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Heute hält der Tourbus auf dem Hügel nur noch wegen der guten Aussicht, und für mehr Vergangenheit muss man sich im Visitor Center des Sitka National Historical Parks den dort gezeigten Displays zuwenden. An gleicher Stelle kann man in den zugehörenden Werkstätten auch den Künstlern – Schnitzer, Silberschmieden, Schneidern – bei ihren traditionellen Arbeiten über die Schulter schauen. Pflicht sind auch die Totempfähle der Tlingit und Haida, die über einen Wiesenweg im Regenwald zu erreichen sind und dort in der Gesellschaft von gewaltigen Zedern und Sitkafichten wie Geister wirken. Ihr Blick geht in Richtung der ankommenden Kreuzfahrtliner und bewirkt vielleicht auch, dass die New Archangel Dancers in der Harigan Centennial Hall von diesen Touristen genug Zuspruch erhalten, wenn jene ihre russischen Volkstänze darbieten. Am Ende der kleinen Halbinsel verdient auch noch der „Battle Ground“ – eine Wiese im Wald – einen Gedanken, denn hier wurde 1804 die letzte Schlacht zwischen Baranof und den Kiksadi-Tlingit Indianern geschlagen, die schon 1802 das Fort zerstört hatten und die Russen zurückschlugen. Nach einer Woche Beschuss durch die Fregatte Neva blieb aber auch diesen Eingeborenen letztlich nur noch der Rückzug. Sehenswert ist auch das 1842 erbaute Russian Bishop’s House, das als Zentrum der russisch orthodoxen Kirche fungierte und 1969 geschlossen wurde. 48 Monate später begann bereits eine 16 Jahre andauernde Rekonstruktion, um das Gebäude wieder so herzustellen, wie es sich 1853 darbot. Heute ist es eins von vier verbliebenen russischen Colonial-Architekturen in Nordamerika und verkörpert die dominierende Herrschaft der Russen im Nordpazifik für mehr als 125 Jahre. Und was hat die 9.000-Einwohnerstadt, deren Hafen als der geschäftigste an der Ostseite des Pazifiks in Alaska gilt, als größte des Alexander Archipels noch anzubieten? Je drei Häfen, Campingplätze, Flugplatz und Alaskas einzige, zur Universität gehörende Bowling Akademie. Im Sheldon Museum wird Völkerkunde geboten und, in dessen Shop, sehr gutes Kunsthandwerk verkauft. Gefeiert wird auch hier: Im Juni musizieren etwa 25 Künstler aus Asien, Europa und Nordamerika beim Musik Festival, und Anfang November werden die etwa 80 Buckelwale bejubelt, die alljährlich von Mitte September bis Mitte Januar im Haven „parken“, um anschließend ihre Reise in die Tropen fortzusetzen, wo sie ihre Jungen gebären und sich paaren. Stars in Südostalaska sind auch Bären, Otter und andere Vierbeiner, denn ein reichhaltiges Nahrungsangebot und niedrige Bevölkerungszahlen machen diesen Landstrich zu einem der besten Plätze für diese Tiere. Auch die Lachse und der Regenwald gehören zu den lokalen Attraktionen wie die Charterboote, die die dortigen Hütten erschließen. Für uns reicht die Zeit aber nur noch für ein paar schnelle Schritte zur O’Connell Brücke, um das Foto von der Waterfront und dem Hafen mit nach Hause nehmen zu können, denn dann heißt es, sicherlich auch für immer, Abschied zu nehmen von dem Städtchen mit dem freundlichen Flair, das heute vom Tourismus, der Holzverarbeitung und der Fischerei lebt. Es ist auch ein Abschied vom Herz der Geschichte Alaskas, denn hier unterhielt die Russian-American-Company schon eine geschäftige Ansiedlung, baute Schiffe und trieb mit den Indianern Pelzhandel, als Chicago nur ein Blockhaus, und San Francisco nicht mehr als eine Missionsstation waren.
Wenn wir morgen früh Petersburg, das auf den Norweger Peter Buschmann zurückgeht, der 1897 mit Sägewerk und Fischkonservenfabrik den Grundstein legte, gegen drei Uhr erreichen, werden wir sicherlich noch schlafen, denn der Ort ist ohnehin nicht aufregend. Es sei denn, man begeistert sich für seine große Kutterflotte, die mit etwa 400 Booten nicht nur Heilbutt anlandet, oder man möchte unbedingt das wunderschöne Panoramafoto vom „Hammer Slough“ haben. Lohnenswert ist Letzteres auf alle Fälle, doch braucht es auch die passende Tages- und Liegezeit. Jetzt werden wir vom Rest des wunderschönen Tages noch etwas an der Reling verbringen und die an uns vorüberziehende Natur genießen, in der das Bergmassiv der Coast Mountains mit seinen schneebedeckten Gipfeln und eisblauen Gletschern den Blick weit in die Ferne lenkt. Aber auch das Schiff selbst, seine Fahrt durch das klare Wasser unter uns und der bezaubernde Abendhimmel, dessen Färbung von Türkis bis zu hellem, klarem Blau ganz oben reicht, fesseln Gedanken und Blick. Dazwischen glänzen, von der tief stehenden Sonne angestrahlte, vereinzelte hohe Wolken in zartem Gelb-Rosa. Die leichte Brise, das eintönige Rauschen des durchpflügten Wassers und die fast greifbare Ruhe und Unendlichkeit fesseln ebenfalls. Derartige Momente beeindrucken, machen zufrieden aber auch nachdenklich und lassen vermuten, was die Suquamish-Indianer mit ihrem Sprichwort „ die Erde haben wir nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen“, gemeint haben könnten.
Gestern Abend habe ich meinen Wecker doch noch auf drei Uhr dreißig gestellt, denn die 37 Kilometer der kritischen Wrangell Narrows, die die Taku in den nächsten eineinhalb Stunden zwischen den Inseln Kupreanof und Mitkof passieren muss, wollte ich doch nochmals erleben. Die Passage wird sehr schnell gewaltig eng, und eine ganze Armada von Seezeichen weist den Weg. Oft bleiben nur eine schiffsbreite Rinne oder ein Slalom übrig, bei dem Bootsführer Kommandos schreien, mit langen Stangen hantieren oder Kuttersirenen aufheulen, um sich unserem Koloss gegenüber bemerkbar zu machen. Ich persönlich finde es grandios, wie sich die Taku „Schritt für Schritt“ durch dieses Gewirr aus Inseln und Stein windet, und danach sehr schön, dass ich mir nach der erheblichen Frische an der Reling die Bettdecke nochmals über die Ohren ziehen kann.
In Wrangell gehen nur wenige Leute von Bord, wir zum Frühstück, die drei oder vier LKW sind schnell verstaut, und nach kurzem Tuten drehen die Motoren der Taku schon wieder hoch. Für uns heißt das Fensterplatz, vor uns ein ordentliches Frühstück und sechs Stunden gemütliche Fahrt, mit Wald, Wasser und Inseln. Die Clarence Strait wirkt hier zwar wie offenes Meer, doch ist es immer noch die Inside Passage, und die hat heute zur Rechten das Prince of Wales Island, ein Paradies für Fischer und Wanderer, und hält kurz vor Ketchikan die Tongass Narrows bereit. Ketchikan, das sich auf schmalem Streifen zwischen Meer und Dear Mountain ausbreitet, hat im Zentrum neben Häusern auch „Straßen“ auf Stelzen, besitzt viele Totempfähle und kann sich über Regenmangel nicht beklagen. Nach wie vor lebt der langgezogene Ort von Fisch und Holz, und der Regenwald beginnt direkt hinter der Haustür. Das dritte Standbein, der Tourismus, hat sich aber schon gewaltig bemerkbar gemacht. Mit dem Flieger lässt sich auch von hier aus alles und schnell erreichen, von Anchorage bis Seattle, mit Haines, Juneau, Skagway oder ganz speziellen Attraktionen dazwischen. Ketchikan zeigt sich auch mit seinen Wasserflugzeugen, die ihre Rundfluggäste auch direkt abholen und längsseits der Kreuzfahrtschiffe landen, sehr geschäftig. Für uns spielen diese Möglichkeiten heute jedoch keine Rolle. Wir waren schon hier, wollen direkt weiter. Die eine Stunde Liegezeit reicht gerade aus, um von dem im Zentrum gelegenen Fährterminel 300 Meter über die Straße zum Supermarkt zu sprinten und für die nächsten beiden Tage Proviant einzukaufen. Was wir dort für fünfzehn Dollar bekommen – Wurst, Käse, Baguette, Croissants, Tomaten, Paprika, knackige Schwarzkirschen, Bananen und einen 6er-Pack Budweiser – war äußerst billig. Eintopf und Gebratenes zum Mitnehmen wurde auch angeboten, doch kostet eine Schüssel Chilibohnen mit viel Fleisch auf der Fähre auch nur 1.75 Dollar.
Im Schritttempo legt unser Schiff rückwärts wieder ab und wird in etwa sechs Stunden Prinz Ruppert erreichen. Momentan scheint Ebbe zu herrschen, denn die nassen Steine am Rand, über denen hohen Fichten wie Frontsoldaten zwischen Meer und Land in Reihe und Glied dem Wind trotzen, signalisieren, dass der Wasserstand in der letzten Stunde erheblich gesunken sein muss. Eine Rolle spielt das hier, wo uns im Revillagigedo Channel rechterhand die Inseln Anette und Duke als größere Gebilde begegnen, aber nicht. Auf der Westseite des Chatham Sounds wird sich uns noch Dundas Island zeigen und linkerhand auch der Südzipfel der im Tongass