Schaurige Geschichten aus Berlin. Jan Eik
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Am Boden sorgten eher Feuer und Explosionen für mittlere Katastrophen. So stand das prächtige und moderne Hotel Kaiserhof schon wenige Tage nach seiner Eröffnung im Oktober 1875 in hellen Flammen. Allerdings war der Bau mit 2,75 Millionen Mark gut versichert, was Anlass zu mancherlei Verdächtigungen bot …
Weniger Schaden richtete im Mai 1894 das sogenannte Kaiserfeuer auf einem Bauernhof in Gatow an, wo Seine kaiserliche Majestät Wilhelm II. höchstpersönlich gerade mit seiner Dampfjacht Alexandria aufkreuzte und gemeinsam mit der Mannschaft das Großfeuer bekämpfte. Als ein ungläubiger Spandauer Feuerwehrmann äußerte: »Mann, det jloobste doch selber nich, dettste Wilhelm bist!«, bewies es ihm der Kaiser durch stramme Befehle – und vermutlich durch seinen zu kurzen Arm.
Am 7. Januar 1898 brannte die gerade modernisierte Borsigmühle an der Spree in Moabit. Kein Wasser vermochte die haushohen Flammen zu löschen. Die gesamte Spreefront des Riesenbaus stürzte zusammen mit dem großen Kran und einigen tausend Tonnen Roggen in den Fluss. Das Restgemäuer brannte noch 14 Tage und wurde schließlich gesprengt. Die Firma Borsig gab den Standort auf und zog nach Tegel. Die Tanklager auf dem Nobelshof im östlichsten Winkel von Rummelsburg wurden dagegen noch weitere fünfzig Jahre genutzt, nachdem dort im November 1910 drei Millionen Liter Benzin explodiert waren und wochenlang brannten.
Die soziale Lage breiter Bevölkerungsschichten war nahezu unerträglich und führte zu immer neuen Unruhen. 1863 kam es zu Mieterunruhen am Moritzplatz, im März 1872 behinderte ein Streik den Bau der Siegessäule, und im Juni desselben Jahres kam es nach der Zwangsexmittierung eines Tischlers zu den Blumenstraßenkrawallen, bei denen 102 Polizisten zumeist durch Steinwürfe und 160 Zivilisten durch Säbelhiebe verletzt wurden. Die erregten Massen zerstreuten sich erst nach zwei Tagen, als das Polizeipräsidium mit dem Einsatz von Militär drohte. 33 »Aufrührer« wurden zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt.
Im Sommer 1885 streikten in Berlin 12 000 Maurer für höhere Löhne und für den Neunstundentag, fünf Jahre später waren es 40 000 Arbeiter, die für den Zehnstundentag in den Streik traten. Als die Polizei beim Moabiter Aufstand im September 1910 gegen streikende Kohlenarbeiter vorging, wurden zwei Menschen getötet und Hunderte verletzt. Bereits im Februar desselben Jahres hatte der Polizeipräsident von Jagow Versammlungen unter freiem Himmel verboten, vermochte damit aber am 6. März nicht, den Treptower Wahlrechtsspaziergang von 150 000 bis 200 000 Berlinern gegen das Dreiklassenwahlrecht zu verhindern. Die Polizei sprach von 15 000, die dem Aufruf der Sozialdemokraten gefolgt waren. Der Vorwärts erwartete spöttisch, dass Jagow die Zahl nochmals halbieren würde, um schließlich zu verkünden, »dass seine Reiter ihre wilden Angriffe nur gegen das gewöhnliche Sonntagspublikum im Treptower Park verübt haben«.
Von der Kriegseuphorie zu Bombenkrieg und Vernichtung
Dass der Beginn des Ersten Weltkrieges in der Reichshauptstadt eine allgemeine Kriegseuphorie auslöste, ist bekannt. Zeitgenössische Quellen bieten ein differenzierteres Bild, fanden doch noch in der Woche vor der Mobilmachung an 28 Versammlungsorten in der Stadt machtvolle Friedenskundgebungen der Sozialdemokraten statt, deren Teilnehmer anschließend von der Polizei in heftige Auseinandersetzungen verwickelt wurden. Auch vor den Sparkassen kam es zu Unruhen, Tausende wollten über ihre Guthaben verfügen, und Berlins Taschendiebe sorgten für ihren persönlichen Anteil daran.
Rasch verflog bei den skeptischen Berlinern die tatsächlich vorhandene Kriegsbegeisterung. Schon im Mai 1915 demonstrierten Frauen vor dem Reichstag für den Frieden, im Oktober brachen die ersten Unruhen wegen der Lebensmittelknappheit aus. Die Rationierung und der Kohlrübenwinter 1916/17 verschärften die Situation. Am 16. April 1917 folgten 300 000 Arbeiter dem Aufruf der Metallarbeitergewerkschaft zum Generalstreik, im Januar 1918 streikten die Munitionsarbeiter. Am 9. November schließlich wurde die deutsche Republik gleich zweimal ausgerufen; die Kontrahenten Sozialdemokratie und Spartakusbund (seit Januar 1919 Kommunistische Partei KPD) verstrickten sich in Auseinandersetzungen, die im Januar und März 1919 zu bewaffneten Kämpfen mit zahlreichen Toten unter den Linken führten. Von nun an gehörte Gewalt endgültig zum festen Repertoire politischer Konfrontation.
Von allen Bränden in Berlin ist der des Reichstags am 27. Februar 1933 in nachhaltigster Erinnerung geblieben. Ihn und seine Folgen zu beschreiben, bedarf es einer ganzen Bibliothek. Die These von der Alleintäterschaft des Holländers van der Lubbe hat sich noch immer nicht überzeugend gegen die Version der SA-Brandstiftung durchgesetzt. Kapital jedenfalls schlugen die Nationalsozialisten aus dem Brand, der ihnen Anlass zur Verhaftung Tausender Andersdenkender bot. Nur zehn Wochen danach zeigten sie bei einem nächsten Feuer, wes Ungeistes Kind sie waren. Am 10. Mai 1933 brannten auf dem Opernplatz die Bücher jüdischer, kommunistischer und linksbürgerlicher Autoren – ein schauriges Flammenzeichen für das Kommende. Die unterirdische Bibliothek auf dem heutigen Bebelplatz erinnert an die Bücherverbrennung.
Ihre nächste Brand- und Vernichtungsaktion bezeichneten die Nationalsozialisten euphemistisch als »Reichskristallnacht« – ein Pogrom gegen alle jüdischen Kultstätten und Geschäfte, dem beinahe alle Synagogen in der Stadt zum Opfer fielen. 12 000 Juden wurden in die KZ verschleppt; die systematische Vertreibung und Vernichtung begann.
Als am 1. September 1939 Hitlers Truppen in Polen einmarschierten, hielt sich der Kriegsjubel in Grenzen, obwohl die Berliner kaum ahnen konnten, was da auf sie zukam. Selbst als im August 1940 die ersten Bomben fielen, glaubten die meisten noch an einen deutschen Sieg. Die Bilanz nach vier Jahren Luftkrieg war ebenso schaurig wie verheerend: Die Bomben hatten mindestens 55 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt hinterlassen. Spätere Schätzungen reichen sogar bis zu neunzig Millionen Tonnen, von denen allein zwanzig Millionen in Mitte und Friedrichshain lagen.
Nachkrieg
Verglichen mit den Kriegsschrecken nehmen sich die Unglücksfälle und Brände der Nachkriegszeit beinahe harmlos aus. Grobe Fahrlässigkeit führte am 5. Juli 1951 zu einem tragischen Dampferunglück in Treptow, dessen schreckliche Folgen sich durch politische Halsstarrigkeit noch verschlimmerten. Der Schiffseigner des Ausflugsschiffs Heimatland hatte den Dieselmotor seines Dampfers gegen einen Benzinmotor ausgetauscht, der nach nur 300 Metern Fahrt infolge eines Vergaserbrandes explodierte. Von den 127 Personen an Bord – mehrere Schulklassen aus Prenzlauer Berg auf einem Ausflug nach Hessenwinkel – verbrannten oder ertranken 30 Kinder und zwei Erwachsene. Nach West-Berliner Angaben lag die Zahl der Opfer bei 49. Das Ost-Berliner Löschboot traf zu spät ein, und die Feuerwehr aus Schöneweide durfte weisungsgemäß nicht durch den Westsektor fahren. Die aus dem Westen angebotene Hilfe wurde ignoriert. Gerettet wurden viele der Überlebenden von einem anderen Schiff aus und von den Arbeitern, die in der Nähe mit dem Bau des »Tausendfüßlers« beschäftigt waren – der bis zum Bau der Elsenbrücke einzigen offiziell für Ost-Berlin nutzbaren Spreebrücke zwischen Schöneweide und der Innenstadt.
Der Eigner und Kapitän der Heimatland, nach heutigen Vermutungen nur bedingt für den Austauschmotor verantwortlich, wurde wegen vorsätzlicher Transportgefährdung in einem besonders schweren Fall zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. An das größte Unglück in der Geschichte der Berliner Schifffahrt erinnern ein am Treptower Hafen aufgestellter Gedenkstein und der Grabstein für die meisten der Opfer auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde.
Unfälle und gefährliche Vorkommnisse mit Soldaten der Besatzungsmächte kamen in Ost und West vor. Am 16. Juni 1978 peitschten plötzlich Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße Schüsse, als der schwerbewaffnete sowjetische Deserteur Abukirow von seinen Verfolgern gestellt wurde.