Schaurige Geschichten aus Berlin. Jan Eik
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Die jetzige Rosen-Strasse hat Anfangs die Huren-Strasse geheißen. Das liederliche Frauen-Volck hat der Strasse den Nahmen zuwege gebracht, denn es wurden dieselbigen an einen Karren mit zwey Rädern geschlossen, und mussten den Gassen Unflath in die dazu gemachten Grufften zwischen den Wall und Mauer fahren. Weil hernach einige Hoff-Trompeter anbaueten ward sie die Trompeter Strasse, da aber dieselbigen ausgestorben, die Rosen-Strasse genennet.
Im Jahre 1603 sandte Kurfürst Joachim Friedrich ein »Mandat an alle Pfarrern, bey Verlust ihres Pfarr Amts auff den Concubinat acht zu haben gegen Unzucht und Hurerey«. Erfolg war dem Papier anscheinend nicht beschieden. Kurfürst Friedrich III., der spätere König, verschärfte 1690 die Strafen gegen die öffentliche Unzucht.
Der Soldatenkönig erließ am 31. März 1718 gar ein »Allgemeines Edict wegen Abstellung des Voll-Sauffens, und daß die Trunckenheit in denen Delictis nicht entschuldigen sondern die Strafe vermehren soll … Weil unter dem Vorwand des Gesundheit-Trinckens ein grosser Mißbrauch vorgehet.«
Gehurt und gesoffen wurde dennoch weiter, Berlin war nicht umsonst eine Stadt der Bierbrauerei und allgemeinen Zecherei, und an feilen Damen fehlte es nicht einmal in der besten Gesellschaft.
1795 wies Berlin mit seinen 173 000 Einwohnern 66 registrierte Bordelle mit 257 polizeilich inskribierten Dirnen auf, streng preußisch geführt nach dem königlichen Lusthaus-Reglement und eingeteilt in drei Klassen. Die Stuben waren nummeriert; das Mobiliar bestand aus einem Feldbett und einem Leuchter!
Bald standen etwa hundert Freudenhäuser mit je fünf bis neun Lustdirnen unter Aufsicht der Polizei. Die Frauen mussten sich regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen unterziehen. Strafen setzte es nur noch, wenn jemand zu Schaden kam oder öffentliches Ärgernis erregte.
Jeder Bordellwirt musste »monatlich für jede Lohnhure, die er hält, sechs Groschen« in die Heilungskasse zahlen. Dafür sollte »jede infizierte Lohnhure sofort in die Charité« eingeliefert werden, und die – 1726 im unbenutzten Pesthaus von 1710 eingerichtet – leistete nach dem Urteil eines Zeitgenossen »mehr für die Dezimierung der Berliner Bevölkerung als die Guillotine in anderen Städten«. Dies vor allem, als sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Berlin die Syphilis seuchenartig ausbreitete.
Hexenverbrennungen
Wie überall in Deutschland ging man in alten Zeiten nicht nur den Dirnen an die Wäsche. Auch im protestantischen Brandenburg fanden Hexenverbrennungen statt, war doch selbst der Doktor Luther der Meinung, Hexen müsse man verbrennen und in solchen Fällen mit der Strafe eilen, ohne auf die Bedenklichkeiten der Juristen zu hören.
Der erste Fall einer Bestrafung wegen Zauberei ist aus dem Jahr 1390 überliefert. Eine alte Frau sollte einer anderen zwei Giftbeeren gegeben haben und erlitt deswegen den Tod durch das Feuer. Ein ähnlicher Fall ereignete sich 1423, als ebenfalls eine alte Frau verbrannt wurde. Die Chronik scheint hier lückenhaft, denn angeblich erst 1552 wurde wieder eine Zauberin angeklagt und verbrannt. Als die Flamme des Scheiterhaufens hochschlug, sei ein Reiher darin verschwunden und mit einem Stück vom Pelze (?) der Hingerichteten davongeflogen. Im Jahr darauf verbrannte man zwei »Zauberhuren, weil sie ein gestohlenes Kind zerstückelt und gekocht hätten, um mit dem daraus gewonnenen Zaubermittel Theuerung (!) im Land anzurichten«.
Carions Weissagung
Die Hohenzollern waren besonders abergläubisch. Joachim Nestor hatte für seinen Astrologen Carion eine Sternwarte einrichten lassen und galt selbst als halber Zauberer. Carion weissagte sogar den Namen des Schutzengels des Prinzen Johann: »Bathsitihadel«. Es fand sich keiner, der einen anderen Namen für den Engel kannte.
Zu jener Zeit kursierte eine berühmte Weissagung, im Februar 1524 würde die Welt untergehen. Carion jedoch ermittelte einen Fehler in der Berechnung und prophezeite die Sündflut für den 15. Juli 1525. Es war ein strahlender Sommertag. Der Hofstaat zog dennoch mit Kisten und Kasten auf die höchste Erhebung von Berlin, den heutigen Kreuzberg. Allmählich breitete sich dumpfe Gewitterschwüle aus, und der Himmel bezog sich. Dann jedoch brach die Sonne durch, und die Wolken lösten sich auf. Nachdrücklich forderte die Kurfürstin Elisabeth zur Rückkehr auf. Unter dem Gespött, noch mehr aber unter dem Gemurre der Berliner zog die Kavalkade in die Stadt ein. Als sie auf den Schlossplatz einbog, schoss plötzlich ein Feuerstrahl aus den neuerlich aufgezogenen Wolken.
Joachim sank betäubt zusammen, der Regen stürzte wie aus Kannen vom Himmel. Als der hohe Herr zu sich kam, lag der Kutscher tot aus dem Wagen herausgeschleudert auf dem unbefestigten Platz. Außer ihm hatte der Blitz vier der acht Pferde erschlagen. »Sunsten hat das Wetter keinen Schaden mehr getan …«, merkt ein Chronist an. Es trifft eben immer die Falschen.
Am zweiten Weihnachtstag desselben Jahres hörte Joachim in der Kirche der schwarzen Brüder vor dem Schloss die Weihnachtspredigt. Der rotgesichtige Mönch auf der Kanzel erging sich in wüsten Drohungen gegen Luther, donnerte mit den Fäusten auf das Holz – und brach vom Schlag gerührt zusammen. Die Kurfürstin Elisabeth zog es vor, bald darauf ins lutherische Sachsen zu entfliehen.
Die letzte preußische Hexe
Ein Edikt des Großen Kurfürsten befahl 1679 den Kriminalrichtern Berlins mit Nachdruck, alle Hexen der Mark zur Verantwortung zu ziehen. Hexenprozesse blühten auf, als sie anderswo bereits abflauten; noch 1692 wurde in Berlin Daniel Krösing wegen ausgestoßener Gotteslästerungen enthauptet.
Erst der Soldatenkönig machte den Hexenprozessen ein Ende. Ein junges Mädchen, Dorothea Steffin, hatte angeblich am Wedding vor den Toren Berlins einen vornehmen jungen Mann in blauem Rock und gestickter Weste kennen und lieben gelernt. Sie traf ihn auf der Langen Brücke in Berlin wieder, schlief wiederum mit ihm und schloss angeblich einen Pakt mit ihm. Er sei der Teufel, erklärte er und ließ sie ein Dokument mit ihrem Blut unterzeichnen.
Im Kalandshof wegen ihres unsittlichen Lebenswandels eingesperrt, gestand die Steffin nach einem Selbstmordversuch ihre Beziehung zum Teufel. Damit wäre ihr Schicksal besiegelt gewesen. Gemäß den modernen Ansichten eines Thomasius wurde sie jedoch von einem Richter und einem Arzt vernommen und begutachtet und wand sich dabei in Krämpfen. Im Prozess konnten sich die Reformisten unter dem Kammergerichtsrat Wagner durchsetzen. Da Friedrich Wilhelm I. sich das Urteil beziehungsweise dessen Bestätigung vorbehalten hatte, wurde der Fall dem Staats- und Kriegsminister Samuel von Cocceji, dem späteren Rechtsreformer und Großkanzler des Alten Fritzen, vorgetragen. Cocceji, wie schon sein Vater ordentlicher Professor der Rechte an der Universität zu Frankfurt an der Oder, entschied, Dorothea Steffin habe am Leben zu bleiben.
Am 10. Dezember 1728 erging das Urteil:
Obwohl es das Ansehen habe, daß die Inquisitin wegen des Bündnisses mit dem Teufel mit dem Feuer oder doch mit dem Schwerte zu strafen sei, zumal sie einen höchst unsittlichen Lebenswandel geführt habe, so könne doch das Bündnis mit dem Teufel auch Effekt der Schwermütigkeit sein … Damit sie aber durch ein liederliches Leben und Versuchen des Selbstmordes nicht ferner in dem Wege des Satans sich verstricken könne, sei sie lebenslänglich in das Spandauer Spinnhaus zu bringen und zu leidlicher weiblicher Arbeit anzuhalten, ihr auch dort Arznei und geistlicher Zuspruch zu erteilen. Von Rechts wegen.