Der Herkules: 300 Jahre in Kassel. Группа авторов
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Dieser Mythos war Grundlage für unzählige Werke der bildenden Kunst, der Literatur, der Musik im ‚alten Europa‘ von der Antike bis heute: Herkules ist ein europäischer Held. Sein vielseitiger und widersprüchlicher Charakter erleichterte die Identifikation und vielfältige Deutung je nach Interessenlage. Wegen der Deutung des Halbgotts Herkules als Tugendheld, als starker, siegreicher Heros sowie als Kulturstifter eignete er sich besonders als fürstliche Identifikationsfigur, schon in der Antike, aber auch im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit.
Dies gilt auch für den Kasseler Herkules, der einer berühmten und beliebten antiken Figur nachgebildet wurde.1 Der ausruhende Herkules, mit dem linken Arm auf seine Keule gestützt, über der das Löwenfell hängt, in der rechten Hand hinter dem Rücken drei Äpfel der Hesperiden haltend, die er bei seiner vorletzten – oder letzten – Tat erwarb, schaut mit leicht nach links geneigtem Kopf nachdenklich vor sich hin; er wirkt nicht wie ein triumphierender Held, sondern wie ein sein Leben und die Zukunft bedenkender, reifer Mann (vgl. Abb. 1). Diese 8,30 m hohe Figur wurde am 30. November 1717 eingeweiht.
2 Johann Werner Kobold, Ansicht des Oktogons mit den Kaskaden und Herkules um 1780
3 Geburtstags-Logo der Museumslandschaft Hessen Kassel
Seitdem schaut der Heros auf Kassel. Anfangs galt er als bewundertes Objekt fürstlicher Repräsentation, zunächst von der Bevölkerung unverstanden und als ‚großer Christoph‘ umgedeutet; als weithin sichtbare Landmarke, mit dem ‚Riesenschloss‘ als seinem Unterbau als endlose Bau- und Restaurierungsaufgabe. Er wurde vielfältig politisch ‚vereinnahmt‘, als Spottfigur, als Nothelfer, Schutzpatron und Wächter; als Inspiration zu stadtplanerischer, künstlerischer und literarischer Auseinandersetzung; als vielfältig verwendetes Marketing-Objekt; als Reiseziel, touristisch inzwischen gut verankert. Letztlich ist er ein Heimat stiftendes Wahrzeichen, von den Bürgern geliebt, vielfältig unterstützt und gefeiert und 2013 als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes Bergpark Wilhelmshöhe ‚geadelt‘.
Zu diesen und anderen Aspekten, die sich auf den Kasseler Herkules beziehen, äußern sich die Autoren dieses Buches. Sie schreiben damit einen Teil einer noch ausstehenden ‚Erinnerungsgeschichte‘. Schließlich: Dieses Buch ist gleichzeitig ein „Geburtstagsgeschenk“ für unseren Helden. (Abb. 3)
Bernd Küster, Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel, bat namhafte Künstler, aus diesem Anlass ‚Hommage-Blätter‘ zu gestalten. Sie waren in der oben genannten Jubiläums-Ausstellung der MHK „Herkules 300 – Wiedergeburt eines Helden“ im Museum Schloss Wilhelmshöhe zu sehen. Eine Auswahl davon wird in diesem Buch gezeigt. Hierfür gilt Bernd Küster und den Künstlern ein besonderer Dank.
Den Autorinnen und Autoren sowie der Kasseler Sparkasse, die das Projekt großzügig unterstützt hat, dem euregioverlag, dem HNA-Archiv, besonders Renate Klein, der Museumslandschaft Hessen Kassel, besonders Franziska Franke und Ingrid Knauf, dem Stadtarchiv Kassel, besonders Karen Siepelt, dem Stadtmuseum Kassel und dem documenta-Archiv sowie vielen anderen Personen und Institutionen, die helfend beigetragen haben, sei hier herzlich gedankt.
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1 Vgl. hierzu den Beitrag von Rüdiger Splitter in diesem Buch.
Felix Kramer: 2017 ist sein Jahr
Siebdruck, Tusche, Wasserfarben, 46 × 31 cm, Motiv 35 × 26 cm, 2016
Felix Kramer, geb. 1987 in Kassel. Schauspielausbildung, Studium der Visuellen Kommunikation in Kassel. Animationsfilm Herkules erklärt das Weltkulturerbe (Die Wasserspiele – Bergpark Wilhelmshöhe).
Kulturdenkmal in Nöten.
Der Herkules als Sanierungsfall
Jens Flemming
1870 erschien eine Zusammenstellung der „Baudenkmäler im Regierungsbezirk Cassel“. Veranlasst wurde diese erste ihrer Art durch das preußische Kultusministerium, herausgegeben vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde und gedacht als „Grundlage für ein Denkmäler-Inventarium“, für das bereits 1866 Oberpräsident von Möller die Anregung gegeben hatte. Betraut wurden damit der Baurat und Professor an der Königlichen Akademie der bildenden Künste zu Kassel, Heinrich von Dehn-Rotfelser, und der Marburger Architekt Wilhelm Lotz, die mit ihrem Buch die Hoffnung verbanden, es möge dazu beitragen, das Wissen um die „einheimischen Kunstdenkmäler zu verbreiten und die Liebe zu denselben zu fördern und anzuregen.“1 Fast ein halbes Jahrhundert später formulierte der hessische Volkskundler Carl Heßler das Programm, das hier angeklungen war, nun freilich intensiver noch erfüllt von volkspädagogischem Impetus, so: „Je mehr der Mensch mit seiner Heimat vertraut wird, desto mehr wurzelt, wächst und gedeiht in dem Herzen ein gar edles Pflänzchen, nämlich die Liebe zur Heimat. […] Damit leistet aber zugleich die Kenntnis der Heimat dem Vaterlande unschätzbare Dienste, denn in der Liebe zur engeren Heimat wurzelt die Liebe zum größeren Vaterlande.“2
In Überzeugungen wie diesen spiegelte sich die wachsende Bedeutung, die der engeren Lebenswelt und den dort zu entdeckenden Überresten der Vergangenheit für die Herausbildung und Festigung regionaler wie nationaler Identität beigemessen wurde. Denkmalpflege und Heimatschutz wurden zwei Seiten ein und derselben Medaille, mündeten ein in kulturpolitische, von entsprechenden Vereinen getragene Bewegungen und verharrten nicht länger in den Sphären monarchischer Repräsentationsbedürfnisse, sondern wurden zu bürgerschaftlichen, heute würden wir sagen: zivilgesellschaftlichen Kernaufgaben erkoren. Monumente wie der Herkules auf der Wilhelmshöhe wurden zu Kulturdenkmälern, deren Kulturwert, wie im späten 19. Jahrhundert das Zauberwort lautete, außer Frage zu stehen schien. Die Aufwendungen für Pflege und Erhaltung oblagen nicht länger der fürstlichen Hofkasse, sondern staatlichen Instanzen, deren Finanzgebaren zunehmend parlamentarischer Kontrolle unterworfen war. Je mehr der Herkules zum Erkennungs- und Wahrzeichen der Stadt wurde, umso schwieriger war es, sich der Pflicht für seinen Fortbestand zu entziehen. Ein kupferner Riese, der dermaßen starke Impulse auf städtische und landsmannschaftliche Identitätsbedürfnisse ausstrahlte, konnte und durfte nicht einfach seinem Schicksal überlassen werden, es mochte kosten, was es wolle. Dass es teuer werden könnte, hatte bereits in der Entstehungszeit die Cousine des Landgrafen Carl, Lieselotte von der Pfalz, geahnt, als sie 1707 die Befürchtung äußerte, die Ambitionen, die sich um den Herkules rankten, könnten den Vetter in den Ruin treiben.3 Damals war die Rede von – im Lichte späterer Erfahrungen – bescheidenen 20.000 Reichstalern pro Jahr, bis auf den heutigen Tag sind daraus Millionen, nicht Taler, wohl aber Mark und Euro geworden.
Sehr früh, noch in der Bauphase, war klar, dass das Oktogon, auf dem die Pyramide und der Herkules ruhten, mit gravierenden Mängeln behaftet war. Die Geschichte des Ensembles ist tatsächlich „die Geschichte seiner Instandsetzung.“4 Ebenfalls sehr früh ist das von Zeitgenossen beobachtet und bemängelt worden. Von Anbeginn an handelte es sich um einen Sanierungsfall, und ein solcher blieb er bis auf den heutigen Tag, steter Fürsorge, Nachbesserung und Stützung bedürftig. Bereits 1728 hatte der Frankfurter Patrizier Johann Friedrich Armand von