Tragödie im Courierzug. Uwe Schimunek

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Tragödie im Courierzug - Uwe Schimunek

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Telegraphenleitungen und Eisenbahnschienen zogen sich kreuz und quer durch das Land. Postsendungen sausten nach Kopenhagen und in andere große Städte im gesamten Europa. Viele Vorgänge wurden inzwischen von Maschinen erledigt, neuerdings sogar der Krieg. Zugleich hatten über eine halbe Millionen Preußen buchstäblich nicht genug Geld fürs Fressen. Kam es Gontard nur so vor, oder spielte die Welt mit jedem Tag mehr verrückt?

      Es klopfte an der Tür. Nach Konversation mit Studenten stand Gontard jetzt nicht der Sinn – nicht mit einem Schlaumeier wie diesem Colder und erst recht nicht mit Strohköpfen wie von Ahlewitz. Sollte er so tun, als sei er nicht da?

      Der Störenfried klopfte erneut, diesmal noch eine Spur lauter. Wollte da jemand das Holz zertrümmern?

      »Ja, ja.« Gontard schob die Vossische beiseite. »Nun kommen Sie schon herein!«

      Die Tür sprang auf, und ein Sergeant stand im Rahmen. »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Oberst-Lieutenant!«

      »Es ist gut, Herr Sergeant. Treten Sie ein! Was ist Ihr Begehr?«

      Der Sergeant kam zum Tisch. Sein Gang war wankend, als habe er zum Frühstück mehrere Humpen Bier getrunken. Er blieb vor dem Schreibtisch stehen und reichte Gontard ein zusammengefaltetes Papier herüber. Gontard fiel erst jetzt auf, dass der Sergeant winzig war. Der Mann stand vor dem Tisch und musste beinahe zu ihm aufschauen, dabei saß Gontard bequem hinter dem Secretär. Vielleicht ging der Sergeant wegen seiner kurzen Beine so unsicher.

      »Ich danke Ihnen, Sie können wegtreten, Herr Sergeant«, sagte Gontard, als er das Papier in der Hand hielt.

      Der Kleine erstarrte, sagte aber kein Wort.

      Gontard sah den Mann scharf an. »Ist noch etwas?«

      »Verzeihen Sie untertänigst, Herr Oberst-Lieutenant! Herr Generalmajor von Schnöden befahl mir, auf Ihre Bestätigung zu warten.«

      Gontard lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Was soll ich denn bestätigen? Etwa, dass ich dieses Papier erhalten habe?«

      »Ich bitte erneut um Verzeihung. Das weiß ich nicht.« Der Kleine begann zu zittern wie Espenlaub. »Herr Generalmajor von Schnöden trug mir auf, Ihnen dieses Schreiben zu überbringen, und hieß mich, unbedingt zu warten, bis Sie eine Bestätigung geäußert haben. So lautete der Befehl, Herr Oberst-Lieutenant.« Die letzten Worte hatte der Sergeant beinahe gehaucht. Groteskerweise schien der kleine Mann lauter auszuatmen, je leiser er sprach. Nach den letzten Worten blieb Gontard kein Zweifel mehr: Der Sergeant war besoffen, voll wie eine frisch geladene Muskete. Er gab ein Bild des Jammers ab. Wurde der Kerl immer kleiner? Gontard beschloss, den Unteroffizier nicht weiter zu quälen, und entfaltete das Papier.

       Sehr geehrter Herr Oberst-Lieutenant von Gontard,

       ich habe einen wichtigen Auftrag in einer delikaten Angelegenheit. Sie scheinen mir die einzig passende Person für diese Causa zu sein. Bitte sorgen Sie dafür, dass Sie am Wochenende abkömmlich sind! Alles Weitere erkläre ich Ihnen am Nachmittag. Finden Sie sich zu diesem Behufe bitte gegen vier Uhr in meinem Bureau ein. Hochachtungsvoll

       Generalmajor von Schnöden

      Das klang freundlich, ließ aber kaum Widerrede zu. Gontard hatte nicht die geringste Vorstellung, was der Schulleiter der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule von ihm wollte. Er drehte das Blatt herum. Auf der Rückseite stand selbstverständlich auch keine Erklärung. Gontard richtete sich auf und sagte: »Herr Sergeant, informieren Sie Herrn Generalmajor von Schnöden, dass ich zum gewünschten Zeitpunkt bei ihm sein werde! Und jetzt dürfen Sie wegtreten.«

Zwei

      Ferdinand von Gontard lief den Flur der Kommandantur des Grenadierregiments König Friedrich Wilhelm II. Nr. 10, genannt 1. Schlesisches, hinunter. Der Gang flößte ihm Respekt ein. Oft kam er als kleiner Lieutenant nicht in diesen Teil der Kasernenanlage, und wenn es jemanden aus dem Fußvolk hierher verschlug, dann drohte nicht selten Ärger.

      Wen Ferdinand von seinen Vorgesetzten auch ansprach wegen des Leichenfundes, alle wimmelten ihn ab und verwiesen auf den Kommandeur des 1. Bataillons, Generalmajor Meinrad von Frohwitz. Bei dem liefen alle Fäden der Garnison in Breslau zusammen, er war nur noch dem Kommandeur des gesamten Grenadierregiments, von Kortzfleisch, unterstellt. Also blieb Ferdinand nichts anderes übrig, er musste zum »Alten«, wie Frohwitz in der gesamten Garnison genannt wurde. Wer immer über den Bataillonskommandeur redete, sprach dessen Spitznamen mit einer Mischung aus Spott und Ehrfurcht aus. Frohwitz’ offensichtlicher Gebrechlichkeit bei Appellen stand sein scharfer Verstand gegenüber. Altgediente Offiziere behaupteten gar, Frohwitz könne Gedanken lesen. Das hielt Ferdinand zwar für übertrieben, aber es war auch ihm in den wenigen Begegnungen mit Frohwitz bisher schwergefallen, dessen durchdringendem Blick standzuhalten.

      Im ersten Stock hingen die Porträts verdienter Offiziere der Garnison. Die Uniformen auf den Gemälden waren über und über mit Orden, Ehrenzeichen und Kordeln besetzt. Da erzählten die alten Offiziere immer etwas von Blut und Treue, und dann behängten sie sich mit opulentem Glitzerkram wie Weiber. Ferdinand dachte an seinen Vater, der sich über die hohen Offiziere und deren pompöse Abbildungen stets lustig machte. An dieser Galerie hätte er seine helle Freude gehabt. Ferdinand dagegen bekam bei jedem weiteren ernsten Gesichtsausdruck ein mulmigeres Gefühl.

      Am Ende der Galerie bog der Gang zu Frohwitz’ Dienstzimmer ab. An der Ecke saß ein Corporal und gähnte.

      »Ich möchte zu Herrn Generalmajor von Frohwitz, um eine Meldung zu machen«, sagte Ferdinand.

      »Geht nicht«, nuschelte der Mann.

      Ferdinand zögerte einen Augenblick. Vor ihm saß zwar lediglich ein Corporal, dem eine solch unhöfliche Rede einem Lieutenant gegenüber nicht zustand, aber immerhin handelte es sich um den Diensthabenden vor dem Zimmer des Bataillonskommandeurs. Zudem war der Kerl bestimmt zehn Jahre älter als Ferdinand. Wie würde sein Vater, der Oberst-Lieutenant von Gontard, sich in dieser Situation verhalten? Zumindest würde er sicher nicht vor einem Corporal kuschen.

      »Ich habe etwas Wichtiges zu melden, Herr Corporal.« Ferdinands Stimme wurde mit jedem Wort fester. »Und reden Sie gefälligst in vollständigen Sätzen mit mir!«

      Der Corporal guckte wie ein Saufkumpan kurz vor einer Kneipenschlägerei. Wenigstens gähnte er nicht mehr, sondern sagte laut: »Ich habe meine Befehle, Herr Lieutenant. Der Generalmajor möchte nicht gestört werden.«

      »Was ist denn das für ein Gebrüll?«, hallte es aus dem Gang.

      Ferdinand erkannte die Stimme des Kommandeurs. Der Alte klang müde, so als habe er gerade ein Vormittagsschläfchen beendet. Frohwitz näherte sich mit gemessenen Schritten – oder schlurfte er?

      Der Corporal sprang auf und zeigte auf Ferdinand. »Der junge Lieutenant missachtet Ihre Befehle, Herr Generalmajor!«

      »Mit Verlaub, ich habe eine wichtige Meldung zu machen.« Ferdinand wandte sich direkt dem Alten zu. »Ich habe nur versucht, das dem Corporal zu vermitteln.«

      »Hm.« Der Alte schaute Ferdinand eindringlich an. Da war er wieder, dieser forschende Blick. Nach einem Moment fuhr der Kommandeur fort: »Dann kommen Sie doch mit, Herr Lieutenant!« Frohwitz trottete gen Dienstzimmer, und Ferdinand folgte ihm.

      Der Corporal hätte mit

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