Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn
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„Und Sie meinen wirklich, dass Sie das beherrschen?“, hinterfragte er.
Christin lachte ihm in die Augen: „Ja, natürlich. Sie sind nicht mein erster Patient mit Bart.“
Dieses Lachen löste bei ihm die Angst. Es klang sicher, vertrauensvoll und heiter.
„Na gut, rasieren Sie mich. Mein Testament habe ich ja Gott sei Dank schon gemacht“, gab er sein Einverständnis.
Sie seifte ihn gründlich ein, schnitt den langen unteren Teil bis zu seinem Kinn mit einer Schere ab und begann sehr vorsichtig, jedoch mit geübter Hand ihn von seinem Vollbart zu befreien. Nachdem sie ihn mit einem Handtuch abgetrocknet und mit einem Rasierwasser behandelt hatte, das unerwartet frisch und aromatisch duftete, wandte sich Brandon an sie. „Haben Sie einen Spiegel?“
Christin brachte ihm einen Handspiegel. Kritisch betrachtete er sich darin. „Sieht ganz ordentlich aus. Gut, Sie dürfen das jetzt jeden Tag tun“, erlaubte er ihr.
„Danke, Mr. Stonewall, das werde ich so lange tun, bis Sie es selbst wieder können“, antwortete sie und verschwand im Bad.
Kurz darauf kam sie mit einer Schüssel voll warmem Wasser zurück. Sie ging zum Schrank, um frische Wäsche zu holen.
„Finger weg von meinem Schrank! Das ist mein Eigentum!“, warnte er sie.
„Stellen Sie sich vor, ich habe mich gestern bereits an Ihrem Schrank vergriffen. Aber seien Sie unbesorgt. Ich stehle Ihnen nichts. Ich habe alles, was ich brauche. Ich bin mit dem zufrieden, was ich habe. Mein kleines Zimmer mit vier Einrichtungsgegenständen im Kloster. Und sogar die sind nur geliehen. Sie gehören nicht wirklich mir. Wozu sich mit viel Eigentum beladen. Man kann es am Ende nicht mitnehmen, denn wir gehen so, wie wir einst kamen, ohne alles. Sie werden es mir kaum glauben, aber ich habe bereits in Abstellkammern gelebt, während eines Einsatzes, weil sie kein extra Zimmer für mich erübrigen konnten. Das hier bei Ihnen ist im Gegensatz dazu direkt königlich, komfortabel. Dieses Zimmer hier nebenan ist der reinste Luxus“, berichtete sie ihm.
Unter seinen langen Augenwimpern verfolgte er alle Bewegungen der Schwester, wie bei jedem Schritt, den sie tat, ihr bodenlanges Kleid um ihren schlanken Körper schwang und wie ihre kleinen, feingliedrigen Hände ruhig die Arbeit verrichteten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht gewusst, dass dieses alte Kloster so junge, hübsche Schwestern beherbergte. Er glaubte irrtümlich immer, dass dort nur alte, runzelige und bissige Nonnen hausten.
Sie öffnete den Schrank und nahm sich Handtücher, Waschlappen und frische Wäsche für ihn heraus.
„Ich werde Sie jetzt waschen“, informierte sie ihn und krempelte ihre Ärmel hoch.
„Dürfen Sie das überhaupt als Nonne?“, erkundigte er sich leicht belustigt.
„Ich bin über achtzehn Jahre alt, habe eine Ausbildung als Krankenschwester und eine Spezialausbildung für Krebspatienten abgelegt“, erklärte sie. „Sonst noch irgendwelche Einwände?“
Da er nichts mehr erwiderte, zog sie die Bettdecke zurück und begann die Knöpfe seines Schlafanzugs zu öffnen. Sie half ihm aus dem Oberteil heraus und begann ihn schweigend zu waschen. Rechter Arm, linker Arm, Brust, Bauch und sehr vorsichtig den Rücken. Danach cremte sie die Haut wieder sorgfältig ein. Auch etwas Neues für Brandon. Als sie sich anschickte ihm seine Unterhose auszuziehen, entriss er ihr den Waschhandschuh.
„Her mit dem Lappen! Das mach’ ich schon alleine!“, grollte er mit finsterem Gesicht.
Sie braucht mein armes Würmchen nicht zu sehen, dachte er bei sich.
Die Pflegerin ließ ihn allein und zog sich in ihr Zimmer zurück. Dort hörte sie ihn ächzen und stöhnen, da er Schwierigkeiten bekam mit dem Waschlappen dorthin zu kommen, wo er hinwollte. Er versuchte anschließend seine alte Unterhose anzuziehen, doch er konnte sich weder aufsetzen, noch seine gefühllosen Beine anziehen. Er fluchte immer lauter vor sich hin, bis er schließlich kapitulierte.
„Schwester? Können Sie mir bitte helfen?“, rief er dann doch nach einer halben Stunde nach ihr. Vorsichtshalber legte er das Handtuch über seinen entblößten Unterleib.
Sogleich stand sie neben seinem Bett und half ihm schweigend aus der alten Hose und anschließend in die frische Unterhose und entfernte das Handtuch. Sie legte es sich über den Arm und schmunzelte.
„Sie brauchen sich gar nicht genieren vor mir. Ich habe nämlich schon viele Männer von Kopf bis Fuß gewaschen. Mir ist absolut nichts fremd an Ihnen.“
Damit schickte sie sich an die Waschutensilien wegzuräumen. Als sie zurückkam, lag er da mit geschlossenen Augen. Ihn hielt eine unendliche Müdigkeit gefangen. Kein Wunder nach dieser anstrengenden Arbeit. Christin zog die Bettdecke über ihn und gönnte ihm erst einmal etwas Ruhe. Er verwendete heute zum ersten Mal das Wort „Bitte.“ Christin dachte schon, dass so ein Wort in seinem Sprachvokabular gar nicht vorkam.
Im Laufe des Vormittags bekam Brandon Durst und zwar verlangte es ihn nach einem Whiskey.
Dass er ein Alkoholproblem hatte, wusste die Nonne.
Christin schenkte ihm ein halbes Glas ein und vermischte es mit Wasser. Nach dem ersten Schluck spie er alles zurück ins Glas.
„Pfui Teufel! Können Sie mir nicht einen ordentlichen Whiskey geben, statt so ein Wassergepansche?“, beschwerte er sich und ließ das Glas samt Inhalt angewidert auf den Boden fallen.
Sie jedoch machte sich nichts daraus.
Schade, dachte sie. Er hat den Unterschied geschmeckt. Sie schenkte ihm ein neues Glas Whiskey ein, nur dass sie noch fünf Tropfen einer wässerigen, pflanzlichen Substanz hinzufügte, die durch keinerlei Geschmack auffiel, dafür aber große Wirkung zeigte.
Brandon trank das Glas in einem Zug aus. Es dauerte eine knappe viertel Stunde und er rief nach seiner Pflegerin. Er krümmte sich vor Bauchschmerzen und dazu wurde ihm furchtbar übel. Christin brachte vorsichtshalber gleich den Eimer mit und da passierte es auch gleich: ihr Patient musste sich übergeben und das nicht nur einmal, nein fünfmal, bis nur noch der reine Magensaft kam. Danach legte er sich erschöpft von der Seite zurück auf den Rücken.
„Schwester, ich glaube, jetzt könnte ich noch ein Glas davon gebrauchen“, bat er und japste nach Luft.
Christin tat, wie ihr geheißen, und mischte ihm die gleiche Portion Tropfen bei wie zuvor. Kurze Zeit später übergab er sich aufs Neue.
„Ich glaube, der Whiskey verträgt sich nicht mit Ihren Medikamenten“, erwähnte sie in ganz ruhigem Ton und völlig unschuldig. Dabei runzelte sie die Stirn.
„Quatsch, vorher hat sich auch alles miteinander vertragen“, widersprach er.
„Das kann sich später auch erst entwickeln“, antwortete sie ungerührt.
„Na ja, vielleicht haben Sie ja doch Recht“, gab er nachträglich zu.
Er zitterte am ganzen Körper. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, die ihm seine Pflegerin mit einem warmen, feuchten Tuch abwischte.
„Ich lasse Ihnen die Whiskey-Flasche hier, falls Sie doch noch mal einen trinken