschwand für immer. Die Tränen in ihren Augen sollten nicht so schnell verschwinden.
Die Partnerbörsen arbeiten aber doch mit ernsthaften Tests
Psychologen und Fachleute haben diese Tests und Matchingverfahren entworfen. Sie sind ernst gemeint und gut gemacht – und reichen doch niemals aus. Warum ist das so?
In der Beratungspraxis erlebe ich Partner, die bei einer Online-Partnerbörse einen Übereinstimmungswert von über 60 Prozent hatten. Dann spricht man von einer „guten Passung“. Sie sind sich in vielem ähnlich, haben gleiche Interessen, gleiche Vorlieben, gleiche Urlaubsziele, ähnliche Wertüberzeugungen, ähnliche Verhaltens- und Einstellungsmuster. Ein gutes Match zwischen ihnen muss klappen. Aber es klappt nicht.
Die Wirklichkeit sieht anders aus als auf dem „geduldigen Papier“. In der Praxis erlebe ich, wie sie aneinandergeraten, und zwar
– auf dem Gebiet der Nähe und Distanz,
– auf dem Gebiet der Dominanz und Anpassung,
– auf dem Gebiet der finanziellen Großzügigkeit und Sparsamkeit,
– auf dem Gebiet der Nervosität und Ausgeglichenheit,
– auf dem Gebiet des Schwermuts und der Fröhlichkeit,
– auf dem Gebiet der Gewissenhaftigkeit und Unordnung
und, und, und.
Die israelische Soziologin hält von solchen Tests und Matchingverfahren „ziemlich wenig. Ich glaube nicht daran, dass wir über ein Set von stabilen Persönlichkeitszügen verfügen. Die beste Art, jemanden einschätzen zu können, ist, ihn in verschiedenen Situationen zu beobachten.“3
Wer verliebt ist, macht Zugeständnisse, die er später nicht einhalten kann und will. Wer jemanden wirklich kennenlernen will, ist bei der Selbsteinschätzung großzügig, verzichtet auf kritische Selbstbeurteilungen. Erst das Zusammenleben bringt unsere Eigenarten, unsere Gewohnheiten und unsere Persönlichkeits- und Lebensstile ans Licht.
Wer zum Partner – als Christ – Ja sagt, der weiß,
– dass wir selbst unzählige Haken und Ösen haben,
– dass auch der andere mit Stärken und Mängeln behaftet ist,
– dass beide nicht aufgeben, wenn sie sich voreinander und vor dem lebendigen Gott die Treue geschworen haben.
Eine kleine Zwischenbilanz:
Verliebtheit ist etwas Wunderbares, doch mit wahrer Liebe hat sie wenig zu tun. Verliebte sind weitgehend blind. Wahrhaft Liebende sind klarsichtig. Warum ist das so? Echte Liebe kennt den Alltag, die Schwierigkeiten, die charakterlichen Unterschiede, die unterschiedlichen Bedürfnisse, die unterschiedlichen Gewohnheiten, die Mängel der Persönlichkeit und all die vielen psychischen Eigenarten des anderen.
– Die Liebe kennt Anomalien der Persönlichkeit.
– Die Liebe ist bereit für Krankheiten, die plötzlich auftreten.
– Die Liebe kennt sogenannte Schicksalsschläge.
– Die Liebe kennt Belastungen, die von draußen kommen,
– Die Liebe kennt körperliche und seelische Veränderungen.
– Die Liebe sagt trotzdem zum anderen Ja.
– Aber immer der Reihe nach – keine Überforderung!
Verliebtheit ist und bleibt etwas Schönes und Beglückendes, doch es muss jedem daran gelegen sein, dass die Fallgruben, die Störfelder, die Unklarheiten sowie die Stolpersteine gesehen und ernst genommen, beurteilt und bearbeitet werden. Dann kann die Verliebtheit der Beginn einer tragfähigen und reifen Liebe werden. Ich möchte ein wenig dazu beitragen, dass Missverständnisse in Sachen Verliebtheit verringert werden, dass die rosarote Brille eine andere Farbe erhält und dass rationales Handeln das irrationale Tun vertreibt.