Heilbuch der Schamanen. Felix R. Paturi
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Wer allerdings nicht weiß, wo und wie seine Seele wohnt und womit sie sich umgibt, der muss mit einer sehr starken Seele oder einem schwachen Verstand gesegnet sein, um auf Dauer nicht krank zu werden oder nicht unter einer inneren Daseinsangst zu leiden. Viele Menschen haben vom Land ihrer Seele gar keine oder nur eine sehr vage Vorstellung, der Hauptgrund weshalb viele von Beschwerden geplagt werden.
Ein bildhaftes Beispiel führt oft schneller zum tieferen Verständnis eines Zusammenhangs als es mehr oder weniger abstrakte Ausführungen vermögen.
Bericht von einer Seelenreise
Ziel der hier aufgezeichneten Reise war es, die zahlreichen seelischen und körperlichen Leiden einer Klientin von Grund auf spirituell zu verstehen, bevor eine Behandlung beginnen konnte. Die in dem Protokoll geschilderten äußeren Umstände der Klientin entsprechen nicht eins zu eins ihren tatsächlichen Lebensumständen. Das hängt damit zusammen, dass sie eben nicht in der Sprache des Verstands, sondern gleichnishaft in Bildern der Seelensprache ihren Ausdruck fanden.
Die äußere Welt
Frau Sihet ist eine recht attraktive und in der Welt der Sinne und des Verstands sehr erfolgreiche Frau mittleren Alters. Sie stammt aus einem wohlsituierten, harmonischen Elternhaus, genoss eine gute Schulbildung, ist mit einem leitenden Angestellten verheiratet, dessen Karriere ihn bis in die Vorstandsetage führte und betreibt selbst eine gut gehende kleine Boutique.
Ihre beiden Kinder, ein älterer Sohn und eine Tochter, sind bereits erwachsen und stehen auf eigenen Füßen. Die Altersversorgung von Frau Sihet ist geregelt, eventuelle Krankheitsfälle deckt eine umfassende private Krankenversicherung ab. Andere Versicherungen schloss das Ehepaar gegen Unfall, Feuer, Sturm- und Wasserschäden, Einbruch, Diebstahl und andere mehr oder weniger wahrscheinliche Risiken des Lebens ab. Die Förderung der Kinder hat die Familie finanziell kaum belastet, denn für das Studium kam eine Ausbildungsversicherung, für die Hochzeit der Tochter eine Mitgiftversicherung auf. Rechtsschutz, Kraftfahrzeug-Schutzbriefe, private Haftpflicht-, Reiserücktritts- und Reisewetterversicherungen schlossen auch die letzten Lücken im Sicherheitsbedürfnis der Familie Sihet. Ihrem Leben konnte nichts etwas anhaben...
Die Befindlichkeit der Klientin
Frau Sihet hätte - so könnte man meinen - allen Grund, rundum glücklich zu sein. Aber sie war es ganz und gar nicht. Sie fühlte sich oft verkrampft und ausgelaugt zugleich, klagte über ständige Müdigkeit, konnte nachts dennoch kaum schlafen, litt unter Alpträumen und innerer Unruhe und wurde schließlich von einer ganzen Reihe lästiger körperlicher Probleme geplagt. Rückenschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten und Migräneanfälle waren dabei noch die geringsten Übel. Mehr zu schaffen machten ihr immer wiederkehrende Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, gelegentliche Hautreizungen, ihre Anfälligkeit für allerlei Infektionskrankheiten sowie Herzrhythmusstörungen und Atemnot. Zwei Operationen im Darmbereich und eine Gebärmutterausschabung musste sie schon über sich ergehen lassen. Zu alledem kam die ständige Furcht vor dem Altern.
Der Klientin ist die Sicherheit in sich selbst verloren gegangen. Möglicherweise hatte sie auch niemals die Chance, diese überhaupt zu entwickeln.
Auf der Suche nach Auswegen
Frau Sihet versuchte die Ursachen für ihre diversen Leiden zu ergründen. Sie verfiel zunächst auf die Esoterik und glaubte an eine schwere karmische Belastung. Überzeugt davon, eine alte Schuld aus einem früheren Leben abtragen zu müssen, vertraute sie sich verschiedenen spirituellen Meistern an, die versuchten, ihr mit Aura- oder Chakratherapien beizukommen sowie mit so genannten Rückführungen in frühere Leben, und ihr obskure Lebensmittel verordneten.
Angetrieben von ihrem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis und dem sie stets leitenden Grundgedanken, man dürfe nichts unversucht lassen, wenn es um die körperliche und seelische Gesundheit geht, ließ Frau Sihet diese sinn- und erfolglosen Maßnahmen über sich ergehen. Statt einer Besserung der Beschwerden stellte sich eine Verschlimmerung ein.
Das Gefühl, ein besonders schwerer, hoffnungsloser Fall zu sein, wurde ihr zur Gewissheit. Angst überwältigte sie, die wiederum Muskelverspannungen, Gefäßverengungen und neue Magen- Darm-Probleme mit sich brachte.
Fatalerweise eskalierte dieser missliche Zustand, je mehr Frau Sihet davon überzeugt war, sich nicht nur um die Gesundheit ihres Körpers, sondern auch um die ihrer Seele zu kümmern. Sie glaubte sogar, ihre Seele und deren Zustand zu kennen. In Wirklichkeit aber engte sie diese mehr und mehr ein. Ihr geschliffener Verstand, ihr starkes Sicherheitsbedürfnis und die feste Überzeugung, sie dürfe in ihrem Leben nichts dem Zufall überlassen, ließen ihrer Seele nicht mehr den geringsten Spielraum, den eigenen Lebensbereich selbst zu gestalten oder in ihm frei zu atmen. Frau Sihets Angst steigerte sich zur Verzweiflung. Sie war nicht mehr in der Lage, rhythmisch zu atmen, sondern nur noch stoßweise mit längeren Pausen.
Der schamanische Reisebericht über Frau Sihets »Seelenzimmer« stammt aus dem Buch »Der Zeitvogel und andere schamanische Erzählungen«, ebenfalls von Felix R. Paturi.
Der Einfluss der Eltern
Dass es so etwas wie das Land der Seele gibt, in dem diese ein sehr eigenständiges Leben führt, war Frau Sihet nicht bewusst. Und hätte sie das erbärmliche und heruntergekommene Zimmer auch nur einmal gesehen, in das ihre Seele eingepfercht war, dann wäre sie wohl zutiefst entsetzt gewesen.
Niemand freilich gestaltet sein Seelenland allein. So bekam Frau Sihets Seele schon bei ihrer Geburt von ihren Eltern ein freundliches kleines Zimmer als Wohnstatt zugewiesen, ohne dass Vater und Mutter sich dieses Raums allerdings tatsächlich bewusst waren. Unbewusst gestalteten sie ihn während der Kindheit des kleinen Mädchens ganz systematisch. Alles, was ihr Kind in dieser Zeit erlebte und erfuhr, hinterließ Spuren in seinem Seelenzimmer. Spuren dieser Art sind oft sehr dauerhaft und lassen sich noch lange Zeit danach betrachten.
Erste Spuren im Seelenraum
Die erste Maßnahme der Eltern war, dass sie die Türe des Seelenzimmers ihrer Tochter sorgsam verschlossen. Sie glaubten, so der kleinen Seele Sicherheit vor den Gefahren von außen zu geben. Wie leicht hätte sie sonst den Raum neugierig und - wovon sie überzeugt waren - leichtsinnig verlassen können. Das Seelchen drückte zwar zunächst öfter auf die Türklinke, fand sich aber bald damit ab, dass dieses nichts bewirkte und vergaß die Türe als möglichen Weg ins Freie schließlich ganz. Immerhin war das Zimmer selbst ein schöner Raum, denn er war weitgehend leer und man konnte darin nach Herzenslust herumkrabbeln, spielen und toben.
Ein Seelenzimmer wird eingerichtet
Als das Kind größer wurde, erhielt der Raum immer mehr Einrichtungsgegenstände. Seelenräume haben jedoch ein völlig anderes Mobiliar als die in der Welt der Sinne und des Verstands. Das von den Eltern sorgfältig ausgewählte Internat hinterließ beispielsweise als Spur im Seelenraum eine massive Eisenstange, die mitten im Zimmer stand und vom Boden bis zur Decke reichte. Das war ein Gegenstand, an dem man sich aufrichten und festhalten konnte. Auch sorgsam geplante Freizeitaktivitäten, die die Tage ihrer Tochter ausfüllten, zogen sich bald als straffe Stahlseile kreuz und quer durch den Raum: viele Möglichkeiten, sich festzuhalten.
Die bildhafte Zustandsbeschreibung führt unmittelbar und auf direktem Weg zur Einsicht in die schwierige