Schöne Grüße aus dem Orbán-Land. Ernst Gelegs
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Reich wird Gyurcsány durch die sogenannte „spontane Privatisierung“. Der Staat wirft zu dieser Zeit hunderte Immobilien und marode ehemalige Staatsbetriebe zu Spottpreisen auf den Markt, um rasch zu Geld zu kommen. Gyurcsány kauft zuerst im Namen einer Investmentfirma, später borgt er sich von dieser Geld und kauft auf eigene Rechnung. Er weiß genau, wo die Filetstücke zu holen sind. Er kauft und verkauft und kauft und verkauft wieder und macht so Millionen.
Dubios sollen diese Geschäfte gewesen sein, wie viele seiner Kritiker heute noch sagen, illegale Geschäftspraktiken kann man ihm aber nicht nachweisen. Gyurcsány ist eben geschickt, auch politisch. Als enger Berater und Vertrauter von Medgyessy hat er Zugang zu vertraulichen Informationen, er kennt die Hintergründe politischer Entscheidungen sowie die Stärken und Schwächen der handelnden Akteure. Nicht selten kommt es vor, dass Gyurcsány dem Regierungschef die Show stiehlt, indem er Medgyessys Pläne der Presse zuspielt oder sie selbst vorzeitig präsentiert. Wenn er es für dienlich hält, kritisiert der Sportminister auch die Regierungspolitik, so als wäre er gar nicht Mitglied der Regierung, sondern lediglich ein außenstehender Beobachter. Gyurcsány nutzt all sein Insiderwissen, um sein großes Ziel zu erreichen, Ministerpräsident Ungarns zu werden.
Ferenc Gyurcsány ist auch dank seiner Ehefrau Klára Dobrev politisch gut vernetzt. Ihr Großvater Antal Apró war während der kommunistischen Zeit Parlamentspräsident, ihre Mutter Piroska Apró war als Kabinettschefin für den mittlerweile verstorbenen ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Gyula Horn (1994 – 1998) tätig.
Am 25. August 2004 hat Ferenc Gyurcsány sein Ziel erreicht. Er setzt sich in einer Kampfabstimmung gegen den amtierenden Kanzleiminister Péter Kiss souverän durch. Bei einem Sonderparteitag erhält der damals 43-Jährige mehr als zwei Drittel der rund 600 Delegiertenstimmen und wird von der sozialistischen Partei Ungarns zum Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert.
Der jugendlich und dynamisch wirkende Gyurcsány hat zwar die Parteibasis hinter sich, nicht aber die Parteispitze. Die Nomenklatura der Sozialisten betrachtet Gyurcsány mit Argwohn. Er ist nicht einer von ihnen, hat nicht ihren „Stallgeruch“, wurde nicht mit ihnen sozialisiert.
Ferenc Gyurcsány ist großgewachsen, gut aussehend und reich. Die Parteispitze ist neidisch, sie hätte lieber den dicklichen, phlegmatisch wirkenden Péter Kiss nominiert. Doch die Herzen der jungen Parteimitglieder fliegen dem Selfmade-Millionär aus Papa zu. Er verkörpert all die Träume und Sehnsüchte der jungen Generation in Ungarn: sozialer Aufstieg, Erfolg in der Privatwirtschaft, finanzielle Unabhängigkeit in einer neuen Welt, die den jungen ungarischen EU-Bürgern zu Füßen zu liegen scheint.
Der „Rote Kapitalist“ entspricht dem Zeitgeist. Apparatschiks, Parteisoldaten, Berufspolitiker haben ausgedient im Land der Magyaren des Jahres 2004. Neue, unverbrauchte Politiker vom Typ Gyurcsánys sind gefragt. Rasch ist vom „ungarischen Tony Blair“ die Rede. Vermutlich hat er diese Bezeichnung selbst in Umlauf gebracht. Einer seiner damals engsten Berater erzählt, dass er Gyurcsány eines Morgens angerufen und gefragt habe, was er gerade tue. Gyurcsány antwortete ihm: „Ich rasiere gerade den ungarischen Tony Blair!“
Während die Parteispitze der Sozialisten die Nominierung Gyurcsánys zum Premierminister wohl oder übel zur Kenntnis nehmen muss, zeigen sich die Parteistrategen und Wahlkampfmanager gar nicht so unglücklich. Die nächste Parlamentswahl steht quasi vor der Tür, nur 18 Monate bleiben bis zum nächsten Kampf mit Viktor Orbán und seiner FIDESZ. Ein jugendlich und dynamisch wirkender Gyurcsány hat bessere Chancen gegen den charismatischen Orbán als ein behäbig wirkender Parteisoldat, so das Kalkül der sozialistischen Wahlkampfstrategen im Jahr 2004.
Gyurcsánys Regierungspolitik war in erster Linie darauf ausgelegt, die Parlamentswahl 2006 zu gewinnen, koste es, was es wolle. Die immer wieder geäußerte Kritik aus Brüssel, dass das Budgetdefizit des Landes viel zu hoch sei und dringend gesenkt gehöre, ist auch vom neuen Regierungschef glatt ignoriert worden. „Ungarn muss zunächst die Ansprüche seiner Bürger befriedigen und erst dann jene Brüssels“, sagt Gyurcsány in einem Interview auf die Frage, warum das Defizit nicht rascher abgebaut werden könne. „Das Defizit kann natürlich auch schneller abgebaut werden“, meint er, „doch bleiben in diesem Fall berechtigte gesellschaftliche Ansprüche unbefriedigt!“ – frei nach Bruno Kreiskys Devise: lieber ein paar Millionen mehr Schulden, als den Wohlstand der Ungarn zu gefährden. Und im staatlichen Rundfunk verteidigt Gyurcsány das Defizit mit den Ausgaben für Soziales: „Sozialprogramme für die Menschen sind erforderlich, und die kosten eben Geld“, sagt der Ministerpräsident trotzig.
Im Jahr 2005 wird die Kritik der EU am schier ungehemmten Schuldenmachen Ungarns immer lauter. Erstmals droht Brüssel mit Sanktionen, sollten nicht endlich wirkungsvolle Maßnahmen zur Reduktion des Defizits in der Höhe von mittlerweile mehr als sieben Prozent gesetzt werden. Geplant waren 3,6 Prozent. Doch Ministerpräsident Gyurcsány hält eisern an seinen kostspieligen Reformplänen fest. Bei einer Großveranstaltung der Sozialisten ruft er der applaudierenden Menge zu, dass er nicht gewillt sei, auf den weiteren Autobahnausbau, die Erhöhung der Familienbeihilfen und Pensionen verzichten zu wollen.
Auch umfangreiche Steuersenkungen lässt der sozialistische Ministerpräsident mit den Stimmen der beiden Regierungsparteien beschließen, darunter die Senkung der Mehrwertsteuer gewisser Produkte von 25 auf 20 Prozent und des Einkommensteuerhöchstsatzes von 38 auf 36 Prozent. Wirksam werden die Steuersenkungen am 1. Jänner 2006, also noch rechtzeitig vor der Parlamentswahl im Frühsommer, quasi als Wahlzuckerln.
Um die wachsenden Sorgen in Brüssel über die ungarischen Staatsfinanzen zu zerstreuen, kündigt Gyurcsány an, dass er das Budgetdefizit 2006 auf 2,9 Prozent senken werde. Geglaubt hat ihm das sicher keiner. Und auch er selbst hat das vermutlich nicht ernst gemeint.
Schon im Jänner 2006 beginnen beide Großparteien, die MSZP (Sozialistische Partei Ungarns) mit Ferenc Gyurcsány als Spitzenkandidaten und Viktor Orbáns FIDESZ, mit dem Intensivwahlkampf für die Parlamentswahl im April. Verbissen kämpfen beide um jede einzelne Wählerstimme. Zum damaligen Zeitpunkt sind 35 Prozent der Wähler unentschlossen.
Hauptthema des Wahlkampfes ist der Lebensstandard der Ungarn. Orbáns Konservative zeichnen ein trübes Bild, die Wirtschaftslage des Landes sei katastrophal, vor allem das Leben der Pensionisten habe sich dramatisch verschlechtert, wie überall im Land plakatiert wird. Das Motto der FIDESZ-Kampagne lautet: „Wir leben schlechter als vor vier Jahren!“ Ein Slogan, der nachweislich nicht der Realität entsprochen hat.
Die Sozialisten kontern und lassen gegenteilige Behauptungen affichieren. Und wieder wird Steuergeld verbrannt. Gyurcsány fordert die Pensionisten auf, ihre Pensionsbescheinigungen der letzten vier Jahre an seine Regierung zu schicken. Er wolle sie nachrechnen lassen. Sollte dabei herauskommen, dass die Preise stärker gestiegen sind als die Pensionen, dann werde die Regierung Kompensationszahlungen leisten, wie Gyurcsány zusichert. Und den Langzeitarbeitslosen über 50 Jahre verspricht der Ministerpräsident die sofortige Frühpension, finanziert aus dem Staatshaushalt.
Im Kampf um Wählerstimmen ist jedes Mittel recht, auch illegale. FIDESZ schreckt nicht davor zurück, den Server der MSZP-Wahlkampfzentrale zu hacken und fast 3.000 vertrauliche Dokumente über die geplanten Wahlkampagnen zu stehlen. Die Sozialisten wiederum lassen sich für eine Inseratenkampagne von der Nazi-Parole „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“ inspirieren. Es erscheinen Gyurcsány-Fotos mit dem Slogan „Ein Land – ein Mann – ein Programm!“.
Nach einem der schmutzigsten Wahlkämpfe in der demokratischen Geschichte Ungarns beginnt sich