Arbeiten wie noch nie!?. Группа авторов
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Die hier herausgegriffenen Indikatoren – Bruttoinlandsprodukt (BIP), Lohnquote und Arbeitslosigkeit – sind auch generell Gradmesser für Wirtschaftskrisen. In Anbetracht der zahlenmäßigen Entwicklung ist man sich einig, dass wir spätestens seit 2009 eine Rezession haben – also kein Wachstum, sondern rückläufige Bruttoinlandsprodukte. Ferner ist man sich über den Auslöser weitgehend einig: das Platzen der Immobilienblase in den USA 2007. Die Aktienkursabstürze griffen rasch auf die globalen Finanzmärkte über und rissen die weltweit vernetzten Wirtschaften mit sich. Dann brach die Realwirtschaft (Güter- und Dienstleistungsproduktion und deren Handel) ein, Kurzarbeit und Entlassungen folgten. Wir können von einer Weltwirtschaftskrise sprechen. Bis auf die noch stark aufholenden Länder China und Indien bilanzierten alle industrialisierten Länder 2009 negativ (Wolf 2010, 25), in Island kam es sogar zu einem Staatsbankrott. Griechenland steht kurz davor.
Die Gretchenfrage lautet nun: Wie konnte es passieren, dass das Wirtschaftswachstum so rasch in eine Rezession (Schrumpfung) umschlug und das, obwohl Löhne zurückgehalten und Sozialleistungen eingespart wurden? Wurde damit nicht alles Erdenkliche unternommen? Und warum ging es so plötzlich? War die Entwicklung nicht vorhersehbar?
Was ich mit den empirischen Daten und den folgenden Theorieexkursen veranschaulichen möchte, ist, dass anscheinend gute Wirtschaftsdaten (allem voran Wachstumszahlen gemessen am BIP) nicht zwingend auf eine gesunde Volkswirtschaft schließen lassen; geschweige denn garantieren sie die Gleichverteilung des Wohlstands unter der Bevölkerung. Nun haben alle volkswirtschaftlichen Theorien das zentrale Ziel, eine Lösung für die Verteilungsfrage der Ressourcen im vorherrschenden Wirtschaftssystem, dem Kapitalismus, zu finden. Bei der Herleitung der wirtschaftstheoretischen Modelle und den daraus gefolgerten Rückschlüssen für politische Empfehlungen gehen die akademischen Meinungen aber weit auseinander. Daher möchte ich die unterschiedlichen Denkrichtungen zwar mit Auslassungen, aber komprimiert auf ihre Hauptargumente skizzieren.
Beginnen wir in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, weil damals die Grundsteine für eine neue Wirtschaftsordnung gelegt wurden. Bis dahin basierte die ökonomische Grundlage auf einer einfachen Landwirtschaft, und die in Europa vorherrschende Gesellschaftsform war der Feudalismus, eine anscheinend natürliche, gottgegebene Ordnung von adeligen Grundherren und unfreien, leibeigenen Bauern. Motor und Voraussetzung für die Befreiung aus den feudalen Verhältnissen waren das Wachstum der Städte, die Herausbildung des freien, städtischen Bürgertums, die zunehmende Bedeutung des Handwerks, der Zünfte und Manufakturen sowie der Geldwirtschaft, die wiederum Voraussetzung von Märkten war und dem Handel Auftrieb gab. Adam Smith (1723–1790) fasst als Erster die Charakteristika der neuen Ordnung zusammen, die wir heute Kapitalismus nennen4.
In seinen zentralen Schriften zur Nationalökonomik legt er nicht nur eine Beschreibung sondern auch ein normatives und bis heute prägendes Leitbild vor. Smith arbeitet die Vorteile der Arbeitsteilung für die Produktivitätssteigerung heraus und beschäftigt sich mit den Austauschverhältnissen auf freien Märkten. Er führt die Unterscheidung zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert von Waren ein und ist der Ansicht, dass sich Angebot und Nachfrage durch Gestaltung von Löhnen und Preisen das Gleichgewicht halten. Eines seiner zentralen Anliegen ist es, damit zu zeigen, dass eigennütziges Handeln von Individuen nicht zu Chaos und Anarchie führe, sondern zu Wohlstand für die ganze Gesellschaft. Weil jeder ein Interesse daran habe, seine Lage stetig zu verbessern, fördere er indirekt auch das Gemeinwohl, indem er seine Profite wieder investiert und die Gesamtproduktivität steigert. Smith begründet das »einfache System der natürlichen Freiheit« auf einem universellen Freiheitsgedanken und geht davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte intuitiv – von einer »unsichtbaren Hand« geleitet – zum Wohle aller das System im Gleichgewicht halten könnten. Damit liefert er eine verständlicherweise attraktive aber auch widersprüchliche Grundlage für die Weiterentwicklung der kapitalistischen Produktionsweise: Er weist die herrschaftlichen Privilegien und staatlichen Monopole in ihre Schranken und verschafft dem von feudalen Zwängen freien Bürgertum und dessen Privatbesitz der Produktionsmittel Legitimation. Er verschiebt den Fokus auf »freie Märkte« und marginalisiert, dass nicht alle freie Wirtschaftssubjekte und Eigentümer von Produktionsmitteln, Fabriken, Werkzeugen und Rohstoffen sind und dementsprechend Preise und Löhne nicht mitbestimmen können.
Eine erste logische Konsequenz der Verschiebung gesellschaftlicher Steuerungsmechanismen auf freie Märkte lag im Abbau von Zöllen und Zollschranken und im Ausbau des Freihandels, der eine Internationalisierung der Arbeitsteilung und eine Verschärfung des Wettbewerbs mit sich brachte. Die Durchsetzungskämpfe verliefen jedoch nicht widerspruchsfrei, und es gab Argumentationsbedarf für die Abschaffung von Handelshemmnissen wie z. B. von Schutzzöllen. Aufbauend auf Smith arbeitet David Ricardo (1772–1823) die komparativen Kostenvorteile heraus, nach der die relativen Kosten der produzierten Güter im Austausch mit anderen Ländern wichtiger sind als die absoluten Produktionskosten; seine Außenhandelstheorie besagt, dass jedes Land profitiere, wenn es seinen Güterertrag bestmöglich steigere, indem es die Lohnkosten niedrig halte und die restlichen Güter über den Austausch beziehe. John Stuart Mill (1806–1873) übernimmt ebenfalls viele Grundgedanken von Smith und schreibt mit »Principles of Political Economy« (1848) das für den klassischen Liberalismus unumstrittene Standardwerk. Mill präzisiert die Freiheit des Individuums. Er unterscheidet nicht zwischen formal unterstellter und materiell ausgestatteter Freiheit, spricht sich jedoch für ein allgemeines Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln aus, weil »jeder« Mensch einen Anspruch auf den Ertrag seiner Arbeit und Sparsamkeit haben solle und in der Verwertbarkeit seiner Leistungen auch sein Ansporn läge. Mit der Rechtfertigung, Eigentum rechtmäßig vererben zu können und in der Darstellung von Eigentum als Mittel zum Zweck der gesellschaftlichen Wohlstandsproduktion verfestigt Mill die neuen Herrschaftsverhältnisse. Mill erkennt zwar die Interessensgegensätze zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern, denkt aber, dass sie durch Bildung und Arbeiterassoziationen (heute Gewerkschaften) auszugleichen seien.
Der springende Punkt ist, dass die idealtypischen Annahmen unmittelbar auf die Politik übertragen wurden und aufgrund ihrer Auslassungen (Machtungleichheiten, anderen Bedürfnis- und Motivationsstrukturen) erneut für Ungleichheiten (Arbeiterklasse und Bourgeoisie) sorgten und Konflikte (Klassenkampf) auslösten. Ihren Siegeszug startete die industrielle Revolution in England, wo der von den oben skizzierten Theorien untermauerte Manchester-Liberalismus in eine Laissez-faire-Politik mündete.
Dort wurden die enormen technischen Innovationen der Zeit (Dampfmaschine, Eisenbahn, Fabrikmaschinen, Telegraph) mit den rechtlichen Voraussetzungen des Freihandels gepaart. Diese Kombination führte explosionsartig zu Modernisierung und mehr Reichtum der Volkswirtschaft. Ebenso massiv fiel aber auch die Verelendung des vom Land in die Städte vertriebenen Arbeiterproletariats aus. Dies ist der historische Ausgangspunkt für alle weiteren Auseinandersetzungen, die uns bis heute (wenn auch in anderen Ausprägungen, aber in der Grundproblematik gleich) beschäftigen.
Praktisch wurde mit Arbeiterkampf, Streiks, Sabotage und Bummelei geantwortet und punktuell wurden auch bessere Arbeitsbedingungen erkämpft. Theoretisch gehen die Argumentationslinien jedoch weit auseinander bzw. widersprechen sich. Grob lassen sich drei Richtungen unterscheiden: Die Marxisten kommen zu dem Schluss, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem zwar ungeheuren Fortschritt bringe, aufgrund seiner inneren Widersprüche aber in ständige Krisen bis zur Barbarei stürze und daher zu überwinden sei. Die Vertreter des Keynesianismus haben das Ziel, den Kapitalismus aufrechtzuerhalten aber mit staatlichen Regulierungen zu zähmen. Die neoklassischen Theoretiker gehen davon aus, dass staatliche Störungen auf an sich funktionsfähigen Märkten das Ungleichgewicht verursachen und die Markfreiheiten noch weiter ausgebaut werden müssten. Bevor die Wechselwirkungen zwischen Theorien und Realwirtschaft skizziert werden, soll die marxsche Kritik der Politischen Ökonomie umrissen werden, weil sie Schlüsselkriterien für die Analyse liefert.
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