Museumsschiff. Matthias Falke
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Während wir verfolgten, wie der schwächer werdende blaue Lichtpunkt in der Unendlichkeit verschwand, zählte eine emotionslose Computerstimme den Countdown herunter. Bei Null gab es einen scharfen Lichtblitz. Die Sonde hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine solche Entfernung erreicht, dass sich eine spürbare Verzögerung ergab. Ich schätzte sie auf drei Sekunden, was ich zu einem Abstand von einer Million Kilometern hochrechnete.
Auf meiner Netzhaut brannte der magnesiumfarbene Energieimpuls nach, mit dem die Sonde sich in den Hyperraum verabschiedet hatte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie sich in Sichtweite des Saturn materialisierte, ihre Instrumente ausrichtete und einen Funkspruch zur drei Lichtstunden entfernten Erde schickte, die seit dem Jupiter-Ereignis von einem schiefergrau irisierenden Ring aus Staubpartikeln umgeben war. Einige Stunden später würden in den Bunkersystemen unter den Rocky Mountains die Alarmsirenen schrillen. Hektische Aktivitäten kämen in Gang, und die maßgeblichen Herrschaften hatten drei Viertelstunden Zeit, ein verbindliches Kommuniqué zu formulieren, während die automatischen Stationen Exobytes an Daten austauschten. In der Tiefe des blauschimmernden Raumes schwebend, führte die Sonde mithilfe ihrer Steuerdüsen eine Neukalibrierung durch. Die Röntgenemissionen weit entfernter Quasare dienten ihr als Richtpunkte, um den Absprungpunkt in der nötigen Genauigkeit von zwölf Stellen hinter dem Komma zu definieren. Sowie die Sensoren ihrer externen Kommunikation ihr mitteilten, dass eine Antwort übermittelt und in die Quantenspeicher geladen worden war, zündete sie das Ionentriebwerk und nahm Anlauf, um den unbegreiflichen Sprung in der Gegenrichtung zu wiederholen.
Zehn Minuten, stellten wir fest, waren sehr lang. Ich war froh, dass wir nicht die zehn Stunden warten mussten, die für die schwingenden Caesium-Atome an Bord der Lambda-Sonde vergingen. Frankel unterhielt uns mit einem improvisierten Vortrag über die Funktionsweise der Warptechnologie, die durch die Analyse der sinesischen Sonde völlig neue Impulse erfahren hatte. Nur nebenbei sah er auf die Uhr. Reynolds stand mit steinerner Miene an der Konsole und starrte auf die Anzeigen. Die Instrumente der MARQUIS DE LAPLACE dechiffrierten die Warp-Signatur, die die Sonde ausgelöst hatte, und suchten nach Rückschlüssen darüber, ob zumindest der Absprung in der vorhergesagten Weise funktioniert hatte. Es war unmöglich, in seinem ausgemergelten Gesicht zu lesen. Den Glanz der Zufriedenheit suchte ich aber vergebens darin.
Irgendwann schielte auch ich verstohlen nach meiner Uhr. Dabei begegnete ich Jennifers Blick, der einer Maske aus der griechischen Tragödie zu entstammen schien. Auf der Tribüne und auch unter den Technikern, die hinter der überflüssig gewordenen Absperrung standen, machte sich Unruhe breit.
»Was ist denn nun«, hörte ich Svetlana Komarowa flüstern, die an Wiszewskys Seite hin und her rutschte.
Die zehn Minuten waren verstrichen. Ich starrte durch das offenstehende Hangartor in die Leere des Kosmos hinaus.
Frankel räusperte sich.
»Wir haben einen Zeitkorridor von anderthalb Minuten«, sagte er. »Kein Grund zur Beunruhigung.« Er ließ einige Sekunden verstreichen. »Offenbar waren die Stellen auf der Erde nicht fix genug«, witzelte er kraftlos. »Wenn sie sich nach Ablauf der Stunde nicht gemeldet haben, die Übertragungszeiten natürlich herausgerechnet, wird die Sonde einige Bilder im optischen Spektrum belichten, um zu dokumentieren, wo sie gewesen ist, und dann zurückkehren. Für unsere Wartezeit hier ist die Verzögerung kaum von Belang.«
Das Schweigen war stärker als das aufgekratzte Gemurmel. Ich wunderte mich, wie still es in einer so riesigen Halle werden konnte, in der über einhundert Personen anwesend waren. Die Sekunden tropften immer zähflüssiger, und doch waren, wie ich von meiner Uhr ablas, schon fast elf Minuten vergangen. Ich versuchte mir wieder die Räume zu vergegenwärtigen, die hier zu überwinden waren. Eine winzige Unstimmigkeit bei den Sprungdaten, ein Fehler auf der zehnten oder zwölften Stelle hinter dem Komma, und die Sonde käme um Lichtjahre versetzt aus dem Warpspace heraus. Oder sie landete in einer zeitlichen Disproportion, Jahre in der Zukunft. Oder in der Vergangenheit. Möglich, sie katapultierte sich in ein Paralleluniversum, das von dem unseren nur durch eine verschwindende Dezimale der Wahrscheinlichkeit getrennt war und doch so unerreichbar wie der Sirius für einen anatolischen Schäfer der Hethiterzeit. Eine Million Möglichkeiten waren denkbar, bei denen die Sonde im Prinzip sogar funktioniert haben konnte, aber wir es dennoch niemals erfahren würden. Es war vermessen, was man hier unternommen hatte.
Elfeinhalb Minuten waren verstrichen.
Wir hatten uns übernommen. Selbst die führenden Wissenschaftler der MARQUIS DE LAPLACE waren überfordert, die Kombination von Energieentfaltung und Präzision zu erbringen, die hier nötig war. Zum Sirius zu fliegen war ein Katzensprung verglichen mit dieser Reise von einer Galaxie zur anderen. Das halbe Universum musste eingefaltet werden. Millionen Lichtjahre zur Dicke eines Blattes gekrümmt werden, um sie durchstoßen zu können.
Jennifer legte die Hand auf meinen Unterarm.
»Es ist vorbei«, sagte sie, weit davon entfernt, das Eintreffen ihrer Vorhersage als Triumph zu empfinden.
Einige Plätze weiter erhob Wiszewsky sich von seinem gravimetrischen Polster. Langsam und würdevoll schritt er die Stufen der Tribüne herab. Er war ein König, der seinem Oberfeuerwerker jovial verzieh, dass das bestellte Spektakel ausgefallen war.
»Verdammte Scheiße«, hörte ich Dr. Rogers vor sich hinknurren.
Wir standen ebenfalls auf und begaben uns zu den Kameraden, die ein Bild des Jammers boten. Reynolds starrte noch immer auf seine Monitore und Konsolen. Die Uhr, die die seit dem Absprung verstrichene Zeit anzeigte, stand bei 13 Minuten 37, als ich ihm die Hand auf die Schulter legte. Er zuckte zusammen, nahm die Augen aber nicht von seinen Instrumenten. Seine Hand zitterte ein wenig. Sein Gesicht war eine aus morschem Holz geschnitzte Fratze.
Zwei Schritte weiter schlossen Jill und Jennifer sich in die Arme und klopften sich gegenseitig tröstend auf den Rücken. Wiszewsky hatte sich zu Frankel begeben.
»Sie trifft keine Schuld«, sagte er huldvoll. »Ich bin überzeugt, dass Sie das Menschenmögliche versucht haben. Wir werden genau analysieren, woran ...«
»Ich habe es gleich gesagt«, zischte Frankel, der das »Sie« auf sich persönlich bezogen hatte und nicht auf die Gruppe der Wissenschaftler. Mit giftigem Blick sah er zu uns herüber. »Vier Wochen Arbeit für die Katz’. Wir könnten schon fertig sein, wenn wir uns gleich für eine Neukonstruktion entschlossen hätten!«
Svetlana kicherte albern.
»Diese Leute können nur zanken«, sagte sie, an Wiszewskys Arm hängend. »Und wenn ihre Experimente schief gehen, will es keiner gewesen sein.«
In diesem Augenblick schaltete Reynolds mit einer ruckartigen Bewegung sein Bedienfeld ab. Er schob mich beiseite, der ich noch immer in solidarischer Absicht neben ihm stand, und wandte sich Frankel, Rogers und Wiszewsky zu, die eine verschwörerische Gruppe bildeten.
»Commodore«, sagte er mit fester Stimme. »Ich übernehme die volle Verantwortung für diesen Fehlversuch. Meine Annahmen und Berechnungen haben sich als irrig erwiesen.«
Ich fing Dr. Rogers’ Blick auf, in dem ich männliche Anerkennung las, während Frankels Miene sich zu einem kleinlichen Grinsen verzog. Wiszewsky sah zerstreut über die Aufbauten und die Masse der Techniker, die auf seine Antwort warteten.
»Ist gut, WO«, sagte er endlich. Und mit einem missratenen Lächeln setzte er hinzu: »Nehmen Sie sich’s nicht zu Herzen.« Er suchte Svetlanas Arm, die sich bei ihm einhängte und in deren Augenwinkel offene Schadenfreude glitzerte. Wiszewsky dagegen strahlte noch immer Unschlüssigkeit aus. »Um siebzehn Uhr zur Besprechung