Namaste geht immer. Gabriele Prattki
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Sie kommt mit einigen indischen Familien kurz ins Gespräch, was von strahlendem Lächeln auf allen Seiten begleitet wird. Diese Menschen möchten sie fotografieren. Dann darf sie von deren Kindern ein Foto machen. Sie ist entzückt von den hübschen Kleinen.
Zarte Figuren, die indischen Frauen mit ihren fein geschnittenen Gesichtern, gekleidet in so leuchtenden Farben, dass Sabina glaubt, davon betrunken zu werden: rosa, türkis, hellgrün, azurblau, fliederfarben, gelb, lila, dunkelrot, orange, ocker, unifarben oder mit feinen Mustern. Die Frauen tragen Ohr- und Nasen-ringe oder Perlenstecker, mehrere Armreifen aus verschiedenen Materialien, Halsketten und feine Kettchen um die Fußgelenke. Frauen in anderer Kleidung gehören verschiedenen Religionen an, etwa dem Sikhismus oder Islam. Manche der jungen indischen Frauen in New Delhi sind modisch gekleidet.
In der Nähe der Hauptstraße Chandi Chowk liegt ein Sikh-Tempel. Der Straßenname erinnert Sabina an ihre erste Indienreise. Hier war das Menschengedränge damals beängstigend dicht und die ständige Tuchfühlung sehr befremdlich für sie.
Unter den Mogulherrschern war Chandi Chowk die schönste Flaniermeile mit Grünstreifen und einem Wasserkanal in der Mitte. Heute ist dort ein Chaos an Verkehrsmitteln aller Art – auch eine Art Stoff-Fühlung: Blech an Blech.
Auf dem weißen Sikh-Tempel leuchtet eine goldene Zwiebelkuppel. Den Tempel darf man nur ohne Schuhe, Strümpfe, Tabakwaren und mit Kopfbedeckung betreten. Wer kein Kopftuch oder keinen Hut hat, kann das Haar mit einem orangefarbenen Tüchlein bedecken, das Touristen vor dem Tempel angeboten wird. All dies dient dazu, den Tempel nicht zu entweihen.
Sabina setzt sich mit den anderen der Reisegruppe für kurze Zeit auf den Boden. Er ist wie die Hauptgänge mit roten oder grünen Teppichläufern für die nackten Füße ausgelegt. Sie sieht der fremden religiösen Zeremonie interessiert zu, auch wenn sie nicht weiß, welche Bedeutungen die Rituale haben.
Danach werden sie durch eine Großküche geführt, in der es verführerisch duftet. Ehrenamtliche Helfer kochen in riesigen Behältern das Linsengericht Dal oder backen auf großen Herdplatten Chapati, indisches Brot. Die Küche ist Teil einer sozialen Einrichtung der Sikhs, die Nahrungsmittel an Hungrige verteilt.
In einem großen Saal sitzen viele Menschen auf dem Boden und nehmen die Speisen mit der rechten Hand zu sich.
Weiße Säulengänge umgeben in einem Innenhof des Tempelgeländes ein großes Becken mit blaugrün schimmerndem Wasser. Ein etwa fünfjähriger Junge, den Sabina wegen des Turbans als Sikh erkennt, schaut sie unverwandt an. Er trägt mit Nieten dekorierte Jeans und einen rosafarbenen Pullover mit einem Häschen darauf. Als sie seinen Blick erwidert, dreht er sich schüchtern zu seiner Mutter, die ihr zulächelt. Zwillinge, die noch in Windelhöschen stecken, tragen auf dem Kopf winzige Turbane wie eng anliegende Mützchen und trippeln an der Hand ihrer Väter. Die sind jung und attraktiv, tragen Turbane und Bärte, da sie als Sikhs nie ihr Haar schneiden. Ein kleines Mädchen, wenig älter als die Jungen, ist gekleidet wie ein Püppchen mit einem hellgrün schimmernden Kleidchen, Spangen in den kurzen, schwarzen Locken und glitzernden Sandälchen mit Blockabsatz, in denen die kurzen, leicht krummen Beinchen unsicher paddeln. Die farbenprächtig gekleidete hübsche Mutter der Kleinen trägt eine weit geschnittene Hose, die sich nach unten verengt, darüber ein Kleid, das bis unters Knie geht und einen Sari-Überwurf.
Vor dem Tempelgelände erläutert Kishan, was unter Sikhismus zu verstehen ist. „Sikh bedeutet Jünger des Gurus Nanak Dev. Von ihm wurde der Sikhismus im Indien des 15. Jahrhunderts gegründet. Er konnte die damaligen in der Religion geltenden Rituale, den Aberglauben und die Dogmen nicht akzeptieren. Die Sikh-Religion ist monotheistisch und der allmächtige Gott ein Gott der Gnade. Er straft nicht, sondern hat den Menschen geschaffen, damit er seine wahre Stellung im Kosmos erkennt und sich mit diesem vereinigt. Sikhismus lehrt ein weltliches Leben. Man soll der Menschheit dienen, um Toleranz und Brüderlichkeit zu fördern, mit der Umwelt und Gott in Harmonie leben, optimistisch sein und hoffen. Wenn alle anderen Mittel bei Konflikten versagt haben, ist der Einsatz des Schwertes berechtigt.“ Sabina hält den Atem an.
„Frauen sind gleichberechtigt“, fährt Kishan fort, „Mitgift und Scheidung nicht erlaubt. Nach der Verbrennung der Toten wird deren Asche in einen Fluss gestreut.“
Der Bus schiebt sich durch New Delhis dichten Verkehr, vorbei an Menschenmassen und unzähligen kleinen Verkaufsständen. Im Gegensatz zu Ella traute Sabina sich auf ihrer ersten Indienreise nicht, an den Straßenständen zu essen. Das wird sie auch während dieser Reise nicht tun. Sie bleibt vorsichtig.
Brot wird an den Straßen gebacken, Gekochtes brodelt in Töpfen, Süßigkeiten türmen sich in bunten Farben. Daneben liegen auf Planen Autoreifen und Kleinstteile, vermutlich fürs Fahrrad. Schrott wird in Mengen am Straßenrand gelagert. Chai, der in Indien beliebte und meist getrunkene Tee, wird mit Milch, Zucker und Gewürzen aufgekocht. Cola, Limonade, Wasserflaschen, Tücher und Stoffbahnen, Hemden, Kinderkleidung – alles liegt zum Kaufen aus. Autos parken abgedeckt oder ohne Schutz auf Gehwegen neben Karren mit Lebensmitteln. Menschen schlängeln sich daran vorbei. Manche winken den Reisenden im Bus lächelnd zu, der an einer Gedenkstätte für Mahatma Gandhi vorbeifährt und weiter durch die Straßen der Achtzehn-Millionen-Stadt voller LKWs, Fahrräder, Tuk-Tuks, wie die dreirädrigen Autorikschas genannt werden, Autos, Fahrradrikschas, Kühe, Pferdekarren und Traktoren mit Anhängern. Mittendrin bewegen sich Menschen, mehr Menschen als Sabina jemals an einem Ort erlebt hat. Häuser zwischen ruinenhaft und stolz ragen auf, an denen Reklametafeln entlang der Fassaden großflächig ihre Kaufbotschaften heraus-schreien. Alte Holzgitter zieren Fenster und Balkone. Über allem liegt staubgrauer Dunst, der Smog der Metropole.
Rückblick
Auf ihren Reisen besichtigte Ella auch Großstädte. So ausgiebig wie Peking allerdings nur einmal: Sie marschierte einem Gefährten zuliebe an einem Tag dreißig Kilometer, sagte ihm nichts von ihren schmerzenden Füßen und hatte noch Wochen später schwarzblaue Zehen.
Am liebsten reiste sie zu abgeschiedenen, fast unerforschten Orten, an denen die Einheimischen kaum Kontakt mit Fremden gehabt hatten. In den siebziger Jahren war sie in vielen Staaten Südamerikas und Afrikas unterwegs gewesen und hatte sich intensiv mit Geschichte, Kultur und Lebensweise der Bewohner beschäftigt. Ende der achtziger Jahre beteiligte sie sich an einem Forschungsprojekt über eine Bevölkerungsgruppe in Papua Neuguinea. Sie lebte einige Wochen mit den Einheimischen und wie diese in einer kleinen Hütte auf Pfosten, unter der die Schweine lagen. Über das Projekt entstand ein Buch, in dem deutlich wurde, wie wichtig die Vermittlung ethnologischer Themen in verschiedenen Schulfächern für Toleranz gegenüber fremden Kulturen ist.
Ella konnte sich fließend in verschiedenen Sprachen verständigen. Neben Englisch und Französisch hatte sie Spanisch und Suaheli gelernt, Arabisch und Chinesisch kamen hinzu. Sie hatte nach jeder Reise das Bedürfnis, den Menschen zu Hause das Fremde nahe-zubringen und ihnen einen weiten Blick über den Tellerrand zu ermöglichen. Auf diese Weise wollte sie dazu beitragen, eurozentrisches Denken abzubauen, das Europa als Mittelpunkt und anderen Völkern überlegen betrachtet. Ihr Wunsch entwickelte sich zu ihrer Mission.
2012
Beeindruckende Ruinen erinnern an den Beginn der islamischen Herrschaft über Nordindien im Jahr 1193. Der Hinduismus wurde zu jener Zeit verdrängt. Hindu-Heiligtümer wurden zerstört, viele Säulen von Hindutempeln