Lombok. Matthias Falke
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»Die Verhandlungen waren zäh und zogen sich über Monate hin«, erzählte sie. »Die Sineser wollten keinerlei Zugeständnisse machen. Die Unionsseite drohte damit, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen und den Krieg mithilfe der Antimaterie-Technologie bis nach Sina, der Zentralwelt des Imperiums, zu tragen. Daraufhin gaben die Sineser nach. Sie verlangten die Ächtung der Antimaterie-Systeme. Nach endlosem Pokern und zahlreichen Marathonsitzungen willigte die Union ein. Für das Abschlussprotokoll stimmte auch Rogers zu. Er soll allerdings unter der Hand verlautbart haben, er habe diese Waffe einmal eingesetzt und er werde es wieder tun, wenn es nötig sei.«
Ein amüsiertes Murmeln lief durch die Reihe der Beisitzer. Auch der Vorsitzende schmunzelte vor sich hin. Dann sah er Jennifer wieder aufmunternd an.
»Die entsprechende Ächtung der sinesischen Annihilatoren wurde hingegen nicht in die Erklärung aufgenommen. Die Sineser verweigerten alle Aussagen zu diesem System. Sie stritten ab, etwas derartiges eingesetzt oder überhaupt entwickelt zu haben. Alle Spekulationen der wissenschaftlichen Elite der Union, dass es sich bei dem auf Persephone entdeckten, aber später vernichteten Exemplar um einen nicht einsatzbereiten Prototypen gehandelt habe, gingen daher ins Leere.«
»Was waren die Ergebnisse von Lombok?«
»Es war ein Vertragsfrieden, ein klassischer Formelkompromiss. Die beiden Seiten steckten ihre Interessensphären ab und einigten sich auf eine Demarkationslinie. Diese entspricht im wesentlichen dem Frontverlauf auf dem Höhepunkt des Krieges vor Persephone. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen wurde vereinbart, um die Einhaltung der Abmachung zu kontrollieren und zu einem gut nachbarschaftlichen Auskommen in der Galaxie zu finden, aber bis heute wurde davon nichts umgesetzt.«
Der Vorsitzende nickte. Er warf einen Blick zu den Beisitzern, aber diese deuteten an, keine weiteren Fragen zu haben.
»Sie haben das erschöpfend referiert«, sagte er daraufhin. »Kommen wir von der Anamnese zur Analyse.«
Sie machte einen Schritt nach vorne, als habe sie die ganze Zeit nur auf diesen Moment gewartet.
»Wie schätzen Sie die Resultate von Lombok ein?«, fragte der Vorsitzende.
»Es gibt Stimmen, die sich sehr unzufrieden äußerten«, erklärte sie. »Ihr Tenor war, angesichts des militärischen Triumphs von Persephone hätte die Verhandlungsführung der Union mehr herausschlagen müssen.«
»Was zum Beispiel?«
»Reparationen, Gebietsabtretungen oder eine Offenlegung der Annihilator-Technologie.«
»Wer zählte zu diesen Stimmen?«
»Große Teile der militärischen Führung. Hinter vorgehaltener Hand, wie bereits gesagt, auch General Rogers selbst. Man sagte, das Opfer der Soldaten, die vor Persephone gestorben waren, sei am Verhandlungstisch verraten worden.«
»Wer noch?«
»Es gab – und gibt bis heute – Vereinigungen, die sich der Union nicht angeschlossen haben, etwas die Amish. Sie vertreten die Auffassung, die Vereinbarung von Lombok sei von einer Kommission ausgehandelt worden, die sie nicht autorisiert hätten. Deshalb sehen sie sich auch nicht verpflichtet, sie einzuhalten. Das gilt in diesem Fall etwa für die Frage der Demarkationslinie und der Interessensphären. Die Amish beanspruchen für sich, prinzipiell alle unbesiedelten Welten der Galaxis mit ihren Minenkolonien erschließen zu wollen.«
»Und?« Der Vorsitzende grinste listig.
»Die Amish lehnen sämtliche Technologie ab. Sie verfügen über keine eigene Raumfahrt. Allerdings gibt es inzwischen genügend private Kurierdienste, die auch interstellare Routen anbieten.«
»Nun habe ich gefragt, wie Sie das Ganze einschätzen. Zum Beispiel haben Sie vorhin vom Ersten Sinesischen Krieg gesprochen. Gab es denn noch weitere?«
»Es gibt Stimmen«, begann sie. Dann setzte sie hinzu: »Denen ich mich auch anschließen würde, die behaupten, man sei mit Sina nicht hart genug umgesprungen. So sei die Herausgabe der Annihilator-Technologie eigentlich zwingend, da Sina so einen Trumpf in der Hinterhand habe, den es jederzeit ausspielen könne.«
»Fürchten Sie, dass es wieder zum Krieg kommt?«
»Die Gefahr sehe ich allerdings.« Sie musste im Stillen schmunzeln, als sie das Ceterum Censeo ihres Vaters vortrug. »Um es mit einer historischen Analogie zu sagen: Persephone war nur der Erste Punische Krieg. Rom hatte damals zwei weitere auszufechten.«
Der Vorsitzende wiegte nachdenklich den Kopf. »Hoffen wir, dass uns das erspart bleibt.«
»Sina ist gedemütigt, aber nicht besiegt«, sagte sie noch.
»Das ist allen Beteiligten klar«, sagte der Vorsitzende. »Aber was wäre die Alternative? Den Krieg ins sinesische Herzland zu tragen? Sina zu vernichten, wie es Rom am Ende mit Karthago getan hat? Das wäre ein Kampf von völlig anderen Dimensionen. Ein Krieg, der die ganze Galaxie umfasst, eine Schlacht, neben der Persephone sich wie ein Strandspaziergang ausnimmt.« Er winkte ab. »Das soll im Augenblick nicht unsere Sorge sein.«
Einer der Beisitzer meldete sich.
»Eine Frage hätte ich noch an die Kandidatin.«
»Bitte«, sagte der Vorsitzende.
Sie wandte sich dem Tisch an der Längsseite des Raumes zu. Sie legte die Hände wieder ineinander, mit denen sie während der letzten Fragen etwas zu erregt gestikuliert hatte, und achtete darauf, gerade zu stehen.
»Kehren wir noch einmal auf das Schlachtfeld von Persephone zurück«, sagte der Beisitzer. »Was geschah, nachdem die Waffen schwiegen?«
»Man suchte das gesamte Gebiet im Orbit über dem Mond Persephone und auch die nähere Umgebung des Gasplaneten Hades ab, fand aber nichts mehr, das man auswerten konnte. Vermutlich hatten die Sineser Hyperraumsender in den Wracks ihrer zerstörten Schiffe zurückgelassen, am ehesten wohl in Gestalt ihrer Tloxi-Androiden, aber man konnte nichts dergleichen nachweisen. Das Flaggschiff der Sinesischen Flotte, die schwer beschädigte Yamato, war eines Tages verschwunden. Sie muss es, trotz angeschlagener Systeme, geschafft haben, in den Hyperraum zu entkommen. Was man sonst fand, gab den einen oder anderen technologischen Aufschluss, auch einige Erkenntnisse zu Sprache und Kultur der Sineser. Aber es war nichts wirklich Relevantes. Schließlich überließ man das gesamte Tartaros-System sich selbst. Es ist heute Niemandsland zwischen den beiden Machtblöcken.«
Der Beisitzer nickte. »Ihr Wissen ist beeindruckend!«
»Eine letzte Frage.« Der Vorsitzende zog die Prüfung wieder an sich. »Die Einserfrage, wenn Sie so wollen. Was geschah eigentlich mit Alexander Wiszewsky?«
Ein Murmeln ging durch die ganze Kommission, und auch sie konnte sich ein Zucken der Mundwinkel nicht verbeißen.
»Er verließ die MARQUIS DE LAPLACE noch während der Schlacht«, führte sie aus, wobei sie permanent mit einem Grinsen zu kämpfen hatte.
»Wie das?«, fragte der Vorsitzende, dem ihre Heiterkeit nicht entging und der sich dadurch animieren ließ, mit der seinen nicht mehr hinter dem Berg zu halten. Im Seminarraum machte sich eine spöttische Ausgelassenheit breit.
»Er bestieg eine Rettungskapsel«, sagte sie. »Hinterher redete er sich