Dunkeltage im Elbsandstein. Thea Lehmann

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Dunkeltage im Elbsandstein - Thea Lehmann

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Altrosa schnürte Helga Dünnebier durch den Wald unterhalb von Ottendorf und besuchte all die vielversprechenden Stammplätze, die sie nie im Leben jemandem verraten würde.

      Eine Stunde später lagen in ihrem Korb gut zwei Dutzend Braunhedel, fünf bildschöne Steinpilze, neun Perlpilze, fünf Semmelpilze und acht Ziegenlippen. Nachdem ihr mit ihren dreiundsiebzig Jahren das Bücken langsam etwas schwerfiel, beschloss sie, dass es für ein deftiges Mittagessen reichte und machte sich über den unteren Feldweg wieder zurück auf den Weg ins Dorf.

      Das Erste, das Helga Dünnebier sah, als sie neugierig um den schwarzen BMW mit Dresdner Nummernschild herumging, war, dass da jemand lag. Jemand mit komischen weißen Cowboystiefeln und einer schwarzen Lederjacke. Vorsichtig stellte sie ihren Pilzkorb ab und ging auf die Gestalt zu. Direkt unterhalb der einzigen flachen Stelle am Feldweg lag ein Mensch auf dem Bauch. Ein magerer, junger, pickeliger, blonder Mann, wie Helga Dünnebier feststellte. Und er lag da wohl schon länger, denn seine Kleider waren völlig durchnässt vom Regen und in den offenen Augen, die leer in die Wiese starrten, saßen schon die Fliegen.

      »Nu, das is ja ’n Ding!«, staunte die Rentnerin.

      Sie sah sich um, ob noch jemand den Toten entdeckt hatte, konnte aber niemanden sehen. Entschlossen griff sie sich ihren Pilzkorb und eilte, so schnell es ihre Beine zuließen, nach Hause.

      »Heinrich«, schrie Helga Dünnebier, kaum dass sie im Hausflur stand, »schnell, das Telefon! Ich hab was gefunden!« Noch ehe ihr verdutzter Gatte reagieren konnte, saß Helga am Telefontischchen im Wohnzimmer und blätterte im Telefonbuch nach der Nummer der nächsten Polizeistation. »Was meinst du, soll ich in Pirna oder in Sebnitz anrufen?«

      »Was ist denn los?«, fragte Heinrich Dünnebier, der bis eben gemütlich am Küchentisch gesessen und seine Zeitung gelesen hatte.

      »Da liegt einer auf dem Feldweg. Und ich, Helga Dünnebier, hab ihn entdeckt.« Sie strahlte über das ganze Gesicht.

      »Das muss ich sofort der Marianne und der alten Lätsch erzählen. Aber erst mal de Polizei! Wer is denn für uns zuständig?«

      »Nimm die in Sebnitz«, murmelte ihr Mann. »Die sind näher.«

      Helga wählte.

      »Polizeidienststelle Sebnitz«, melde sich eine freundliche Frauenstimme.

      »Nu, hier is Frau Dünnebier aus Ottendorf. Ich hab einen gefunden. Also, eigentlich wollte ich ja nur Pilze suchen, weil heute Morgen war es so schön und da hab ich mir gedacht, bestimmt gibt es noch Pilze. Und ich hatte auch Recht und, also, als ich dann den Korb ganz voll hatte, …«

      »Moment mal«, unterbrach sie die freundliche Stimme.

      »Sie sind in der Telefonzentrale. Wollen Sie ein Verbrechen melden oder mit jemandem Bestimmten sprechen?«

      Helga Dünnebier stutzte einen Moment.

      »Ein Verbrechen?«, echote sie. »Nee, das gloob ich ni. Ich hab Ihnen doch schon erzählt, dass ich beim Pilzesuchen …«

      »Was möchten Sie dann melden?«, fragte die Frau zunehmend ungeduldiger.

      »Na, dass ich einen gefunden hab, so einen Jungen.«

      »Aber Sie rufen hier doch wohl nicht an, weil Sie Pilze gefunden haben, oder?«, fragte es aus dem Telefonhörer.

      »Nee, also, jetzt lassen Se mich doch mal ausreden«, rief Helga Dünnebier ärgerlich.

      »Da liegt ein Toter auf dem Weg! Und den hab ich gefunden, Helga Dünnebier. Schreiben Se bloß meinen Namen auf. Dünnebier mit zwei ›n‹ und ›ie‹.«

      »Sie haben einen Toten gefunden?«, fragte die Dame ungläubig.

      »Nu«, strahlte Helga Dünnebier.

      »Warum sagen Sie das denn nicht gleich? Moment, ich gebe Sie sofort an den zuständigen Beamten weiter.«

      Noch ehe Helga Dünnebier etwas erwidern konnte, klickte es in der Leitung und Marschmusik drang ihr ins Ohr. Irritiert betrachtete sie den Hörer.

      »Wenn du 'nen Toten gefunden hast, musst du die Kripo in Dresden anrufen, da sind die in Sebnitz ni zuständig«, grummelte ihr Mann vom Esstisch her, »und sag gleich, dass da ein Toter liegt.«

      »Ach so?« Helga Dünnebier knallte den Hörer wieder auf die Gabel und suchte nach dem Telefonbuch für Dresden. Die Ausgabe war aus dem Jahr 2005 und reichlich angestaubt. Aber die Kripo, so tröstete sie sich, würde ja wohl nicht alle paar Jahre ihre Telefonnummer ändern. Sie zog ihre Strickjacke aus, wählte die Nummer, setzte sich kerzengerade in den Sessel und wartete.

      Nachdem sie zweimal ihr Sprüchlein heruntergebetet hatte, jedes Mal etwas wirrer als zuvor, landete sie bei einer Frau Kerschensteiner. Die hörte sich das noch einmal an und fragte dann nach:

      »Da liegt also ein toter junger Mann auf einem Feldweg unterhalb von Ottendorf?«

      »Mausetot«, bestätigte Frau Dünnebier.

      »Sie wohnen im Seifenweg 8 in Ottendorf?«

      »Nu«, sagte Helga, »mein Name is Helga Dünnebier mit zwei ›n‹ und ›ie‹. Dass Se mir den ja richtig schreiben!«

      »Frau Dünnebier, ich schicke sofort zwei Beamte zu Ihnen nach Hause. Bitte warten Sie, bis die zwei Sie abholen! Von Dresden bis zu Ihnen raus sind die aber sicher eine Stunde unterwegs. Die Polizei aus Sebnitz wird solange den Fundort sichern.«

      »Is gut«, sagte Helga Dünnebier und fühlte sich prächtig.

      Heinrich Dünnebier hatte ihrer Erzählung am Telefon mit Erstaunen zugehört und war aufgestanden. Als seine Frau den Telefonhörer auf- und erwartungsvoll die Hände in den Schoß legte, um auf die Polizei aus Dresden zu warten, schlurfte er zur Haustür. Dort zog er sich Schuhe und Jacke an.

      »Wo gehst du hin?«, fragte seine Frau erstaunt.

      »Na, zur Wiese, den muss ich mir doch ansehen«, sagte er und machte sich mit kleinen, unsicheren Schritten auf den Weg.

      »Wo fahren wir hin?«, fragte Leo und schnürte seinen Schuh zu, als Sascha Pröve den Wagen aus der Innenstadt Richtung A 17 lenkte.

      »Nach Ottendorf.«

      »Und wo ist das?«

      »Oberhalb vom Kirnitzschtal, also gar nicht weit von da, wo wir im August den Fall mit der Straßenbahn hatten.«

      »Na, das scheint ja eine interessante Gegend zu sein«, murmelte Leo und versuchte, seine kalten Zehen in dem nassen Schuh zu bewegen.

      Er kannte die Strecke von den Ermittlungen zum Toten in der Kirnitzschtalbahn. Im Gegensatz zum Sommer war das Tal aber an diesem Montagmittag nur spärlich besucht und die Kirnitzschtalbahn, die ihnen unterwegs entgegenkam und sie auf die linke Straßenseite zwang, war nur mit drei Fahrgästen besetzt.

      »Wenig los heute«, sagte Leo, nachdem er während der Fahrt nach Bad Schandau mit der Spurensicherung telefoniert hatte. Manni Tannhauser und sein Team waren ebenfalls auf dem Weg nach Ottendorf, hatten aber noch nicht gewusst, dass es auch ein Fahrzeug zu bergen galt. Wenn Leo aber versuchte, die Dame anzurufen, die den Toten gemeldet

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