Das Leben ist ein Ponyhof. Anja Lerz

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Das Leben ist ein Ponyhof - Anja Lerz

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der Wahnsinn sich Bahn. Meine Katze heißt eigentlich Jessy. In Momenten wie diesem nenne ich sie Lady Gaga. Gaga im Sinne von total bekloppt.

      Wie eine wild gewordene Hummel fegt sie miauend durchs Haus, rast treppauf, treppab, rauf auf den Kleiderschrank, runter vom Kleiderschrank, einmal quer durch die Küche, rauf auf den Küchentisch, haarscharf am Rotwein vorbei, runter vom Küchentisch, mit irrem Blick unterm Sofa durch. Es folgen ein halbes Dutzend Luftsprünge. Einfach so, mit allen Vieren gleichzeitig, aus dem Stand über einen Meter hoch. Mit einem Riesensatz wirft sie sich schließlich auf den Flickenteppich in der Diele und schlittert damit drei Meter übers Parkett, bevor die geschlossene Schlafzimmertür ihren wilden Ritt zum Stoppen bringt. Die verrückten fünf Minuten enden genauso abrupt, wie sie begonnen haben. Wie aus einer Trance erwacht, sieht sie sich blinzelnd um. Ganz erstaunt, als könne sie selbst nicht fassen, was da eben mit ihr passiert ist. Schüttelt nacheinander alle vier Pfoten kurz aus, springt auf den Laserdrucker im Arbeitszimmer, rollt sich zusammen und schläft ein. Manchmal bin ich fest überzeugt: Meine Katze spinnt. Aber angeblich haben alle Katzen ab und zu diese Anfälle von Raserei. Nur nicht jeden Tag, so wie meine.

      Von dem Schreck muss ich mich erstmal erholen. Meine Hände hat es leider ziemlich erwischt. Ich mache mir noch einen Tee, setze mich aufs Sofa und telefoniere mit meiner Mutter in München.

      „Na“, will sie wissen, „was macht dein Kind?“

      „Naja, ganz so ist es ja nicht. Jessy ist immer noch meine Katze. Und nicht mein Kind. Und manchmal kann sie einfach tierisch nerven.“ Ich erzähle von der Attacke am Schreibtisch.

      „Ich weiß ja, dass sie nur spielen will. Aber ich habe nun mal kein dickes Katzenfell. Manchmal würde ich sie echt am liebsten verwursten!“

      Meine Mutter lacht.

      „Komm, tu doch nicht so. Wenn du die nicht hättest, würdest du aber ganz schön alt aussehen, so allein in diesem Riesenhaus in deinem Käsenest da oben!“

      Und im Stillen muss ich ihr Recht geben.

      Als Pfarrerin in den ersten Amtsjahren konnte ich mir meinen Einsatzort leider nicht aussuchen und landete ganz im Norden von Bayern. Und meine wenigen Möbel, die eine Zwei-Zimmer-Wohnung in München-Englschalking gut gefüllt hatten, wirkten auf den 135 Quadratmetern des Pfarrhauses genauso verloren, wie ich mich fühlte.

      Die einzige Konstante war Jessy. Mein Seelenzwilling im Katzenfell. Gemeinsam haben wir unser neues Revier erobert. Und während ich langsam von der Theologiestudentin zur gestandenen Pfarrerin mutierte, wurde aus dem zahmen Stubentiger eine halbwilde Freigängerin, die jetzt lebendige Beute mit nach Hause bringt, obwohl sie vorher nur Stoffmäuse gejagt hatte.

      Außerdem wurde sie für jedermann am Ort zur Pfarrkatze. Sonntags folgt sie mir bis zur Kirchentür. Dort wartet sie, bis der Gottesdienst vorbei ist, und nimmt anschließend die Huldigungen meiner Gemeindeglieder gnädig entgegen, die ihr ab und zu eine Kleinigkeit zustecken, zum Beispiel eine Kieler Sprotte oder ein Katzenleckerli.

      Einmal jedoch ist es ihr gelungen, hinter mir in die Kirche zu schlüpfen. Diese Predigt war im wahrsten Sinne des Wortes für die Katz. Kein Mensch kann sich auf eine Predigt konzentrieren, während eine braune Tigerkatze mit geschäftiger Miene im Altarraum hin und her läuft und neugierig jeden Winkel erkundet.

      Als liebsten Schlafplatz hat sie sich inzwischen meinen Talarkoffer erkiest, der innen wie außen liebevoll eingehaart wird. Auf Schwarz machen sich rotbraune Katzenhaare ganz wunderbar. Ich besitze zwar inzwischen drei Fusselrollen, die auch eifrig zum Einsatz kommen, aber die Katzenhaare sind einfach überall: In der Wohnung, auf meinen Kleidern, auf dem Talar, in meiner Beerdigungsagende, sogar am Aufgang zur Kanzel, weil sie sich da immer mit besonderer Hingabe reibt.

      Im Konfirmandenunterricht will ich am Dienstag das Thema Schöpfung behandeln. Jessy liegt immer noch anmutig zusammengerollt auf dem Laserdrucker. Ein Bild völliger Entspannung. Ich lächle und fahre den Laptop wieder hoch.

      „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“, steht in den Psalmen.

      Heiter und gelassen, trotz brennender Hände, mache ich mich an meinen Unterrichtsentwurf. Ich werde die Konfirmanden wohl von ihren Haustieren erzählen lassen. Und leite dann über zum Lob des Schöpfers bei Franz von Assisi.

      Inzwischen ist es Zeit für das Abendessen. Schwester Katze hat das Nickerchen auf dem Laserdrucker beendet. Sobald ich mich in der Küche zu schaffen mache, steht sie auf der Matte. Jedes Mal.

      „Jessy, das ist Menschenfutter. Kein Katzenfutter. Dein Napf ist noch halbvoll.“

      „Mau.“

      „Ach, du arme, arme Mieze! Den ganzen Tag noch nichts gefressen. Dein böses Frauchen lässt dich bei lebendigem Leibe verhungern. Was für eine Gemeinheit.“

      „Mau.“

      „Also gut. Aber nur aus reiner Gnade!“

      Ich werfe ihr also ein Stück Hühnchen hin, das – chrrr … – sofort dankbar verschlungen wird.

      Es ist dunkel geworden. Ich schließe die Terrassentür und lasse die Jalousien herunter. Überflüssig zu erwähnen, dass Lady Gaga trotz später Stunde alsbald wieder an der Tür kratzt und raus will. Und dann wieder rein. Und wieder raus. So wird es gehen bis zum Jüngsten Tag. Katzen sind immer auf der falschen Seite der Tür.

      Ich mache es mir gemütlich, zünde eine Kerze an, lege die Brandenburgischen Konzerte von Bach auf und setze mich mit einem guten Buch und einem Glas Rotwein aufs Sofa. Morgen ist Gottesdienst, gut, den Tag besinnlich ausklingen zu lassen.

      Schrapp, schrapp, schrapp.

      Ich stehe auf, das offene Buch in der Hand, und öffne lesend die Terrassentür. Katze rein. Gefühlt zum 97. Mal am heutigen Tag. Sie springt aufs Sofa, putzt sich und kratzt sich dann lange und hingebungsvoll hinterm Ohr. Dann setzt sie sich ganz aufrecht hin und legt den Schwanz in einem ordentlichen Kringel um sich herum. Sie schaut mir direkt in die Augen und blinzelt ganz langsam. Ich lege das Buch zur Seite, schaue ihr meinerseits tief in die Augen und blinzle zurück. Das Blinzeln ist das Lächeln der Katze. Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie viel Intensität im Blick einer Katze liegt. Einem Menschen freundlich und direkt in die Augen schauen, das macht, soweit ich weiß, kein anderes Tier.

      So langsam erreiche ich Bettschwere. Ich bestücke eine Lebend-Mausefalle, die ich extra für solche Anlässe gekauft habe, mit zwei Rosinen aus meinem Müsli und stelle sie neben das Sideboard. Morgen werde ich die Wühlmaus auf freien Fuß setzen. Heute Nacht ist sie sicher, vorausgesetzt, sie geht in die Falle. Jessy beobachtet diese Aktion höchst interessiert. Dass Mäuse in diese Fallen gehen, weiß sie. Wie man so eine Falle öffnet und an den Inhalt kommt, zum Glück nicht.

      Der Prophet Jesaja prophezeit ja, dass eines Tages im Reich Gottes die Löwen bei den Lämmern liegen und Kalb und Bärenjunges friedlich nebeneinander weiden werden. Wie das wohl für Katz und Maus ausgehen wird? Vielleicht gibt’s im Neuen Jerusalem Plantagen, auf denen vegetarische Mäuse angebaut werden? Karottenmäuse oder Kohlrabimäuse?

      Ich spreche mein Abendgebet und gehe ins Bett. Und ja, ich gebe es zu: Ich bete nicht nur jeden Abend für die Nöte dieser Welt, sondern auch darum, dass Gott mir meinen Stubentiger noch möglichst lange erhält. Denn ohne ihn sähe ich wirklich ganz schön alt aus in diesem Käsenest und allein in diesem riesigen Pfarrhaus.

      Ich knipse das Licht aus. Dann schlage ich meine Bettdecke sorgfältig um meine Füße, bevor ich sanft ins Reich

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