Arbeiten wie noch nie!?. Группа авторов

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Trotzdem bleibt der Einfluss der neoklassischen Theorien auf die Wirtschaftspolitik und die Realwirtschaft bis heute dominant, auch wenn Marxisten und jüngere Strömungen gegen die Neoklassik anschreiben und versuchen die blinden Flecken aufzuzeigen – z. B. unbezahlte Reproduktionsarbeit und herrschaftliche Geschlechterverhältnisse (Feminismus), globale Arbeitsteilung und hierarchische Machtverhältnisse (Globalisierungskritik; Regulationstheorie) oder Raubbau und wachsende Umweltprobleme (Nachhaltigkeitsforschung, Umweltaktivismus) – oder wenn sich die Politiker in der akuten Krise teilweise wieder auf Keynes rückbesinnen und Konjunkturpakete für »grüne« und herkömmliche Technologiebranchen schnüren (z. B. erneuerbare Energien, öffentlicher Verkehr).

      Resümee: Arbeitsverhältnisse sind Gesellschaftsverhältnisse

      Wir haben gezeigt, dass Arbeitslosigkeit und Armut systemimmanente Bestandteile einer kapitalistischen Ökonomie und Gesellschaft sind. Sie können weder von neoklassischen noch von keynesianischen Reformansätzen gelöst werden. Vielmehr nehmen sie ein Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung in Kauf bzw. finden aus ihrer Logik heraus für uns unbefriedigende Antworten, die zu keinen sozial- und umweltverträglichen Lösungen führen. Die Neoklassiker leugnen »unfreiwillige Arbeitslosigkeit« schlechthin ab und werben für eine Freiheit mit einer nicht einlösbaren Chancengleichheit – durch Individualisierung und Flexibilisierung sollen wir zur Selbstverwirklichung gelangen. Modelle keynesianischer Tradition sind nur auf den ersten Blick beruhigender – zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit wird eine Arbeitslosenversicherung eingerichtet oder ein Grundeinkommen überlegt; es geht um ein Sockeleinkommen, damit niemand unter die Armutsgrenze rutschen muss. Eine tiefere Bestimmung bietet man den für die Produktion »Überflüssigen« aber nicht an. Stattdessen animiert man sie, sich weiter zu qualifizieren. Die Frage ist aber, wohin qualifizieren, wenn die entsprechenden Arbeitsplätze fehlen (Arbeitsplatzlücke) und Überproduktion keinen Sinn ergibt? Es erhärtet sich also der Verdacht, dass es nur darum geht den Schein zu wahren. In diesem Zynismus begründet sich das oben beschriebene allgemeine Unbehagen und die zunehmende Wut vieler Menschen7.

      Vollbeschäftigung kann es in der kapitalistischen Produktionsweise nicht geben, Selbstregulationsfähigkeit des Marktes ist ein uneinlösbarer Mythos. Das Wachstumsdogma verstellt die Einsicht, dass Ungleichheit ein Instabilitätsfaktor ist, der nicht durch mehr vom Gleichen – nicht durch noch mehr Markt, nicht durch noch mehr Staat – ausgemerzt werden kann. Daher wird die Theorie für den Wandel der Arbeitswelt auch nicht aus einer rein wirtschaftstheoretischen Perspektive geschrieben werden können, weil sie sonst einem Zirkelschluss aufsitzt. Dementsprechend können wir sie auch nicht mit ihren eigenen Waffen schlagen. Wenn wir der Problemlage theoretisch gerecht werden wollen, muss uns eine interdisziplinäre Zusammenarbeit gelingen. Manche Phänomene lassen sich mathematisch beschreiben (z. B. Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern), andere nicht (z. B. Rollenzuschreibung zur Rechtfertigung der Unterschiede oder überhaupt die strukturerhaltende Funktion unbezahlter Frauenarbeit im Haushalt für die kapitalistische Produktion und Reproduktion).

      Die referierten ökonomischen Theorien tun so, als seien alle Wirtschaftssubjekte gleich stark. Holt man jedoch Macht als Analysekriterium herein, werden unterschiedliche Diskriminierungen (von Erwerbslosen, Frauen, Migranten, Menschen im globalen Süden) sichtbar, ohne die der Kapitalismus nicht funktionieren würde. Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaftsordnung bedingen sich gegenseitig. Ausgehend vom Feudalismus war dies ein relevanter Fortschritt und ein gewisser Akt der Befreiung aus Leibeigenschaft, Pachtwesen und anderen Formen unfreier Arbeit. Die alte Unfreiheit wurde jedoch gegen eine neue, diffizilere eingetauscht: Unsere Gegenüber sind anonyme Kapitalisten mit Machtkonzentrationen wie es sie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gab.

      Wir gehen davon aus, dass Menschen ihrem Wesen nach produktiv füreinander tätig sein wollen. Das können sie im herrschenden System aber nicht entfalten, weil sie der Gewinnmaximierung unterworfen sind. Daher stellt sich die zentrale Frage, welches System unseren menschlichen Bedürfnissen entspricht und nicht, wie wir dem System entsprechen können. »Es geht darum, den Zweck der Tätigkeit und das Maß der Verausgabung in ein Verhältnis zueinander zu bringen, dass fremdbestimmte Über- und Unterordnung der spannungsgeladenen Dimensionen von Tätigkeiten ausgeschlossen werden. Die Emanzipation der Menschen liegt demnach in der entwickelnden Verausgabung von Kraft zum gemeinschaftlich bestimmten Zweck« (Haug 2009). Daher kann es nicht darum gehen, die »Normalarbeitsverhältnisse« der Nachkriegsära zurück zu wünschen. Abgesehen davon, dass die Voraussetzungen historisch einmalig und damit nicht wiederholbar sind (z. B. Wiederaufbau), ist es wegen seiner emanzipatorischen Defizite und seines zerstörerischen Potenzials für Umwelt und Menschen nicht als idealtypisches Modell anzustreben.

      Ungelöst ist allerdings das Paradoxon, dass solange die kapitalistische Produktionsweise weiter existiert, die Integration in den Arbeitsmarkt gesellschaftliche Teilhabe und Emanzipation bedeutet. Daher kann man leicht dem trügerischen Schluss aufsitzen, dass die Umformung von unbezahlter Hausarbeit in Lohnarbeit ein Fortschritt sei und dabei übersehen, dass es nur eine Besserstellung im bürgerlich-kapitalistischen System wäre, nicht aber eine Emanzipation daraus. Es ist also die Frage aufgeworfen, welche Produkte und Dienste wir brauchen bzw. was wachsen soll – und wovon wir besser ablassen. Danach stellt sich die Frage, wie produziert werden soll – was wir weiterhin marktförmig herstellen oder dem Markt wieder entziehen wollen (de-kommodifizieren). Ferner geht es um die Frage, wie wir den Wohlstand verteilen wollen und gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung bestmöglich garantieren können. Kurz: Wie können wir gesellschaftliche Spaltungen vermeiden? In den Produktionsverhältnissen steckt ein Schlüssel dafür.

      Literatur

      Bontrup, Heinz-Josef (2008): Lohn und Gewinn: Volks- und betriebswirtschaftliche Grund­züge, 2. Aufl., München/Wien

      Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und »Klassen«. Leçon sur leçon, Frankfurt/M

      ders. (Hg.; 1997): Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz

      Bude, Heinz (2008): Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, München

      Guger, Alois u. Markus Materbauer (2007): Die langfristige Entwicklung der Einkommens­verteilung in Österreich, WIFO Working Papers, 307, Wien

      Haug, Frigga (2009): Arbeitsbegriff bei Marx, vgl. Stichwort Arbeit, in: Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus, Bd. 1, Hamburg 1994, S. 401–422 (Auszuge auf: http://www.vier-in-einem.de/forum/topic.php?id=4, 28.8.2010)

      Haug, Wolfgang Fritz (Hg.; 1994ff): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Hamburg (Zit. HKWM)

      Kromphardt, Jürgen (2004): Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, 4. Aufl., Göt­tingen

      Malli, Gerlinde (2005): Alltagsbefindlichkeiten, in: Andreas Exner, Judith Sauer u. Pia Lichtblau et al. (Hg.): Losarbeiten – Arbeitslos? Globalisierungskritik und die Krise der Arbeitsgesellschaft, Münster, 96–105

      Marx, Karl u. Friedrich Engels: Das Kommunistische Manifest, MEW 4

      Statistik Austria (2010): Arbeitslose und Arbeitssuchende 2009, Wien (http://www.statistik.at/web_de/statistiken/arbeitsmarkt/arbeitslose_arbeitssuchende/index.html, 25.8.2010)

      Stichwort »industrielle Reservearmee«, in: HKWM 6/II

      Stichwörter»Kapitalismus«, »Kapitalismusentstehung« und »kapitalistische Produktions­weise«, in: HKWM 7/I

      Wolf, Winfried

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