Attentat Unter den Linden. Uwe Schimunek
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Attentat Unter den Linden - Uwe Schimunek страница 6
»Habt ihr irgendwas Auffälliges im Stroh gefunden? Aus Metall etwa?«
Die beiden schüttelten die Köpfe. »Wir haben erst mal alles mit Wasser gründlich gereinigt und dann zusammengekehrt.«
»Seid ihr noch nicht fertig, ihr faulen Säcke!«, tönte eine scharfe Stimme. Es war der Rittmeister. »Oh, Pardon!«, sagte er knapp, als er Gontard gewahrte.
Der lächelte ihm freundlich zu. »Ich versuche, mir ein Bild von dem zu machen, was hier geschehen ist«, sagte er.
»Haben Sie eine Erklärung?«
»Bedaure, nein. Kam erst hinzu, nachdem der Herr Lieutenant die Pistole bereits abgeschossen hatte.«
»Habe ich nicht!«, protestierte Kirchner. »Der Schuss war längst gefallen, als ich der Hilfeschreie wegen hier erschien!«
Gontard legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
»Das klären wir alles«, versprach er. »Zeigen Sie mir mal, wo die Waffe lag und wo der Herr Oberst-Lieutenant sich befand!«
»Das arme Pferd nicht zu vergessen!«, ergänzte der Rittmeister ein wenig hämisch, bevor er sich umdrehte und verschwand.
»Und das Pferd«, sagte Gontard ruhig.
Kirchner wies auf die entsprechenden Stellen im Stroh. Gontard nickte und erkundigte sich ganz beiläufig:
»Wie standen Sie selber zu dem Herrn Oberst-Lieutenant von Streyth?«
Kirchners Antwort klang ein wenig steif. »Ich hatte keinerlei persönliche Berührung mit ihm. Ich meine, abgesehen von den wenigen Lehrveranstaltungen …«
»Gab es da nicht irgendeinen Einspruch seinerseits bezüglich gewisser optischer Versuche, die Sie unternehmen?«
Gontard schien es, als errötete Kirchner. Aber im Halbdunkel war das nicht wirklich zu erkennen.
»Ich hatte keinerlei persönliche Auseinandersetzung mit dem Herrn Oberst-Lieutenant«, sagte Kirchner reserviert.
Zwei
Der Major von Gontard war geneigt, es eher als ein außergewöhnliches und auffallendes Zusammentreffen denn als einen Zufall zu betrachten, dass ausgerechnet ihm die Aufklärung der Todesumstände des Oberst-Lieutenants Aemilius von Elster, genannt von Streyth, übertragen worden war. Möglichst rasch sollte er Klarheit in den Fall bringen. Deshalb hatte er sich nicht damit aufgehalten, vom Marstall aus noch einmal in seine Mietwohnung in der Dorotheenstraße heimzukehren, sondern war spornstreichs zum Gensdarmen-Markt geeilt, um endlich seinen Freund Kußmaul zu treffen - und ihn wieder einmal um seine medicinische, in diesem Fall pathologische Hilfe zu bitten.
Doktor Friedrich Kußmaul, als praktizierender Arzt an entsetzliche Krankheiten und plötzliche Sterbefälle gewöhnt, teilte Gontards erklärte Vorliebe für geheimnisvolle Todesfälle nur bedingt, war jedoch auch diesmal bereit, sich persönlich für eine gewissenhafte Obduktion des unter so fragwürdigen Umständen Dahingegangenen einzusetzen.
»Ein Einspruch der Familie ist nicht zu erwarten?«, erkundigte er sich sicherheitshalber. Gontards lange zurückliegende Bekanntschaft mit der jäh zur Witwe gewordenen Frau von Streyth war ihm noch in Erinnerung.
»Ich bitte dich!« Beinahe hätte Gontard mit seiner heftigen Handbewegung das zierliche Kaffeetässchen vom Tisch gewischt. »In der Residenz werden alle Unglücksleichen vorschriftsmäßig seziert. Weshalb sollte für unseren Oberst-Lieutenant eine Ausnahme gelten?«
Kußmaul wiegte sein Haupt. »Bei den höheren Ständen weiß man nie, wie weit der Einfluss reicht. Sprachst du nicht seinerzeit von einer gewissen Hand, die schützend über ebendiesem Herrn von Streyth schwebe?«
»Schwebte, mein Lieber, schwebte. Es handelte sich um niemand Geringeren als unseren Gebieter, den Prinzen August, Oberbefehlshaber der preußischen Artillerie …«
»… und letzten direkten Nachfahren Friedrichs des Großen«, ergänzte Kußmaul lachend. »Jetzt erinnere ich mich! Der Gute ist vor einem Jahr gestorben, nicht wahr?«
»Eben. Deswegen wäre die Laufbahn des Herrn Oberst-Lieutenant an unserer Artillerie- und Ingenieurschule ohnedies mit dem auslaufenden Semester beendet gewesen, und niemand hätte ihm eine Träne nachgeweint.«
Kußmaul gab dem bedienenden Markeur ein Zeichen, ihnen noch zwei Mokka zu servieren und dazu zwei Gläschen jenes herben Likörs, den er neuerdings bevorzugte.
»Das spricht natürlich gegen ein Attentat«, stellte er sodann nüchtern fest. »Wenn ihn jemand loswerden wollte, brauchte er doch nur die Zeit abzuwarten, oder?«
Gontard nickte zustimmend. »Allerdings passen die Pistole und der daraus abgegebene Schuss nicht so recht in dieses friedliche Bild.«
»Glaubst du, dieser Kirchner hatte Gründe, etwas gegen von Streyth zu unternehmen?«
Gontard seufzte. »Das eben gilt es herauszufinden. Immerhin halte ich Kirchner für intelligent genug, sich nicht mit einer just abgefeuerten Waffe in der Hand neben einer frischen Leiche erwischen zu lassen.«
»Na bitte! Und wenn es nun der Herr Oberst-Lieutenant höchstpersönlich und eigenhändig war, der die Pistole abfeuerte, um mit dem Ende seiner militärischen Laufbahn auch sein ruhmreiches Leben zu beschließen?«
»Nein, nein.« Gontard dachte einen Augenblick nach und schüttelte abwehrend den Kopf. »Da schätzt du den alten Zausel falsch ein. Er mag nicht besonders klug gewesen sein, aber zäh war er wie ungegerbtes Ochsenleder. Ein ehrpusseliger Soldat von altem Schrot und Korn, der sich zu wehren verstand und ewig Streit suchte. Der hätte sich allenfalls erschossen, wenn Prinz August höchstselbst es ihm befohlen hätte.«
Kußmaul hob das Likörglas. »Um den Prinzen ist es auffallend still geworden, findest du nicht?«
Nun war es an Gontard zu lächeln. »Meinst du, um uns wird man ein Jahr nach unserem Tod noch größeres Aufsehen machen?«
»Das meine ich wahrhaftig nicht!«
»Aber August war schließlich eine herausragende Persönlichkeit bei Hofe und beim Militär. Der letzte leibliche Neffe Friedrichs, der Bruder des unsterblichen preußischen Helden Louis Ferdinand … und der reichste Mann Preußens, vergiss das nicht! Dazu ein mehr als dutzendfacher Vater«, fuhr Gontard mit gedämpfter Stimme fort und sah sich dabei um. Im Roten Zimmer gab es immer den einen oder anderen mit langen Ohren. Gespräche über das gottgewollte Herrscherhaus der Hohenzollern waren allemal gefährlich.
»Ich sehe, du bist in deinem Element.« Kußmaul griente breit. »Zwar hast du die Maulfertigkeit deines dahingegangenen Freundes Heidenreich noch nicht erreicht, doch wirst du gewiss herausfinden, welcher Art Verknüpfungen zwischen dem dahingegangenen Prinzen August und seinem vom eigenen Pferd getöteten Günstling existierten.«
Gontard verstand die Anspielung nur zu gut. Doktor Gebhardt Heidenreich war nicht nur ein ebenso beredsamer wie begnadeter Physiker und Experimentator gewesen, sondern auch ein geradezu manischer Erforscher der Hohenzollern’schen Genealogie, in deren illegitime Verzweigungen er tiefer eingedrungen war, als es für