Der Geschichten-Adventskalender. Angelika Röbel
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Читать онлайн книгу Der Geschichten-Adventskalender - Angelika Röbel страница 3
„Setzt euch an den Tisch. Ich hole etwas Warmes zum Essen.“
Lisa und Sarah nahmen am Tisch Platz. Er brachte eine Schüssel mit heißen Bratäpfeln. Hmm, das roch lecker! Als sie sich gestärkt hatten, stellte der kleine Mann eine Kiste auf den Tisch. Darin waren bunte Fäden und Stroh, Nadeln und eine Schere. „Jedes Jahr am Weihnachtsabend bastle ich einen Engel für meinen Weihnachtsbaum.“
Sarah, die die schönen Engel bereits gezählt hatte, sagte: „Aber wieso sind das erst elf Stück?“
Nun traten Tränen in die sanften Augen des kleinen Mannes. „Heute kommt der zwölfte Engel an den Baum. Vor zwölf Jahren ist am Weihnachtsabend mein treuer Gefährte überfahren worden. Er war so ein kluger Hund. Ihm konnte ich meine Sorgen anvertrauen und er hat niemals über mich gelästert, wie es die Menschen tun.“
Betroffen sahen die Kinder an sich herunter.
„Aber warum haben Sie sich nicht wieder einen Hund angeschafft?“, fragte Lisa schließlich.
„Dafür habe ich kein Geld übrig“, erwiderte er traurig. Dann griff er in die Kiste. „Wollt ihr mir dabei helfen?“
Freudig nickten die Mädchen. Das Grammofon war still geworden. Und um die momentane traurige Stimmung zu vertreiben, sangen Sarah und Lisa für den kleinen Mann das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Plötzlich war ein zaghaftes Jaulen aus der dunklen Ecke zu hören, in der Sarah kurz vorher die Tasche abgestellt hatte. Da fiel den Mädchen der Welpe für die Großmutter wieder ein.
„Was ist das?“, fragte der kleine Mann.
Sarah stand auf und holte die Tasche. Sie griff hinein, um den Welpen herauszuholen. Die Augen des kleinen Mannes fingen an zu leuchten. Auf Sarahs Arm saß der Hund und leckte ihre Hand. „Den haben wir für unsere Großmutter mitgebracht. Aber sie würde sich sicher freuen, wenn Sie ihr bei der Pflege und der Betreuung behilflich wären. Mit einem bandagierten Fuß kann sie ja sowieso nicht mit dem Hund rausgehen.“
Der kleine Mann war so glücklich, dass er die Mädchen liebevoll in die Arme nahm und an sich drückte.
Als am nächsten Morgen die Großmutter aus dem Krankenhaus kam, freute sie sich über den kleinen Hund. Gemeinsam wollten sich die beiden alten Menschen um ihn kümmern.
In den kommenden Jahren kam kein neuer Engel mehr an den Weihnachtsbaum des kleinen Mannes.
2. Dezember
Eine wundersame Wandlung
Vor vielen Jahrzehnten bewohnte die fünfjährige Lydia gemeinsam mit ihren Eltern eine vornehme Villa in der Kastanienallee. Lydia saß artig am Frühstückstisch. Ihr Vater rauchte eine Zigarre und las dabei die Morgenzeitung, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte. Er leitete ein kirchliches Waisenhaus.
„Papa, du hast mich noch gar nicht nach meinen Wünschen gefragt, die ich an das Christkind habe“, stellte Lydia ärgerlich fest.
Der Vater löste seinen Blick von der Zeitung, sah über den Brillenrand zu seiner Tochter, faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben sich auf den Tisch. „Warum soll ich dich danach fragen? Du kannst doch deine Wünsche aufmalen!“
Mit einer Serviette putzte sich Lydia den Mund ab. „Das macht so viel Arbeit, es geht doch schneller, wenn ich es dir sage!“
Lydias Mutter verfolgte schweigend das Gespräch.
Der Vater stand auf, trat hinter seine Frau und gab ihr einen Abschiedskuss auf die Wange. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte zu Lydia: „Es bleibt dabei, mal deine Wünsche auf!“
Trotzig verschränkte Lydia ihre kleinen Arme und lehnte sich auf dem großen Stuhl zurück.
„Das Christkind kann sich doch nicht alles merken, Lydia. Es möchte daher einen Wunschzettel von den Kindern haben“, versuchte die Mutter, es ihr zu erklären.
Mit hängenden Schultern und immer noch nicht von der Notwendigkeit überzeugt, ging Lydia auf ihr Zimmer. Dort setzte sie sich an den Tisch, holte einen Zettel hervor und begann, all ihre vielen Wünsche auf Papier zu bringen: Zwei Puppen, eine mit langem und eine mit kurzem Haar, einen Ball, einen Teddybären, bunte Glasmurmeln, ein Bilderbuch, kleine Holztiere für einen Bauernhof, eine neue Puppenstube, einen Kaufmannsladen, der mit essbarem Naschwerk gefüllt ist, und eine neue große Schleife für ihr eigenes Haar.
Als sie ihrem Vater am Abend den Wunschzettel übergab, schwankte seine Stimmung zwischen traurig und ärgerlich. „Da hast du aber sehr viele Wünsche aufgemalt, Lydia! Ich glaube, alle Wünsche kann dir das Christkind nicht erfüllen!“
Lydias Augen füllten sich mit Tränen, unverstanden verließ sie das Zimmer.
„Warum ist sie so gierig? Was haben wir bei ihrer Erziehung falsch gemacht? Andere Kinder sind zufrieden, wenn ein Christbaum im Stübchen steht. Für die Kinder im Waisenhaus gibt es auch in diesem Jahr lediglich einen Apfel und ein selbst gebackenes Plätzchen.“
Die Mutter zeigte ihm einen Brief. „Der ist heute von meiner Schwester gekommen. Sie bittet mich um Hilfe. Um die Weihnachtszeit soll ihr Kind geboren werden. Was meinst du, kann ich zu ihr? Kann ich dich mit allem alleine lassen?“
„Natürlich, ich schaffe das schon mit Lydia. Ich nehme sie mit ins Waisenhaus. Vielleicht lernt sie dort Bescheidenheit.“
Mit hochgezogenen Brauen und zweifelndem Blick schaute sie ihren Gatten an.
Am Tag, bevor das Christkind kam, fuhr die Mutter weg. Am liebsten wäre Lydia mit ihr gefahren, aber sie durfte nicht. Sie sollte ihren Vater zur Arbeit begleiten. Dazu hatte sie nun aber absolut keine Lust.
„Es wird dir bei den anderen Kindern schon gefallen. Vielleicht findest du dort eine Freundin?“
„Und wenn das Christkind kommt, bin ich nicht zu Hause!“, erwiderte sie – es war der letzte Versuch, ihren Vater doch noch umzustimmen.
„Das Christkind weiß, wo du dich aufhältst. Mach dir darüber keine Gedanken.“
Und dann war es so weit. Lydia stapfte mit ihrem Vater durch den tiefen, frisch gefallenen Schnee bis zum Pferdeschlitten. Der Knecht hielt die Pferde am Zaumzeug fest, bis beide eingestiegen waren. Nachdem der Vater Lydia in eine Decke gewickelt hatte, nahm er die Zügel und das Gefährt setzte sich langsam in Bewegung.
Als Lydia mit ihrem Vater den großen Speisesaal betrat, war von den Waisenkindern keines zu sehen. Ein riesengroßer Tannenbaum stand auf der anderen Seite des Raumes. Er war bunt geschmückt mit gebastelten Sternen, Engeln und bunten Girlanden. Keine Kerze schmückte den Baum, dafür war kein Geld vorhanden gewesen. Aber er sah trotz allem wunderschön aus. Beeindruckt drückte Lydia die Hand ihres Vaters, der sie immer noch festhielt.
„Such dir einen Platz aus, Lydia, gleich werden die Kinder kommen!“ Eine lange Tafel war vor dem Tannenbaum aufgestellt. Auf den Tellern lagen jeweils ein Apfel und ein Plätzchen. Aus