Verfallen & Vergessen. Georg Lux

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Verfallen & Vergessen - Georg Lux

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       CAVE DEL PREDIL

       U-BAHN IN DEN KRIEG

      Tief unter dem Predilpass verbindet ein fünf Kilometer langer Stollen Italien und Slowenien. Gebaut und als geheime unterirdische Verkehrsverbindung genutzt haben ihn aber einst Österreicher.

      Neubauten sucht man in Cave del Predil vergeblich. Das Straßenbild prägen Industrieruinen und Wohnhäuser, die unübersehbar in die Jahre gekommen sind. Viele stehen leer. Noch mehr stehen zum Verkauf. Der Ort im Val del Rio del Lago (ursprünglich: Seebachtal) südlich von Tarvis ist, höflich formuliert, das Gegenteil von urban. Und doch hat es in Cave del Predil einst eine Art U-Bahn gegeben.

      Wie Aufstieg und Fall des Dorfes hat dieser Umstand mit dem Bergbau zu tun, der nachweislich seit dem 14. Jahrhundert in der Gegend betrieben wurde. Bis das Gebiet zusammen mit dem Kanaltal 1918 Italien zugesprochen wurde, hieß die Siedlung Raibl. Unbestätigten Überlieferungen zufolge hat man sie nach einem der ersten hier tätigen Mineraliensucher, einem gewissen Herrn Rabl, benannt. Tatsache ist, dass er und seine „Nachfolger“ in den Stollen, die sie ins Gestein trieben, haufenweise fündig wurden. Raibl zählte rasch zu den bedeutendsten Bleibergwerken im gesamten Alpenraum.

       Unterwegs in alten Stollen

       Maschinenraum in der Tiefe des Bergwerks

      1905 nahm man ein ehrgeiziges Projekt in Angriff. Zur Entwässerung der tiefsten Gruben wurde der 5 Kilometer lange Kaiser-Franz-Josef-Hilfsstollen gebaut. Er unterquerte, ausgehend vom Bergwerk in Raibl, den 1156 Meter hohen Predilpass und endete in Unterbreth, das heute Log pod Mangartom heißt und in Slowenien liegt. Ab 1915 wurde diese unterirdische Verbindung zu einer Hauptverkehrsader des Ersten Weltkriegs. Die Österreicher erweiterten den Stollen, verlegten Schienen und setzten eine elektrische (U-)Bahn drauf. Fast 600 000 Soldaten der kaiserlichen Armee brachte man auf diesem Weg bis einschließlich 1917 von Raibl auf die andere Bergseite, die an die heftig umkämpfte Isonzofront grenzte.

      1918 begann die zivile Nutzung des Stollens. Im nun italienischen Bergwerk arbeiteten Dutzende Männer aus dem nun jugoslawischen Log pod Mangartom. Sie kurvten natürlich nicht über den Pass nach Cave del Predil, sondern fuhren einfach mit der betriebseigenen U-Bahn unten durch. Auch ihre Ehefrauen und Kinder nutzten die Verbindung, wenn sie zum Beispiel den Betriebsarzt aufsuchen mussten. Und der hatte vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts ordentlich zu tun: In den 1950er-Jahren waren im Bergwerk mehr als 1 100 Menschen beschäftigt. Langsam, aber konsequent kamen dann wirtschaftliche Probleme auf. Die Mine wurde wegen der weltweit sinkenden Rohstoffpreise immer unrentabler und 1991 – trotz erbitterter Proteste der letzten 140 Beschäftigten – geschlossen.

       Im Bergwerk herrscht eine konstante Temperatur von 6 bis 8 Grad …

      Zurück blieb ein gigantisches Stollensystem. Es ist etwa 120 Kilometer lang und auf 19 Sohlen (so nennt man im Bergbau halbwegs horizontale Ebenen) mit einem enormen Höhenunterschied verteilt. Der tiefste Gang im Berg verläuft mehr als 450 Meter unter dem Ort, der höchste mehr als 480 Meter über der Talsohle. Ein vergleichsweise klitzekleiner Teil kann als Schaubergwerk im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Das schafft jeder. Mario und Tiziano, unsere Freunde aus dem Kanaltal, haben deshalb eine Gruppe ehemaliger Bergarbeiter organisiert, die uns abseits der „öffentlichen“ Pfade durch das unterirdische Labyrinth führen soll.

       … bei einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit.

      Der legendäre Kaiser-Franz-Josef-Hilfsstollen steht allerdings nicht auf dem Programm. Er kann zwar bis Log pod Mangartom problemlos begangen werden (U-Bahn fährt natürlich keine mehr), allerdings ist dafür eine eigene, pro Kopf 700 Euro teure Versicherung notwendig. Wir fragen nicht genauer nach und begnügen uns mit der Begründung unserer italienischen Freunde, die allein aufgrund ihrer Herkunft frei von Vorurteilen sein sollten: „Typisch italienisch!“ Dasselbe bekommen wir ein paar Minuten später zu hören. Dem Fotografen ist aufgefallen, dass in den feuchten Stollen alle 100 bis 150 Meter ein Feuerlöscher hängt. „Es tropft aus allen Ecken. Was soll denn da brennen?“, fragt er fröhlich. Unsere Guides antworten: „Die Feuerlöscher sind Vorschrift.“ Nachsatz: „Typisch italienisch!“

      Man führt uns in eine Sackgasse. Der Stollen geht zwar weiter, ist aber durch ein Gitter versperrt. Und das nicht aus bloßen Versicherungs-, sondern aus echten Sicherheitsgründen. Der Gang führt in einen Teil der Grube, der nach routinemäßigen Sprengungen am 8. Jänner 1910 eingestürzt ist. Mit fatalen Folgen: Der dadurch entstandene Krater „verschluckte“ das Krankenhaus von Raibl. Von den 8 Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt im Gebäude befanden, überlebte die Katastrophe nur der damals 14-jährige Schlosserlehrling Ernst Bierkopf. Er berichtete später von einem sonderbaren Knistern und Ächzen. „Ich drehte mich um und sah, wie sich der Verputz über dem Herd löste. Im nächsten Moment krachte es ohrenbetäubend und vor meinen Augen spaltete sich die Mauer so weit, dass man hätte hindurchgehen können“, wird Bierkopf in einem Zeitungsbericht zitiert.

       In diesem unterirdischen Raum waren Sprengstoff und Zünder gelagert. Um sie trocken zu halten, wurde er mit Holz ausgekleidet.

       Ein Denkmal in Cave del Predil erinnert an die Opfer des Unglücks von 1910.

       Gespenstisch einsame Montur in der Kleiderkaue

      Wir verlassen die Mine. Die alten Bergmänner führen uns in ihr Vereinslokal, das gleichzeitig ein kleines Museum ist. Es befindet sich in einem ehemaligen Betriebsgebäude. Hier haben sich die Arbeiter früher umgezogen. Raus aus dem Alltag, rein in die wasserabweisende und nie restlos saubere Spezialkleidung. Zum Trocknen kam sie nach jeder Schicht in die sogenannte Kleiderkaue, einen platzsparenden, an der Decke hängenden Riesenschrank. Über unseren Köpfen baumelt gespenstisch eine einsame Montur. Keine teure Kunstinstallation könnte den Niedergang von Cave del Predil treffender und beklemmender symbolisieren.

      1968 lebten 2 100 Menschen im Ort. Heute sind es noch knapp 400. Touristen kennen den Lost Place, wenn überhaupt, nur von der Durchreise. Sie zieht es zum idyllischen Raibler See (Lago del Predil) oder auf den Predilpass. Die alten Bergmänner haben sich damit abgefunden. Von ihrer U-Bahn träumen sie schon lange nicht mehr. Ihnen würde ein Reisebus genügen, der vor dem kleinen Schaubergwerk hält.

       AM RANDE

      Direkt an der Straße über den Predilpass (SS54) befindet sich unmittelbar vor der Grenze auf italienischer Seite ein

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