Hab Frau, kann arbeiten!. Sebastian Dittié

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Hab Frau, kann arbeiten! - Sebastian Dittié

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Frau stand bereits von ihrem Arbeitsplatz auf und reichte mir ein offensichtlich als Erklärung dienendes Schreiben über den Tisch.

      Ähnlich wie Orchideen, deren Vielfalt Wissenschaftler mit etwa dreißigtausend bekannten Arten angeben, ist die Stilblüte in einem Bewerbungsschreiben ebenso verbreitet wie in jedem anderen Text. Weniger bekannt ist sie unter dem lateinischen Begriff: tuae litterae, quae mihi quiddam animulae stillarunt – dein Brief, der meine Lebensgeister etwas aufgefrischt hat. Bei ihr hat sich ein lateinischer Begriff, wie in der Botanik üblich, nicht durchgesetzt, und diese Bezeichnung habe ich ja auch nur per Zufall im Internet gefunden, sie passte halt so schön an dieser Stelle.

      Im Gegensatz zu den Orchideen, die sowohl als erdgebundene Pflanzen als auch als Aufsitzerpflanzen, sogenannten Epiphyten, bekannt sind, ist die Stilblüte mehr zufällig und in der Regel vereinzelt in Textpassagen verankert, aber gleich der Orchidee hier als ganzer Satz aufgesetzt zu finden.

      Floristen sind Menschen, die in unserer Gesellschaft offensichtlich eine besondere Stellung einnehmen, so ist es jedenfalls dem Schreiben zu entnehmen, das mir meine Frau überreichte.

      Die Besonderheit von Floristen erklärte die Verfasserin der Bewerbung gleich zu Beginn selbst.

       Ich habe zwar Floristin gelernt, jedoch bin ich ein aufgeschlossener, lernfähiger Mensch.

      „Schöne Sache, trotz Floristikabschluss versuchte sie, sich aus den Klauen des Floristen-Verhaltenskodex zu lösen.“ Lachend reichte ich das Schreiben wieder zurück. „Immerhin hat sie eins erreicht. Sie hat unsere Aufmerksamkeit gewonnen! Das allein ist doch schon Grund genug, sie zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Meinst du nicht?“

      „Habe ich bereits erledigt“, antwortete leicht grinsend meine mir gegenübersitzende Kollegin.

      Ob sie noch was sagen wollte, entging mir, denn nun hatte ich mich von einem anderen Brief ablenken lassen. „Es steht eins zu eins, ich habe auch was“, warf ich ein und wedelte vor ihrer Nase mit einem Stück Papier.

      „Lies vor!“

      „Gut, hör zu!“

      Ich nahm den Bogen und zitierte die Stelle, die mich eben in ihren Bann gezogen und erheitert hatte.

       Zuletzt arbeitete ich als Bauklempner, danach war ich als Maschinenschlosser beschäftigt.

      Demzufolge gibt es nach dem Ende noch ein Danach. Zumindest beim beruflichen Werdegang. Setze ich diese Überlegung fort, komme ich zum Schluss, dass es womöglich auch ein Davor vor dem Anfang gibt. Eine Reinkarnation innerhalb eines Curriculum Vitae, ohne unnötige Zeit durch die Wiedergeburt zu vergeuden! In welch rastloser Zeit wir doch leben? Ein Gedanke, der schon beängstigend wirken kann.

      „Auch nicht schlecht. Hatten wir nicht letzte Woche ein ähnlich schönes Anschreiben in der Post?“ Womit ich ein Schreiben hervorzog, zu dem ich den Verfasser schon seit Tagen zu erreichen versuchte.

       Ich bin arbeitslos und als Fertigungshelfer derzeit in Vollzeit beschäftigt. Diese Situation möchte ich gerne ändern und mich auf die ausgeschriebene Stelle bewerben.

      Arbeitslos und dennoch vollbeschäftigt? Neudeutsch ein Multitasking-Talent ohne Erfolgsaussichten, ein Fall für die Ablage in der KDV, Abteilung: Nicht erreichbar. Jedoch erfuhr die Niederschrift als weiteres Exponat in unserer Stilblütensammlung eine ganz neue Bestimmung.

      Gleich über:

       … einer sofortigen Arbeitsaufnahme steht nichts entgegen. Bin jedoch auf absehbare Zeit nicht erreichbar …

      heftete ich die heutigen Exemplare zu unserer „botanischen“ Sammlung hinzu.

      In diese Tätigkeit vertieft, schweifte ich von meiner aktuellen Aufgabenstellung ab und ließ mich ohne Widerstand in den Bann der „Blütenvielfalt“ ziehen.

      „Kaum zu glauben, da hat sich doch manch schöne Kuriosität angesammelt“, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart.

      Langsam die Seiten über den Daumen laufen lassend blätterte ich mich durch, verweilte hier oder dort auf der einen oder anderen Seite und überlegte, aus welcher Begebenheit heraus manche Aussage wohl resultierte.

      Beim Durchstöbern stieß ich auf ein Schriftstück, was ich bereits völlig vergessen hatte, welches aber nun wieder meine Aufmerksamkeit erregte. Ein Schreiben, was durchaus Potential zur Erwähnung in einem Buch hat. Es war mir egal, was jetzt um mich passierte, ich ertappte mich beim Lesen des Briefes.

       Bezüglich Ihrer aktuellen und zukünftigen Stellenangebote, möchte ich mich vorstellen und bei Ihnen bewerben!

       Aus meinen Unterlagen können Sie entnehmen, dass ich versucht habe, in diesem Land voller Freude und Aufbauerfolge einen Job zu bekommen. Mich zu qualifizieren, selbstständig zu machen usw. usf. liefen zwischenzeitlich nebenbei!

       Leider scheinen bei mir die positiven Auswirkungen dieser großen Erfolge in diesem wunderschönen Land voller Licht und Schaffensfreude, abgesehen von den bürokratischen Schatten und schwarzen Löchern, auszubleiben bzw. sehe ich oder finde sie nicht!

       Dass ich trotzdem noch kein Alkoholproblem habe, mag daran liegen, dass ich als Realist die mir dargebotenen Potjomkinschen Dörfer der bürokratischen Maschinerie Arbeitsagentur und Jobcenter richtig zuzuordnen weiß. Auch sonst bin ich leider nicht unbedingt dem langzeitarbeitslosen Durchschnittsmenschen zuzuordnen – aber mal sehen!

      Der folgende Absatz bestand in der Originalfassung aus einem einzigen Satz, den ich aus Verständnisgründen erheblich gekürzt beziehungsweise auf mehrere Sätze verteilt habe, ohne jedoch den Ursprungscharakter zu verlieren. Etwas „Endlossatz“ habe ich jedoch beibehalten.

       Mit vierzig ist man teilweise ja schon altes Eisen. Da ich auch immer noch einen – der Gemeinschaft irgendwie nützlichen – Beitrag meiner freudlosen Existenz geben möchte, indem ich mich bemühe, die – nun fast schon Altersarmut zu nennende – magere staatliche Zwangsverrentung, hier ALG II genannt, nicht durch eine adäquate Kriminalität aufzubessern, wodurch mir zudem die Beantragung eines einwandfreien polizeilichen Führungszeugnisses vereitelt würde, ist mein Wunsch, das Bestmöglichste aus meiner mir aufgezwungenen Freiheit zu machen, ohne dieser Gesellschaft und dem einzelnen Individuum der selbigen zu sehr zur Last zu fallen, gewachsen. Meine Frustration versuche ich, in der Hoffnung auf einen Lichtblick, durch Bewegung und Verbalisierung im Zaum zu halten!

       Zu Ihrer Information beschäftige ich mich seit mehreren Jahren mit Psychoanalyse, Sozialpsychoanalyse und Tiefenpsychologie (S. Freud; E. Fromm; C. G. Jung und andere Fachleute) und möchte eigentlich eine entsprechende Fortbildung in diesem Bereich machen!

       Schwerpunktmäßig interessieren mich Medien (TV), destruktive Kulte, Sekten und Suchtverhalten sowie psychosoziale Deformationen in gesellschaftlichen Gruppen, der Gemeinschaft an sich!

       Wie Sie aus meinem Lebenslauf ersehen können, bin ich seit Jahren auf der Suche nach einem mich fordernden und befriedigenden und auch nähren könnenden Job, von Wohnung und Kleidung einmal abgesehen. Darum beschäftigte und beschäftige ich mich mit einer Vielzahl von Professionen, welche mir und meinem Ausbildungsprofil naheliegen!

       Dazu gehören Steuern, Versicherungen, wirtschaftliche Fragestellungen allgemein, wie

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