Museumsschiff. Matthias Falke

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Museumsschiff - Matthias Falke

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der geöffneten Sonde hingen wie Gedärme aus einem geschlachteten Riesen. Die Gemeinde war in der Regel nicht ansprechbar. Halbsätze und Fetzen von Kommandos wurden hin und hergebrüllt, mathematische Formeln und militärische Befehle verschmolzen ununterscheidbar zu einem eigentümlichen Jargon, einer technisch-wissenschaftlichen Geheimsprache, die für den Außenstehenden nicht verständlicher als pures Sinesisch war. Personen wuselten durcheinander. Unidentifizierbare Geräte, kleiner als ein tragbarer Kommunikator oder größer als eine Drohne, wurden herumgereicht oder mittels Kränen, die starke Generatorfelder erzeugten, durch die Halle gehievt. Meistens stand man hier nur im Weg. Es teilte sich lediglich die Atmosphäre unbedingter Begeisterung und fiebrigen Schaffens mit. Ich kam jedesmal wie berauscht an meinen eigenen Arbeitsplatz zurück, und Kurtz fragte mich mehr als einmal, ob ich nicht heimlich einen trinken ging, wenn ich vorgab, über die Mittagspause Jennifer und die anderen zu besuchen.

      Der Chronist

      Man befindet sich in der Etappe. Der Feind ist unsichtbar; er scheint nicht zu existieren. Aber man täusche sich nicht. »Die tiefste Stille ist die trügerischste.« So sah es schon der alte Ash, der, Veteran und frühes Opfer der sinesischen Aggression, den Cato seiner Zeit zu geben bestrebt war. In der Stille der Etappe bereitet sich das Wesentliche vor. Hier fallen die Entscheidungen, die später, wenn es zum Treffen kommt, nur noch vollzogen werden, in Wirklichkeit und Realität umgemünzt, was sich im Eigentlichen längst zugetragen hat. Die MARQUIS DE LAPLACE schwebt in der trügerischen Finsternis, verborgen in der unermesslichen Weite des leeren Raums, wo man sich weniger sicher als verloren fühlt. Es kommt der Punkt, an dem man sich nach Gefahr und Herausforderung zu sehnen beginnt, damit sie dieses Stillgestelltsein im offenbaren Nichts beende. Lieber kämpfen und lieber sogar sterben, sagt sich mancher im schwarzen Sog der Nächte, die von keinem Wind und keinem Stern erleuchtet werden, als dieses Schweigen länger zu erdulden, das einem den Schlaf versehrt, das an den Träumen zehrt und die Gleichförmigkeit der Tage in triste Mühsal wandelt.

      Man täusche sich nicht. Hier in der tiefsten Abgeschiedenheit, durch Ewigkeiten von den Kampfplätzen geschieden, bereitet sich das Wesentliche vor, hier werden die Würfel geschnitzt, die später nur noch fallen müssen. Die schon gefallen sind, denn im Innersten ist alles längst getan. Den Rest vollbringt die Zeit und in ihr eine Macht, die von den Philosophen stets mit Argwohn betrachtet worden ist. Im Geiste wirkt die eigentliche Kraft, und wenn der Geist sich erst einmal entschlossen hat, dann ist’s so gut, als sei es schon geschehen. Der entscheidende Konflikt tobt im Lager der Griechen, unweit des Blachfeldes und doch fern von ihm. Das Ringen geht darum, ob Achilles an den Kämpfen teilnimmt und zu ihnen zurückkehrt. Als dies entschieden ist, ist ihm der Sieg über den Helden Hektor ebenso gewiss wie der eigene baldige Tod. Nun sind die Räder freigegeben, bergab laufen sie aus eigenem freien Willen. Es gehört keine Sehergabe dazu, dies vorauszusagen. Als Cato sich in den Querelen des Senates damit durchgesetzt hat, Karthago zu zerstören, standen dessen Mauern noch, doch nur wie Schnee, der noch in warmer Märzensonne liegt. Auch das Projekt Manhattan war ein Werk von Zivilisten, die, von militärischen Einwirkungen unbedroht, in ihren Bungalows aus Sperrholz saßen und, von elektrischen Ventilatoren mild befächelt, ihre Besprechungen abhielten und das Ding ausheckten, dass, zu flüchtiger Anwendung gediehen, in die Arsenale der Geschichte tauchte. Seine bloße Vorweisung, die Nennung seines Namens, genügte den Jahrzehnten, wie die Anrufung des Dschinn, zu Furcht und Zittern. Ingenieure, nachrangige Techniker- und Monteurschargen, hatten ins Werk gesetzt, was die Herzen todesfroher Krieger auf Generationen erlahmen ließ. Man kann gegen Monstra kämpfen, aber gegen den Abgrund selbst, das speiende Chaos, das sie ausgeworfen hatte?

      Man befindet sich in der Etappe. Zwischen Marathon und Salamis. Die Waffen schweigen. Doch die Sägen und Hämmer der Zimmerleute sprechen. Sie schmieden eine neue Flotte. Ob und wer sie wann ins Treffen führt, ist äußerlich, so flüchtig wie die Namen, die die Chronisten aufführen, um sie nicht selbst zu vergessen. An welchem Gestade sich die Heere messen, welches Meer sie mit ihrem Blut so dunkel wie den Wein färben, bleibt gleichgültig. Dass sie entschlossen sind, den Widerstand zu errichten und sich nicht preiszugeben, gibt das Schauspiel ab, das den Göttern selbst behagt. Sie stutzen auf ihren hohen Thronen, legen die Mienen auf die Eisenfäuste und weiden sich an den Schlägen, mit denen Argos eine neue Argo zimmert.

      *

      Einige Wochen später erhielten wir den neuen Marschbefehl.

      »In Ordnung, Frank«, sagte Dr. Rogers, als er mir Wiszewskys Vorstellungen erläuterte, der sich selbst zu schwach fühlte, um sich mit derlei Vorgängen zu langweilen. »Hier sind die Unterlagen. Reynolds gibt sein Wort, dass diesmal nichts mehr schief gehen kann. Wir hören voneinander!«

      Ich salutierte und rief meine Crew zusammen. Nach einer Stunde trafen wir uns im Großen Drohnendeck. Außer Jennifer, die den Flug als Erste Pilotin durchführen würde, und Lambert, die ihr dabei zu assistieren hatte, kam Reynolds mit an Bord, der die von ihm ersonnene Umrüstung eigenhändig und vor Ort erproben wollte. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch, dem zu entsprechen mir nicht schwer fiel, stieß außerdem Taylor zu uns. Er war inzwischen zum Corporal befördert worden und hatte sein Leutnantspatent so gut wie in der Tasche. Wir versammelten uns unter der Backbordstelze, die fünf Stockwerke über uns aufragte und in den bulligen Rumpf der ENTHYMESIS mündete. Die römische II hatten wir kurzerhand überspritzen lassen. Für uns war dieses Schiff jetzt die ENTHYMESIS, ein dreihundert Meter langes klobiges Kraftpaket mit viereckigem Schädel und sechs schweren Elefantenbeinen. Die Steuerbordschleuse stand gerade noch sperrangelweit offen, und wir verfolgten, wie ein großer Schwebekran den langen schwarzen Stahlzylinder einer umgebauten Ionensonde in die Höhe hievte und zum Laderaum der ENTHYMESIS hinüberschwenkte. Einige Arbeiter, unterstützt von generatorgetriebenen Robotern, verstauten das Geschoss in den Ladebuchten des Explorers. Mit heulendem Generatorfeld fuhr der Kran dann um den riesigen gedrungenen Leib der ENTHYMESIS herum, um den Vorgang auf der Backbordseite zu wiederholen. Reynolds Arbeitsgruppe hatte, nachdem die maßgeblichen Berechnungen abgeschlossen waren, insgesamt vier Lambda-Sonden auf Warptechnologie umgerüstet. Zwei davon nahmen wir für unsere Mission an Bord, während die beiden anderen auf der MARQUIS DE LAPLACE blieben, um, im Fall des glücklichen Gelingens, einen Pendelverkehr aufnehmen zu können.

      Wir sahen zu, wie auch der zweite Zylinder im Leib der ENTHYMESIS verschwand, deren Schleusenklappen daraufhin geschlossen wurden. Das tiefe Brummen des Hauptreaktors zeigte an, dass das Schiff in automatischen Vorlauf gegangen war. Der Diensthabende kam herangestiefelt, baute sich vor mir auf, salutierte förmlich und machte Meldung. Er reichte mir das MasterBoard, auf dem die Information blinkte, die ENTHYMESIS sei vollständig gewartet, betankt und mit zwei neukonfigurierten Lambda-Ionensonden bestückt. Ich quittierte mit meiner ID und entließ den Mann, der sich beeilte, zur Schleusenkammer zu kommen und zum Tower zu fahren, der, mehr als dreißig Decks über uns, wie ein Wespennest unter der Hangarkonstruktion des großen Drohnendecks klebte.

      Wir gingen an Bord. Jennifer steuerte zielstrebig die Brücke an und nahm wie selbstverständlich den Hauptbedienplatz ein. Und doch war es kein Routineflug, zu dem wir aufbrachen.

      »Unsere Routine besteht darin, dass es niemals Routine ist«, sagte sie, während sie ihre Instrumente prüfte und den Status des Schiffes abfragte.

      Der Hauptreaktor ließ das Schiff erzittern, als Jennifer auf Volle Leistung ging. Lambert hatte neben ihr an der Konsole der Zweiten Pilotin Platz genommen. Reynolds und Taylor verteilten sich auf die rückwärtigen Sitze und beeilten sich, ihre Gravigurte zu aktivieren. Ich stand noch hinter den Sesseln der beiden Pilotinnen und überwachte die Vorstartroutine. Jenseits der wulstigen Schnauze unseres Schiffes glitt das Hangartor auf, und wir sahen die lähmende Leere des Kosmos. Jennifer absolvierte das übliche launige Palaver mit dem Tower. Dann zündete sie das Triebwerk und brachte uns bei Kleiner Fahrt aus dem Drohnendeck in den Raum hinaus. Wir entfernten uns mit konventionellem Antrieb so weit von der MARQUIS DE LAPLACE, bis der Zwölf-Kilometer-Titan-Corpus nur noch ein silbriges Zündhölzchen war, das in der einschüchternden Leere schwebte. Dahinter baute sich die riesenhafte Struktur der Großen Mauer auf,

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