Museumsschiff. Matthias Falke
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»Schmeißt alles raus«, brüllte Reynolds eben über die Köpfe der Männer hinweg, die auf neue Anweisungen warteten. Er war kaum wiederzuerkennen. In den vergangenen Monaten war er noch hagerer geworden. Unter den Backenknochen wirkten die eingefallenen Wangen hohl, und selbst der kurzgeschnittene rötliche Bart überdeckte seine blauschwarze Gesichtsfarbe nur unzureichend. Die Augen lagen tief in den entzündeten Höhlen. Aber der sonst zum Nuscheln neigte und seine Kommuniqués gedehnt, in näselndem Tonfall vorzutragen pflegte, donnerte seine Kommandos mit Stentorstimme über seine Mannschaften hinweg, dass die kilometerweite Halle davon widerhallte.
»Das Ding muss mindestens drei Meter kürzer und fünf Tonnen leichter werden«, rief er. »Als Nutzlast genügt ein Kommunikator!« Er hielt seinen Handkommunikator in die Höhe, über dessen daumengroßem Display ein HoloBild der Lambda-Sonde schwebte. »Wir brauchen keine Instrumente und keine Sensoren. Eine Kommunikationseinheit genügt. Dafür müssen wir uns die Spule noch einmal genau anschauen. Die Feldkrümmung muss um sinusP verstärkt werden!«
Die Männer machten sich sofort an die Arbeit. Zwei Mechaniker betraten die Absperrung. Sie aktivierten ihre AntiGrav-Tornister, die die künstliche Schwerkraft an Bord egalisierten. So schwebten sie zur Spitze der Sonde hinauf. Ihre Service-Roboter, die wie folgsame Hündchen reagierten, rollten an den Stahlzylinder heran. Sie fuhren lange Schweißarme aus und begannen unter der Aufsicht der beiden Techniker ein drei Meter hohes Segment aus der Titanhülle der Sonde herauszuschweißen. Andere Arbeiter kletterten in das Fluggerät hinein und demontierten die serienmäßig dort eingebauten Instrumente. Es war absurd. Ein tonnenschwerer Generator mit dem Energiebedarf einer mittleren Stadt war nötig, um eine handtellergroße Kommunikationseinheit mit ein paar Bildschirmseiten Information zu befördern. Freilich würde die Kommunikationseinheit mit mehr Information gefüttert werden, als die extrasolare Exploration der letzten Jahrzehnte zutage gefördert hatte. In den wenigen Monaten unserer Dislozierung waren schon mehrere tausend neue Galaxien kartiert worden, von den flugdynamischen Erfahrungen eines Aufenthaltes Millionen Lichtjahre jenseits des Andromedanebels zu schweigen.
Ich begab mich zu den federführenden Wissenschaftlern, bei denen sich jetzt auch Jennifer befand.
»Wie ich sehe, machen Sie Fortschritte«, begrüßte ich sie im Tonfall eines Vorgesetzten, der eine Arbeitsgruppe seiner Untergebenen inspiziert. Das war ich eigentlich nicht, aber Reynolds ließ sich dennoch zu einem Briefing hinreißen.
»Das täuscht«, sagte er matt. »Linear ausgedrückt müssen wir die Leistung des Feldgenerators um den Faktor eintausend steigern, ohne dass Gewicht oder Energieverbrauch dabei signifikant ansteigen dürfen. Aber faktisch ist es noch viel komplizierter. Der Krümmungskoeffizient ...«
Ich winkte ab. »Geben Sie sich keine Mühe. Aber wenn ich Ihnen von Nutzen sein kann, lassen Sie es mich wissen.«
Reynolds schwieg irritiert. Seine tiefliegenden Augen flackerten nervös. Wie alle Wissenschaftler konnte er nicht begreifen, dass die Details irgendjemandem nicht nur nicht präsent waren, sondern ihn auch nicht interessierten.
»Danke, Commander«, sagte er verwirrt.
Jennifer erläuterte die Fortschritte, die die Mechaniker unterdessen machten. Die Verschalung wurde im oberen Drittel der Sonde vollständig entfernt. Weitere Roboter schwebten zu dem tragenden Stahlskelett hinauf und begannen damit, es ebenfalls zu demontieren. Der gesamte Zylinder wurde um ein Fünftel seiner Länge gestutzt, wobei er seiner Eleganz im Wesentlichen verlustig ging. Kabelbäume, Platinen, sekundäre Generatoren und Steuerungsinstrumente wurden extrahiert und auf automatischen Gleitern davongefahren.
»Wenn ich es recht verstanden habe«, sagte ich zu Jennifer, »hängt es vor allem an der Generatorspule. Wollt ihr sie neu gießen?«
Sie zog mich ein paar Schritte abseits und zischte mir dann so schnell und erregt ins Ohr, das ich kein Wort verstand, sondern nur die rasche warme Bewegung ihrer Lippen spürte. Indem wir uns, untergehakt wie ein turtelndes Pärchen, weiter entfernten, brachte ich sie dazu, sich wieder wie ein erwachsener Mensch zu benehmen.
»Das ist der Punkt, über den wir seit Tagen im Dissens sind«, schimpfte sie. »Reynolds ist der Meinung, man kann es ausschließlich über die Programmierung schaffen, während Frankel einen neuen Kern konstruieren will.«
Wie von ungefähr hatten wir einen anderen Versuchsstand zwischen uns und die anderen gebracht. Sie blieb stehen und fasste mich am Arm. Dann sah sie mir fest in die Augen und sprach leise, aber deutlich, wie bei einer geheimen Instruktion.
»Ich habe angeboten, dass wir einen Probeflug mit der ENTHYMESIS unternehmen, um das Warp-Verhalten kleinerer Schiffe noch besser studieren zu können. Außer den beiden kurzen Trips vom Neptun zur Erde und zurück, haben wir selbst bei den Explorern noch keine Erfahrung, und jetzt gehen wir zu einer Sonde, die ein Tausendstel der Masse hat, und wollen sie gleichzeitig über eine ungleich größere Distanz springen lassen ...«
Die ENTHYMESIS – das war eigentlich die ENTHYMESIS II, das Schwesterschiff unseres alten Explorers. Die ENTHYMESIS II war baugleich. Dennoch war es nicht dasselbe. Um den schmerzlichen Verlust zu übertünchen, hatten wir kurzerhand die II im internen Sprachgebrauch gestrichen.
»Wenn es euch in der Sache weiterbringt«, sagte ich.
Ein wenig Abwechslung konnte uns allen gut tun. Ich hatte den Warpsprung der ENTHYMESIS als halbohnmächtiger Passagier mitgemacht und hätte die Erfahrung gerne im Vollbesitz meiner Kräfte und Kommandant wiederholt. Nebenbei vermutete ich, dass auch Jennifers Vorschlag von dem Hintergedanken geleitet worden war, sich als Pilotin erste Sporen im Umgang mit der neuartigen Warptechnologie zu verdienen.
»Hast du mit Rogers darüber gesprochen?«, fragte ich arglos.
»Nein!«, zischte sie. Sie lugte um das vergessene Lambda-Ionentriebwerk herum, das auf dem Versuchsstand hing. »Natürlich nicht. Ich sagte doch, dass Reynolds seinen Ehrgeiz in seine Rechenkünste gelegt hat. Und Frankel würde sich lieber einen Arm abhacken, als die Initiative aus der Hand zu geben.«
»Aber wenn es uns alle in der Sache weiterbringen könnte«, versuchte ich kraftlos.
Sie sah mich entgeistert an und atmete schwer durch.
»Das wirst du nie verstehen«, stellte sie sachlich fest.
Sie packte mich am Arm und schob mich um den Versuchsstand herum.
»Wird Zeit, dass wir zurückkehren«, knurrte sie. »Sonst schöpfen sie noch Verdacht!«
Zu dieser Zeit traf ich mich des öfteren mit Laertes in der Sky Lounge. Wir hatten unseren jour fixe, und meistens war er schon da, wenn ich aus dem Fahrstuhl trat. Er schlürfte seinen mit Diamantzucker gesüßten Jadetee, strich sich den weißen Bart und schäkerte mit den Ordonnanzen, die hier die cremeweißen Uniformen des Bodenpersonals trugen. Eine hatte es ihm besonders angetan, die er immer wieder heranrief, um sich daran zu weiden, wie sie sich schlank und schmiegsam zwischen den niedrigen Tischchen