100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 3. Erhard Heckmann

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 3 - Erhard Heckmann

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uns der kostenlose Zubringerbus der Driftwood Lodge, unser Stadthotel für zwei Nächte, von der Auke Bay ab, denn das gehört zum Service. Der Rest des Tages verläuft ohne Programm, zum Teil aber wieder in einem „berühmten“ Saloon, dem „Red Dog“, denn auch ihn kann kein Tourist auslassen. Mit Sägespänen auf dem Fußboden, ordentlicher Lifemusik, Bieren wie Saloon Amber oder King’s Ale und Drinks, die unter den Namen „Cheap Shit (pretty good staff)“, „Regular Shit“, „Expensive Shit“ und „Realley Expensive Shit“ angeboten werden und zwischen fünf und sieben Dollar kosten, lässt sich schon erahnen, dass auch hier die raue Vergangenheit mitschwingt. Tanz und Unterhaltung soll der Saloon schon zu Juneaus „glorious mining heydays“ geboten haben, als „Ragtime Hattie“ mit weißen Handschuhen am Piano für Stimmung sorgte, oder Gordie Kanouse mit seinem Maultier an der Bootsanlegestelle stand und die ankommenden Besucher mit einem Schild an seinem Vierbeiner aufforderte „follow my ass to the Red Dog Saloon“. In den zeitigen Siebzigern des letzten Jahrhunderts kaufte die Harris-Familie das Gebäude und erweiterte es um eine dritte Etage, doch ist „der Laden“ viel weniger historisch, als er vorgibt zu sein. Originell ist dieser Country-Pup aber auf jeden Fall, und gejubelt und getanzt wird dort auch heute noch recht ordentlich. Größtenteils sind es Kreuzfahrt-Touristen, die ihre Shopping-Tour hinter sich haben und noch ein paar Stunden feiern möchten, ehe ihr elegantes Schiff wieder zur Rückkehr und Etikette auffordert. Der Saloon ist randvoll, doch finden wir Platz am Tisch zweier Schwestern, deren Mutter auf dem Schiff geblieben war. Der Grund für die Kreuzfahrt war Christin, die in Australien lebt, nach langen Jahren erstmals wieder in ihre kanadische Heimat gekommen war, um Schwester und Eltern in Vancouver zu besuchen. Es waren zwei lustige Erdenbürger, und als wir uns nach einigen Stunden Spaß und guter Laune von den etwa Vierzigjährigen mit dem üblichen „have a nice time and hope to see you again“ verabschieden, hatten wir auch die Adressen getauscht und uns gegenseitig eingeladen. Realisierbar ist das durchaus, denn Anne wohnt in Vancouver und Chris in Melbourne, Städte, in denen wir sicherlich erneut landen werden.

      Tags darauf heißt unser Programm „Tracy Arm“. Um diesen Fjord aus den Küstengebirgen heraus zu hobeln brauchten Gletscher zweieinhalb Millionen Jahre, und was sie nach ihrem Rückzug siebzig Kilometer südlich von Juneau geschaffen hatten, war meisterhafte Arbeit: Vierzig Kilometer lang, 400 m tief und an beiden Seiten von bis zu eintausend Meter steilen Felswänden begrenzt, von denen Wasserfälle von Kante zu Kante über die Klippen springen. Am Ende des Tracy Arms setzt die 250 Meter hohe doppelzüngige Eiskante des Sawyer Gletschers eine endgültige Barriere, während der südliche Bruder, der mehr als eine halbe Meile bedeckt, fast immer kalbt und die zu Eis gefrorene Vergangenheit krachend in sich zusammenstürzen lässt. Eisig kalt, weiß bis mittelblau leuchtend und abweisend richtet sich die Abbruchkante des Gletschers auf. Davor schaukeln und treiben ungezählte Bruchstücke im Wasser, deren Tage gezählt sind und auf denen sich Hunderte von Harbour Seals wohlfühlen. Dieser, im Tongas National Forest an der Stephens Passage – einer Meerenge im Alexanderarchipel – liegende Tracy Arm wurde 1980, gemeinsam mit seinem parallelem Nachbar Endicott Arm und 2.640 Quadratkilometer Umgebung, zur „Tracy Arm-Fjords Wilderness Area“ erklärt, womit ihm die höchste Stufe amerikanischen Naturschutzes zuerkannt wurde.

      Unterwegs nimmt unser Skipper auf der fast zehnstündigen Tour alles mit, was sich anbietet. Er fährt haarscharf an Wasserfälle heran, steuert zum Rand, wenn er dort Bergziegen oder Bären entdeckt, die auf dem Schwemmlandstreifen unterhalb der steilen Granitwände nach Muscheln suchen, stoppt unter Adlerhorsten oder nähert sich vorsichtig Robben und anderen Fotomotiven. An die beiden Gletscher schippert Steve Weber – auf seiner Brücke darf man Platz nehmen – seine 17 Meter lange „Adventure Bound“ nur so nahe heran, wie es die Sicherheit erlaubt. „Im Ziel“ schaltet der Steuermann dann die 625 PS-Motoren für eine Weile ab, damit seine Gäste dieses Stück Natur in aller Stille bestaunen können. Der Blick auf die beiden Gletscher ist ein großartiger und das Kalben wohl immer ein Erlebnis. Es beginnt mit Knistern und Knacken in der Wand des bläulich leuchtenden, zerklüfteten Eises, und wenn es wie Kanonendonner gewaltig knallt, dann hat sich bereits ein haushoher, zitternder Koloss von ihr abgelöst, reißt und platzt auseinander, in große und kleine Säulen, Platten oder kantige Gebilde. Diese ganze Masse fällt schließlich in sich zusammen und stürzt mit ungeheurer Wucht ins das grüne Wasser, das gewaltig und druckvoll nach oben ausweicht, an Kraft verliert und weiß schäumend wieder aufklatscht. Die Druckwellen, die sich schnell ausbreiten, lassen auch unser Schiff, auf dem die Motoren bereits wieder arbeiten, ordentlich schaukeln und spüren, wie viel Kraft in ihnen steckt. Mit dem Glacier Bay National Park steht dieser Fjord natürlich nicht auf gleicher Höhe, aber ein schlechter Ersatz ist er keinesfalls, sondern ein wunderschönes Erlebnis, das im Vergleich äußerst preiswert ist und auf das man in Juneau, neben den Bären auf Admiralty Island, keinesfalls verzichten sollte. Der Glacier Bay National Park, mit mehreren Gletschern, Regenwald mit riesigen Fichten, Wanderwegen, zahlreichen Tieren und von Gustavus aus zu erreichen, ist wesentlich größer und vielfältiger. Mit Standort Gustavus lässt sich auch gleichzeitig das grandiose Schauspiel in der Icy Strret ansteuern, wenn die Wale – die richtige Jahreszeit und etwas Glück vorausgesetzt – beim gemeinsamen Heringsfang mit offenen Mäulern aus dem Wasser schießen. Andererseits lässt sich der „Glacier“ auch mit einem Buschflugzeug ab Haines erkunden, und das kostet einen Bruchteil an Zeit und Geld dessen, was für eine Tour mit Standort Gustavus (sehr schöne Lodge) ab Juneau verlangt wird.

      Für uns wird es auch Zeit, uns vom lustigen Leben in „Little San Francisco of the North“ zu verabschieden und die Lodge anzusteuern. Das „Wake-Up Call“ wird uns viertel nach ein Uhr schon wieder wecken, um rechtzeitig auf der Taku zu sein, die um vier Uhr morgens in Auke Bay ausläuft. Juneau kennen wir sehr gut, und deshalb fällt der Abschied von diesem hübschen 3.000-Einwohner-Ort, zu dem keine Straßen führen, auch nicht schwer. Wir haben hier schon alles abmarschiert, die viktorianischen und historischen Häuser oder die achteckige Kirche, die in Sibirien gebaut und 1894 hier wieder zusammengesetzt wurde. Wir kennen auch jene Straßen, die für Autos zu steil sind oder an Treppenstufen enden und haben seinen Gletscher wie den Hausberg Mt.Roberts besucht, zu dem sich die gleichnamige Seilbahn müht. Juneau hat vor der Haustür auch den schmalen Gastineau Channel mit den Kreuzfahrtschiffen fast im Zentrum, Elche in den Wäldern, 80 Kilometer Wanderwege, auf Admiralty Island die weltbekannten Bären und im Sommer, wenn Touristen aus aller Welt hier unterwegs sind, lockt das Eisfeld auch mit Hundeschlittenfahrten und Helikopterflügen auf das eiskalte Dach von Alaskas Hauptstadt. Gold legte einst den Grundstein. 1963 stieß das Alaska Marine Highway System die Tür in ein neues Zeitalter auf. Als das Öl 1977 durch die Trans-Alaska-Pipeline floss, wurde die Staatskasse gefüllt. Schließlich konnte die Steuerstruktur reformiert werden, und das Alaska Native Land Claims Gesetz zahlte den Eingeborenen fast eine Milliarde Dollar und gab ihnen 44 Millionen Acker Land zurück. In Juneau wurde die Nugget Mall eröffnet, der Egan Drive gebaut und das Mendenhall Valley entwickelt. Der Büro- und Hausbau boomte, das lokale Geschäft wuchs und internationale Handelsketten zogen ein. Ab 1990 hatten auch die Touristen die Stadt am Wasser entdeckt, und seit 2000 bringen Fähren und Kreuzfahrt-Luxusliner jährlich mindestens 600.000 davon auch nach Juneau. Eine einzige Sache müssen wir auf dem Weg zur Lodge aber doch noch erledigen: Einer Institution Adieu zu sagen, die, in Bronze gegossen, noch immer die Luxusliner an den Juneau Docks begrüßt, „Patsy Ann“. Der Terrier, der im Alter von 14 Jahren an Rheuma und Übergewicht starb, war der Liebling der Einheimischen. Sie fütterten ihn mit allem was es gab, und die Zeitungen druckten viele Geschichten über diesen Hund. Von den 1930er Jahren bis zu ihrem Tod 1942 hat die Hündin alle Schiffe begrüßt, die anlegten. Fuhren sie vorbei, soll sie nachgeschwommen sein, um ihr Ritual dennoch zu vollziehen. Auch im Dog hat sie sich angeblich niemals geirrt, höchstens die Menschen. Notfalls wartete Patzy Ann auch ganz allein, aber eben dort, wo das Schiff wirklich anlegte. Und vor dieser Legende, die in Juneau noch immer „lebendig“ ist, wollten wir ganz bewusst einen Augenblick verweilen.

      Nach unserer kurzen Nacht gab’s gleich richtig Ärger, denn der Fahrer des Hotelbusses war zum Dienst nicht erschienen, das Ersatz-Taxi viel zu klein, und als endlich der gerufene Kleintransporter eintraf schlief ein dreimal von seiner Familie geweckter Sechszehnjähriger noch immer. Glücklicherweise war der Fahrer ein handfester Typ, der das „Please- Wait-Gejammere“ abwinkte und mit den

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