Das Leben ist ein Ponyhof. Anja Lerz
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Читать онлайн книгу Das Leben ist ein Ponyhof - Anja Lerz страница 3
Obwohl ich damals immer noch kein Experte bei Tieren war, ahnte ich: Sobald ich die Katze ins Haus lasse, haben wir verloren. So schlug ich ihr schweren Herzens erst einmal die Tür vor der Nase zu. Als die Kinder jeweils aus der Schule kamen, zog das Tier seine Schmeichelnummer nach und nach noch einmal durch. Und ein letztes Mal am Abend, als der Gatte von der Arbeit kam. Dann hatte Elvis gewonnen, und wir ließen ihn immerhin schon mal in die Diele. Am nächsten Morgen bin ich dann gleich zum Tierarzt. Alles war in Ordnung, die Katze ein kastrierter Kater, und ich kaufte die Entwurmungskur. Außerdem ein Katzenklo. Weitere zwei Tage später hatte unsere Hintertür dann eine Katzenklappe. Wir hatten instinktiv gespürt, dass unser Zulauf ein Freigänger war. Und tatsächlich benutze Elvis das Katzenklo höchst selten. Seine Geschäfte erledigte er hauptsächlich auf seinen nächtlichen Streifzügen.
Tagsüber liebte er unsere Nähe. Und er liebte es, abends mit mir auf dem Sofa zu kuscheln. Und ich liebte das auch.
So schmusig Elvis tagsüber veranlagt war, so kämpferisch war der kleine Kerl nachts unterwegs. Er hat unser Grundstück höchst energisch gegen jeden Katzeneindringling aus der Nachbarschaft verteidigt. Über ein Jahr lang gab es keinen Katzenkot auf unserer Wiese. Immer wieder kam Elvis allerdings auch mit Blessuren und oberflächlichen Wunden nach Hause. Die präsentierte er stolz wie ein Ritter der Tafelrunde. Und entsprechend habe ich meinen „Lanzelot“ gewürdigt, gesalbt und gepflegt.
Ein gutes Jahr, nachdem Elvis bei uns eingezogen war, begann das Elend. Immer öfter erbrach er sich – wohlerzogen, wie er von irgendwem war – in sein Katzenklo. Er wurde zusehends dünner. Die tierärztliche Diagnose war niederschmetternd: Inoperabler Tumor, der den Magen abschnürt. Deshalb also hatten wir anfangs gedacht, Elvis sei eine trächtige Katze. Der Tumor war schon da gewesen, hatte ihn aber noch nicht beeinträchtigt. Nun begann Elvis sich zu quälen.
„Je eher Sie ihn einschläfern lassen, desto weniger muss er leiden“, sagte die Tierärztin.
Und ich beschloss, dass mein Abschiedsschmerz weniger wiegt als die Qual meines Freundes. Ich handhabte den Abschied anders als mein Paps vor vielen Jahren und gab den Kindern einen Tag, um ganz bewusst Abschied zu nehmen. Dann war es an mir, diesen schrecklichen Gang mit Elvis in seinem Katzenkörbchen anzutreten. Still und ergeben lag er auf dem Untersuchungstisch der Praxis. Ich hielt seinen Kopf, als er die Beruhigungsspritze bekam, kraulte seinen Nacken – und er schnurrte dabei wohlig wie immer. Schläfrig leckte er mit seiner rauen Zunge über meine Hand. Dann bekam er die Todesspritze, und schnell und schmerzlos war alles vorbei. Ich konnte sofort sehen, dass Elvis uns verlassen hatte und da nur noch eine Hülle auf dem Tisch lag. Den Kadaver habe ich nicht mehr mit nach Hause genommen. Ich wollte, dass alle den lebendigen Elvis in Erinnerung behalten. Die ersten Wochen ohne ihn waren schwer. Wir erwarteten tagsüber ständig, dass unser Freund auf leisen Pfoten um die Ecke kam, um uns freudig zu begrüßen.
Dafür, dass wir nie Haustiere haben wollten, trauerten mein Mann und ich sehr intensiv um Elvis. Dabei war er nur ein gutes Jahr bei uns gewesen! Erstaunlich, wie schnell man sich an einen liebenswerten Hausgenossen gewöhnen kann! Und plötzlich konnte ich auch den Dichter Erich Fried besser verstehen. Von bittersüßen Liebeserfahrungen mit Männern bin ich ja verschont geblieben. Deshalb konnte ich so manches Liebesgedicht zwar schön finden, aber nicht unbedingt nachvollziehen. Dank Elvis wurden diese Zeilen plötzlich für mich lebendig:
„Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich gar nicht getroffen hätte. Weniger Trauer …., wenn wir uns trennen müssen … Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Es wäre nur nicht mein Leben.“
Aber selbst Kesha und Kira, Maxi und das weiße Kaninchen, das nicht lange genug lebte, um von uns einen passenden Namen zu bekommen, haben mich viel über das Leben gelehrt. Vor allem, dass Gott sich etwas dabei denkt, wenn er uns „zwangsbeglückt“ – also mit Unerbetenem und Ungewolltem beschenkt. Durch diese Tiere habe ich trainiert, Verantwortung zu übernehmen, die ich gar nicht gesucht habe. Deshalb kann ich heute gut für Menschen da sein, die ich mir auch nicht ausgesucht habe. Gott weiß schon, welche Leute er zusammenbringt!
Außerdem ist mir deutlich geworden, dass manchmal Dichter und Denker Sätze formulieren, die so voller Weisheit sind, dass sie genauso in der Bibel stehen könnten. Manchmal benutzt Gott auch eine nichtfromme Weise, um Wahrheiten unter das Volk zu streuen!
Der Pudel, der Kater, die Kaninchen und Vögel, die ungebeten in mein Leben gekommen sind, haben mir gezeigt, wie wahr diese berühmte Aussage in Der kleine Prinz ist: „Du bist ein Leben lang verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast.“
Allerdings spitze ich den Satz nach meinen Erfahrungen noch mal so zu: „Du bist ein Leben lang verantwortlich für die, mit denen du vertraut gemacht wurdest.“
Und ich möchte gerne hinzufügen, dass so eine „Zwangsverantwortung“ auch immer beglückende Erfahrungen im Gepäck hatte. Wie schön ist das heute, mit den erwachsenen Kindern Familienanekdoten auszutauschen! Zu den „Weißt du noch?“ gehören auch die ungebetenen Hausgenossen Maxi, Kesha, Kira und Elvis. Wir kichern dann über den „Methusalem-Hasen“ oder den „russischen Psycho-Vogel“. Und ich stelle mir gerne vor, Oma zu sein und die Familientiergeschichten einem staunenden Enkelpublikum farbenprächtig ausgeschmückt zu präsentieren. Ganz in der Tradition meines Papas. Der von Tieren zwar wenig Ahnung hatte, aber wunderbare Geschichten über sie erzählen konnte.
„ICH … chrrrrrr … BIN … chhhrrrrrrr … DEINE … chhhrrrrrrrrr … KATZE!“
Christiane Müller
„Auuuua!!!!“
Ich erwache, jäh aus den Träumen gerissen, mit einem grellen Schmerzensschrei, völlig desorientiert im Dunkeln. Mein rechter Fuß steht in Flammen. Sekundenbruchteile später weiß ich jedoch zum Glück, wer und wo ich bin. Die Leuchtzifferanzeige des Radioweckers zeigt 5 : 47 Uhr. Heute ist Samstag. Ich befinde mich im Schlafzimmer des Pfarrhauses der Lutherkirche zu Lauerstadt an der Laber. Ich bin seit knapp einem Jahr die Pfarrerin dieser Gemeinde. Und Jessy, meine völlig bescheuerte rotbraune Tigerkatze, hat soeben im frühmorgendlichen Jagd-und Spieltrieb meinen rechten Fuß attackiert. Wahrscheinlich habe ich mich im Halbschlaf geräkelt. Dabei hat sich meine große Zehe unvorsichtigerweise unter der Bettdecke hervorgeschoben. Und dann gab es für Jessy kein Halten mehr. Was sich im Dunkeln bewegt, wird attackiert! Auf ihn mit Gebrüll! Wo ist die Übeltäterin jetzt? Vermutlich unterm Bett. Ich beuge mich vorsichtig über die Kante und luge darunter. Ein grünes Augenpaar leuchtet mir entgegen.
„Doofes Vieh!“, knurre ich heiser.
Noch leicht benommen, stehe ich leise fluchend (der Herr möge mir verzeihen) auf, humple ins Badezimmer und betrachte die Misere. Vier feine blutige Striemen zieren meinen Fußrücken. Es könnte schlimmer sein. Ich streiche etwas Wundsalbe darauf, lege mich wieder hin und döse ein wenig ein.
Doch bald hat es mit der Ruhe ein Ende.
„Chrrr …“ macht es unter dem Bett. Ein kehliger, asthmatischer Laut.
Und dann noch einmal etwas lauter: „Chrrr …“
Es klingt wie Darth Vader vor dem ultimativen Showdown: „Chrrrrrrr … ICH … chrrrrrr …