Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

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Eine verborgene Welt - Alina Tamasan

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über die langen spitzen Zähne. Finilya schüttelte seufzend den Kopf.

      „Mama? Was ist da drin?“ Der kleine Pindra war soeben dabei, es heraus zu finden. Irukye konnte gerade noch verhindern, dass er den glühend heißen Kessel anfasste.

      „Lass das!“, fuhr sie ihn an und gab ihm eine Backpfeife, worauf der Kleine herzzerreißend zu weinen anfing.

      „Naa, nicht weinen“, Finilya nahm ihn in den Schoß und strich sanft über seine nassen runden Wangen, „es gibt lecker Essen!“

      „Von wegen Essen! Wieder diese dünne Wurzelsuppe, die wir schon gestern und vorgestern hatten“, hörte sie ihre Schwester Mèfai sagen.

      „Sei froh, dass wir etwas haben“, mahnte Finilya ruhig, „andere haben noch nicht einmal das! Außerdem haben wir heute reichlich Zutaten, der Nachbar war sehr freigiebig!“ Rìa seufzte leise, sagte aber nichts. Er war der Ernährer der Familie und was hatte er ihr gebracht? Nichts als Armut, andererseits – so sinnierte der Alte, während er sich durch das graue borstige Haar strich – hatte er seiner Familie, die zunächst noch heimatlos gewesen war, eine Bleibe organisiert: das Geäst einer gesunden jungen Buche, die seine große Familie zwar nur dürftig, aber noch bereitwillig ernährte und beherbergte. Er runzelte die Stirn und seufzte leise. Er war der Heilerin Pythera, die Anführerin des Volkes, zu dem sie gehörten, noch immer dankbar, dass sie ihn, seine Frau und die damals drei Kinder bereitwillig aufgenommen hatte.

      ‚Drei Kinder …‘, gedankenverloren schweifte sein Blick über seine Sprösslinge und blieb an dem kleinen Pindra hängen, dem Jüngsten. ‚Man sagt, Mutter Natur regle, wie viele Kinder, wann zur Welt kommen. Eine Weile lang wollte ich glauben, dass sie es gut mit uns meint, wenn Irukye wieder schwanger wird, aber …‘, sein Blick wanderte zu der eingefallenen Gestalt seiner Frau, ‚irgendwie verstehe ich sie nicht, die Mutter. Wohlhabende Familien klagen oft über zu wenig Kinder und wir …‘ Der alte Mann senkte betrübt den Kopf. ‚Aber‘, sinnierte er weiter und ein Lächeln erhellte seine Gesichtszüge, ‚ich würde mich schrecklich allein fühlen, ohne sie …‘

      Finilya schien seine Gedanken erraten zu haben, denn sie nickte ihm aufmunternd zu. Ihren kleinen Bruder auf dem Schoß haltend, wartete sie geduldig, bis auch Irukye Platz genommen und sich bedient hatte. Finilyas Mutter löste etwas Brei in ihrer Suppe auf, setzte sich die Schale an die Lippen und begann loszuschlürfen. Wann immer ein Stück Wurzel in die Nähe ihrer Zunge schwamm, schnellte diese hervor, umfasste es wie der Frosch eine Fliege und zog es in ihren Mund hinein. Ihr Schlürfen war indes für die anderen das Zeichen, ebenfalls mit dem Essen zu beginnen. Rìa vernahm mit genügsamer Zufriedenheit, wie sich seine Familie schmatzend und schlürfend über die Mahlzeit her machte. Irukye sah ihn stirnrunzelnd an und schob ihm die Schale hin. ‚Iss‘, sagte ihr Blick. Rìa nickte, schob sich langsam einen Bissen Brei in den Mund und leckte sich die dunklen Krallen. Dann spülte er etwas Suppe hinterher. Seine Frau nickte zufrieden und wandte ihre Aufmerksamkeit Finilya zu. ‚Ein Abbild ihres Vaters‘, schoss es ihr durch den Kopf und sie beobachtete, wie ihre Tochter den kleinen Pindra mit mundgerechten Häppchen fütterte, die er gurrend verspeiste.

      „Iss was, Kind“, ermahnte Irukye Finilya laut. „Der Kleine muss langsam lernen, selbst zu essen.“

      „Ja, Mama.“ Als wollte sie beweisen, dass sie eine brave Tochter sei, nahm sie einen kleinen Schluck von der Wurzelsuppe. Die alte Gniri gab ein entrüstetes Fauchen von sich.

      „Nicht nur das, auch von dem Riàt1, iss mehr davon, du bist eh schon so dünn, brauchst mehr Fleisch auf die Rippen, wenn du deinem Kerl den Kopf weiter verdrehen willst!“ Finilya hatte keinen Hunger. Sie hatte eigentlich nie Hunger, nur ab und an Appetit auf bestimmte kleine Genüsse, die sie sich gönnte, wenn sich die Gelegenheit bot – eine kleine Beere hier, eine Nuss dort, am allerliebsten aß sie Feigen, aber die gab es hier nicht. Sie war nur ein einziges Mal in den Genuss dieser Rarität gekommen.

      Als vor einiger Zeit Retasso zu Besuch da gewesen war, hatte er welche aus seiner Heimat mitgebracht. Getrocknet schmeckten sie herrlich süß. Finilya liebte Süßes. Bei dem Gedanken an die Köstlichkeit leckte sie sich mit ihrer spitzen langen Zunge genüsslich über die Lippen. Dann schob sie Pindra erneut einen Happen in den Mund und hielt ihm die Schale zum Trinken hin. Irukye bedachte ihre Tochter mit einem strengen Blick.

      „Wenn’s sein muss, mache ich es!“, zischte sie und deutete auf Finilyas Portion. Finilya löste widerwillig etwas von dem breiigen Riàt in ihrer Suppe auf und setzte die Schale an die Lippen. Sie schlürfte langsam und kaute bedächtig an den Wurzelstücken, die sie flink mit der Zunge herausfischte. Irukye nickte zufrieden. Als die Mahlzeit beendet war, erhob sich ihre Tochter und nahm ihren kleinen Bruder auf den Rücken.

      „Das geht nicht!“, entrüstete sich Irukye. „Du gehst nicht raus, es wird bald dunkel. Außerdem ist er viel zu schwer für dich, gib ihn mir!“ Ohne Widerworte reichte Finilya ihrer Mutter den Kleinen. Seine murmeligen dunkelblauen Augen begannen vor Freude zu glänzen.

      „Mama“, gluckste er und streckte seine haarigen Ärmchen nach ihr aus. Kaum, dass sie ihn zu fassen bekommen hatte, krallte sich der Kleine in ihrem dichten Rückenhaar fest. Mit seinen kräftigen Beinchen umklammerte er ihren ebenso behaarten Bauch.

      „Was ist denn das?“, rief die Gniri beim Anblick seiner Klauen bestürzt aus, „wir müssen dir die Krallen schneiden! Finilya, warum hast du das nicht getan?!“ Sie sah ihre Tochter groß an.

      „Warum muss ich das immer machen?“, brummte diese entrüstet, „er hält nie still, und ich will ihm nicht jedes Mal ins Fleisch schneiden. Du bist kräftiger, das hast du selbst gesagt.“ Finilya bemühte sich, dem strengen Blick ihrer Mutter standzuhalten. Und tatsächlich, wie schon oft vorher, gab Irukye einen einlenkenden Laut von sich und wandte sich anderen Aufgaben zu. Die junge Frau atmete erleichtert auf und blickte versonnen durch das Fenster ihrer Behausung, die auf einem in den Baumstamm eingelassenen Holzfundament ruhte. Sie wollte gerade hinaushüpfen und wie ein Äffchen über Äste und Stamm nach unten klettern, als sie von hinten jemand am Schopf packte. Sie drehte sich um und blickte in das sanfte Augenpaar ihres Vaters, der freundlich, aber bestimmt den Kopf schüttelte.

      „Hör bitte auf deine Mutter“, ermahnte er sie leise. Dann zog er sie hinter sich her, bis sie wieder am Feuer saßen. „Ich weiß, wo du hin willst“, brummte er leise. Finilya senkte verlegen den Blick und knetete nervös an ihren langen Fingern.

      „Rangiolf ist ein guter Mann, ein Barde mit hohem Ansehen, was deiner Mutter sehr gefällt, aber du bist für eine Ehe auf jeden Fall noch viel zu jung!“ Die Gniri erwiderte nichts darauf. Was wollte sie ihm auch widersprechen? Er hatte ja recht! Sie sah stirnrunzelnd an sich herunter. Sie war ein nacktes Kind, genau wie ihre Geschwister. Einen bunten Rock, wie ihre Mutter, würde sie erst tragen, wenn sie verheiratet war – ja, wenn sie verheiratet war. Irgendwann musste auch eine junge Frau mal heiraten, nicht wahr? Oder würde sie ewig ein Kind bleiben?

      Sie mochte es, abends bei ihrem Vater zu sitzen und den Geschichten aus seiner Jugend zu lauschen oder mit ihm über die Arbeiten des nächsten Tages zu beratschlagen. Wenn er sie dann so liebevoll ansah und ihr sanft durch das Haar strich, fühlte sie sich sehr wohl. Es war doch ganz gut, noch ein wenig länger bei der Familie zu bleiben, anstatt sich in einen Mann zu verlieben, den sie sowieso nie haben würde, weil Rìa ihnen keine Mitgift mitgeben konnte! Herzklopfen hin oder her – eins war klar: Sie konnten sich eine Hochzeit, geschweige denn eine Ehe nicht leisten. Andererseits liebte sie den etwas älteren Rangiolf – und das war keine Jungmädchenschwärmerei, wie viele Leute munkelten, sondern ein Argument für sie, welches immer alle Zweifel beiseite fegte, für einige Zeit jedenfalls. So träumte sie auch diesmal, während sie gedankenverloren Rìas knorrige Hand streichelte.

      „Ich

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