Schwarzer Kokon. Matthias Kluger
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Читать онлайн книгу Schwarzer Kokon - Matthias Kluger страница 23
Als sie ins Boot gefallen war, war es ihr unmöglich gewesen zu erkennen, was weiter geschah. In ihrer Erinnerung spürte Zola lediglich einen heftigen Ruck, der sie vom Ufer gestoßen und in den Fluss treiben ließ. Dann lag sie zusammengekauert im Dunkel der Nacht, spürte den Regen niederprasseln, bis gleich darauf Schüsse wie Donnerschläge an ihr Ohr drangen. Die Salve ließ sie in Todesangst zusammenzucken, ahnungslos, ob Kugeln in ihre Richtung abgefeuert wurden oder – sie hielt kurz inne – ihre Mutter trafen.
»Mama«, flüsterte sie neben dem Baumstumpf sitzend und ihre Liebe zu Aba forderte, wieder zur Plantage flussaufwärts zu gehen. Doch ihr Verstand hielt sofort dagegen. Damit wäre niemandem geholfen. Weder ihrer Mutter noch Tumelo noch Sam, welche ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, ihr die Flucht zu ermöglichen. Nein, jetzt trug sie die Verantwortung für sich selbst und jeder Schritt, dem Fluss nach Norden folgend, würde sie weiter in die Freiheit bringen.
Sie nahm das Jagdmesser aus dem Sack und durchschnitt einen darin liegenden Apfel. Der Sperling saß direkt vor ihr.
»Dein Brandzeichen«, sagte er plötzlich. »Es muss weg!«
Noch immer erstaunt, sich mit einem Vogel zu unterhalten, drehte Zola ihren linken Unterarm. Das eingebrannte Mal, ein großes »B«, kennzeichnete sie als Sklavin von Mr. Baine. Sollte man sie finden, wäre dies wie ein Wegweiser zurück zu dieser Bestie. Ja, sie musste es loswerden. Sofort.
Langsam streifte sie beide Seiten des Messers an ihrem Baumwollkleid, bis es vom Saft des Apfels gesäubert war. Vorsichtig setzte sie an. Die scharfe Klinge ritzte in ihre Haut bis ein stechender Schmerz in ihrem Arm brannte. Ohne eine Träne zu vergießen, führte sie das Messer wie eine Sense über ihre Haut, so lange, bis rotes Blut den Unterarm hinablief und die gesamte Klinge des scharfen Messers verfärbte. Schon als Kind hatte Zola lernen müssen, mit Schmerz zu leben. Wenige Minuten später lag ein blutgetränkter Hautlappen vor ihr im Gras. Es war ihr, als hätte sie ein eisernes Halsband abgelegt.
Plötzlich flatterte der Sperling, griff mit seinem kleinen Schnabel das Fragment Haut und flog davon. Verwundert blickte Zola ihm hinterher.
Nachdem sie einen Fetzen ihres Baumwollkleides abgerissen und ihren Unterarm verbunden hatte, machte sie sich barfuß auf den Weg. Sie spürte den weichen Waldboden an ihren Fußsohlen und hastete ohne Pause, geschützt durch Bäume und Gestrüpp, immer nördlicher, am Rande des Ashley Rivers entlang. Als die Dunkelheit hereinbrach, suchte Zola einen geeigneten Schlafplatz, den sie inmitten hoher Bäume, die sie wie eine riesige Mauer umgaben, fand. Erschöpft sank sie auf moosbedecktem Boden in tiefen Schlaf.
Die dunkle Nacht lag noch über ihr, als sie ein Geräusch weckte. Unsicher blickte sie um sich. Da war es wieder – das leise Knacken von Ästen. Sollten ihr etwa die Wachen von Mr. Baine hierher gefolgt sein? Die Iris ihrer Augen weiteten sich. Helle Punkte huschten um sie herum, kreisten sie ein und schienen sie zu beobachteten. Es waren gelb leuchtende Augen, jedoch in zu niedriger Höhe, als dass sie menschlich wären. Wieder das Geräusch eines brechenden Astes. Zola hielt den Atem an, während ihre Hand vorsichtig in den Proviantbeutel griff. Fest umschloss sie den Griff ihres Messers. Einer Raubkatze gleich, richtete sich Zola in die Hocke, ein Knie am Boden, das andere Bein angewinkelt, gleich einem knienden Bogenschützen. So war sie bereit und entschlossen, mit der Waffe in ihrer Faust auf die drohende Gefahr zu reagieren. Sollten sie nur kommen, wer immer da auch war. Ich, Zola, habe nichts mehr zu verlieren! Ihr lasst euch mit der Falschen ein!
In diesem Augenblick erkannte Zola ihren Feind. Langsam näher kommend, fletschten sie die Raubtierzähne eines Wolfes an, der sie angriffslustig fixierte. Zola sprang auf und stieß einen furchterregenden Schrei aus. Der Wolf wich erschrocken zur Seite, floh jedoch nicht. Weitere Augen des Rudels kamen von allen Seiten direkt auf sie zu.
Marcs Entlassung
Marc lag auf einer Pritsche in einer zweimal drei Meter großen Einzelzelle, beide Arme hinter dem Kopf verschränkt, und blickte an die Decke. Wenigstens ein Einzelzimmer, dachte er sarkastisch.
Nachdem seine Personalien vormittags aufgenommen waren, kam er zuerst in eine Gemeinschaftszelle, die zwar größer, jedoch von zwei anscheinend auch erst vor Kurzem festgenommenen Häftlingen besetzt war. Beide waren übersäht mit Tattoos, an den Unterarmen kein Zentimeter der natürlichen Haut sichtbar. Marc tippte auf mexikanische Abstammung. Grimmig sahen die beiden ihn an, als er hereingeführt wurde. Seine Handschellen abgenommen, schloss sich die stählerne Tür hinter ihm. »Hey« war das Einzige, was ihm zur Begrüßung einfiel. Doch die zwei Insassen beachteten ihn nicht weiter und ließen ihn in Ruhe.
So saß er einige Stunden, beide Beine angezogen, mit dem Rücken an der Wand auf dem Zellenboden, bis im Türschloss ein Schlüssel klapperte. Ein Officer mittleren Alters, den Schlagstock in der Hand, wandte sich direkt an ihn: »Blondschopf, mitkommen.«
Was Marc nicht wusste: Der Officer wurde von Chief Williams angehalten, keinen Namen zu nennen. Williams hielt sich an die Abmachung, alles zu unternehmen, dass nichts an die Öffentlichkeit kam.
Die Hand des Gefängniswärters fest an seinem Oberarm, stolperte Marc neben diesem her, bis sie, nachdem sie eine weitere Sicherheitsschleuse durchschritten hatten, an eine graue Zellentüre kamen. Der Wärter schloss auf.
»Von wann bis wann gibt’s Frühstück?«, fragte Marc, doch der Polizist war für diese Art von Spaß nicht zugänglich. Wortlos schloss sich die Türe hinter Marc.
Seine Swatch verriet ihm, dass es bereits nach 16 Uhr am Nachmittag war. Das dauert aber, bis Pops seine Beziehungen spielen lässt, dachte Marc. Doch insgeheim war ihm mulmig zumute, wenn er an die Reaktion seines Vaters dachte. Würde bestimmt kein Spaß werden.
Es war bereits nach acht, als sich die schwere Türe wieder öffnete. Zu seiner Erleichterung kam neben der Person in Polizeiuniform Michael mit in die Zelle.
»Pack deine Sachen, wir verschwinden hier«, sagte Michael ohne Umschweife.
Seine Jacke in der Hand, lief Marc wortlos hinter den beiden her. Anscheinend hatte Michael den ganzen Papierkram schon erledigt, denn sie durchschritten zielstrebig zwei Sicherheitsschleusen und erreichten über verwinkelte, neonbeleuchtete Gänge direkt das große Eingangsfoyer, in dem er noch am frühen Vormittag seine Personalien angegeben hatte. Lautes Treiben erfüllte das Revier, vergleichbar mit einer vollen U-Bahn-Station. Sie schlängelten sich an Polizisten und einer Meute Zivilpersonen vorbei zum Ausgang.
Neben Michael im Wagen sitzend, brach dieser das Schweigen: »Bist du völlig irre, Marc? Du hast dem anderen die Nase gebrochen. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Publicity gäbe, wenn auch nur ein Journalist davon erfahren hätte? Ich seh schon die Schlagzeilen: Sohn von Senator Haskins prügelt Jugendlichem ohne Vorwarnung den Arsch aus der Hose.«
»Michael, es war anders, als du denkst«, begann Marc sich zu verteidigen.
»Einen Scheiß, Marc, das interessiert niemanden. Es sind immer die anderen bei dir. Wie oft soll dir Fredrik denn noch den Kopf aus der Schlinge ziehen? Du kannst von Glück reden, dass der Kerl kein unbeschriebenes Blatt ist.«
Michael hatte am Nachmittag ein paar Anrufe getätigt. Schnell hatte er raus, um wen es sich bei dem Geschlagenen handelte, der nun im George Washington University Hospital behandelt wurde. Der Typ mit gebrochener Nase hieß Vincent Doyle. Ein kleiner Ganove, der ein längeres Strafregister wegen verschiedener Delikte, unter anderem Körperverletzung, kleinere Diebstähle und Drogenkonsum, vorzuweisen hatte. Louis, ein Mitarbeiter von Michael, der die Drecksarbeit,