Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866. Friedrich Freudenthal

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Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866 - Friedrich Freudenthal

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Weitermarsch am 26. Juni. Biwak hinter der Unstrut bei Thamsbrück.

       27. Die Schlacht bei Langensalza.

       28. Der Tag nach der Schlacht.

       29. Die Capitulation.

       30. In die Heimath!

      Vorwort

      Mehr als fünfundzwanzig Jahre sind seit jener Zeit verflossen, als sich die Begebenheiten zutrugen, welche ich auf den nachstehenden Blättern schildere. Blicke ich aus dem Gewoge und Getriebe des mich heute umrauschenden Lebens zu jenen Erlebnissen der Jugend zurück, so möchte ich oft glauben, es wäre jene Zeit, die doch so unendlich anders war als die heutige Zeit, nie gewesen. Aber um so mächtiger und klarer steigt dann das Bild der Vergangenheit vor mir herauf, bis in die kleinsten Einzelheiten vermag ich es zu durchschauen und kaum bedarf es eines Blickes auf das vor mir liegende vergilbte Schreibheft, worin ich in kurzen Worten einst das Wichtigste von dem verzeichnete, was ich als hannoverscher Soldat im alten Lüneburg, sowie auf dem mir unvergeßlichem Zuge nach Langensalza sah und erlebte.

      Wenn ich mich in meinen Schilderungen nicht damit begnügte, lediglich Das wieder zu erzählen, was ein allgemeines historisches Interesse haben könnte, vielmehr Dinge, Zustände und Begebenheiten ganz nach dem Eindrucke schilderte, den ich seiner Zeit davon empfangen habe, so glaube ich dazu eine gewisse Berechtigung zu haben. Ich verfolge mit meiner Erzählung nicht den Zweck, Beiträge zur Geschichtsschreibung zu liefern – denn das wird jeder Officier, dem seine Stellung einen Überblick über die Verhältnisse gewährte, hundertmal besser können: ich will lediglich schildern, wie es einem hannoverschen Soldaten, der mit dem Gewehr in der Hand in Reih und Glied stand, in jenen Tagen ums Herz war. Es mag mir dabei verziehen werden, wenn ich in meinen Erinnerungen hie und da von der eigentlichen Sache abschweife und Fernliegendes in den Kreis meiner Betrachtungen ziehe oder auch auf Vorhergeschehenes zurückgreife. Wie der Strom, wenn wir ihn aufwärts bis zu seinen ursprünglichen Anfängen verfolgen, sich in kleinere und größere Zuflüsse, Bäche und Quellen auflöst, so auch entstand aus mancherlei Nebensächlichem, aus dem Kleinen und vielfach Unbedeutenden heraus das Gesammtbild der Stimmungen und Eindrücke, das ich dem gütigen Leser auf den nachfolgenden Blättern möglichst getreu und wahr vor Augen zu führen mich bemühte.

       Friedrich Freudenthal

       Jugenderinnerungen.

      In einem einsam gelegenen Dorfe der Heide, im Hause meiner Großeltern, verlebte ich meine früheste Jugend, die Zeit von meinem vierten bis zum fünfzehnten Lebensjahre. Mein Großvater war Lehrer des Ortes. Schon frühzeitig traten Wißbegierde und der Drang nach Ausbildung bei mir hervor. Soviel mein Großvater dies bei seinem anstrengenden Beruf – er hatte nicht selten 110–120 Kinder in seiner Klasse zu unterrichten – ermöglichen konnte, suchte er mein Bestreben durch Privatunterricht, den er mir namentlich in den langen Winterabenden ertheilte, zu fördern; im Uebrigen mußten Bücher aushelfen, die ich theils in der bescheidenen Büchersammlung meines würdigen Erziehers vorfand, theils bei verschiedenen Bewohnern des Dorfes zusammenborgte. Fast kein Haus des ziemlich großen Ortes blieb von meinen Fahndungen auf Bücher und lesbare Gegenstände verschont; meistens bestand aber die Ausbeute nur in alten Kalendern und Volksbüchern. Von letzteren erinnere ich mich noch der Geschichten von Eulenspiegel, von der schönen Magelone, von dem Ritter Peter mit den silbernen Schlüsseln, von den vier Haimonskindern, vom gehörnten Siegfried, von der unschuldig verstoßenen Genoveva u. a. m. Einigemale gerieth auch ein Jahrgang des in den vierziger Jahren von W. Schröder herausgegebenen Hannoverschen Volksblattes in meine Hände; hier waren es die Schilderungen hannoverscher Kriegszüge und der Abenteuer hannoverscher Soldaten, die mich ganz besonders anzogen. Auch durch Erzählungen alter Leute im Dorfe, die die Zeit der französischen Besitznahme im Anfange dieses Jahrhunderts noch mit erlebten, wußte ich mir Kenntniß von den damaligen kriegerischen Ereignissen zu verschaffen.

      Es lebten noch zwei alte „Waterlooer“ im Dorfe, deren einer unser nächster Nachbar war. Er hatte im Landwehrbataillon Verden gedient und bei Quatrebras und Waterloo mitgekämpft. Ich besuchte den alten Vater Hans Jürgen W. – im Dorfe wurde er der Sitte gemäß nach dem Hausnamen „Kösters Vader“ genannt – sehr oft in seinem kleinen ärmlichen Altentheilstübchen, das er mit seiner auch schon betagten Ehegenossin bewohnte. Er saß dann mit dem Strickstrumpf von grober Wolle in der Hand auf einem mit gespaltenen Weidenruthen beflochtenen Eichenstuhl, einem Hausgeräth, welches er, wie manche andere Gegenstände in seiner Wohnung, mit eigener Hand angefertigt hatte und welches zwar dem Aeußern nach gerade nicht viel Kunst- und Stilgemäßes verrieth, dafür aber wieder den Eindruck großer Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit machte und somit zu der knorrigen und zähen Figur des alten Waterloomannes vortrefflich paßte.

      Während „Köster’s Vader“ erzählte, sah er grade vor sich weg oder auch auf die Arbeit, welche er in den Händen hielt, und unaufhörlich wickelte sich der grobe Wollenfaden von dem Knäuel ab, welches dem Alten auf der Brust an einem an der Jacke befestigten Messinghaken hing. Er wandte bei seinen Erzählungen nicht die geringsten rednerischen Kunstfertigkeiten oder Gesten an, wie man sie selbst bei Erzählern aus dem Volke häufig findet, kaum daß die Stimme sich hier und da etwas hob und etwas lebhafter wurde – und doch, wie wirksam waren die einfachen Schilderungen der blutigen Kämpfe in jenen ruhmreichen Tagen von Quatrebras und Waterloo. Man sah ihn deutlich vor Augen, den braven Major Christoph von der Decken – von seinen Leuten „de ole Christawer“ genannt – wie er bei Waterloo, im heftigsten Feuer ruhig seine kurze Pfeife rauchend, mitten im Carré hielt und vom Pferde herab die junge, des Kampfes ungewohnte Mannschaft in plattdeutscher Sprache und unter allerlei humoristischen Redewendungen zum Widerstande gegen die unaufhörlich anstürmenden französischen Cavalleriemassen anfeuerte. Und dann die weiteren Einzelheiten des gewaltigen Kampfes, die verheerende Wirkung des französischen Artilleriefeuers, das Hin- und Herwogen der Schlacht, das Gestöhn der Sterbenden und Verwundeten, der Angriff der Kaisergarde, die sich gegen 7 Uhr Abends, eine gewaltige verderbendrohende Colonne, auf die englisch-hannoversche Stellung warf, auf 50 Schritt mit einer vernichtenden Salve empfangen und dann mit dem Bajonett angegriffen, durchbrochen und über den Haufen geworfen wurde; die Schilderung von der Flucht jener stolzen, sieggewohnten Krieger, von dem Angriff der auf der ganzen Linie unter betäubendem, vieltausendstimmigem Victoria- und Hurrahgeschrei vorrückenden Engländer und Hannoveraner – das Alles machte auf mich, der ich den Worten des Alten mit fast athemloser Spannung horchte, einen unauslöschlichen Eindruck und nicht müde wurde ich, mir von ihm immer wieder auf’s Neue „von Waterloo“ erzählen zu lassen. Da ich, wie er wußte, stets ein dankbarer und aufmerksamer Zuhörer war, so brauchte ich ihn niemals lange zu bitten.

      Die würdige Ehehälfte des alten Invaliden, bei welcher leider eine gleiche Begeisterung für alte Kriegsgeschichten nicht vorhanden zu sein schien, pflegte jedoch oft Einspruch zu erheben, „Gott, Vader,“ sagte sie dann wohl, „wullt Du all wedder von Din Kriegerreisen vertellen? Wat däst Du da na Waterloo henn to lopen? Harrst dor wegbliewen schöllt, denn harrn de Franzosen Di ok nich dör dat Been schaten!“

      „Ol dumme Wiew,“ brauste dann der Alte auf, „kann mi argern öwer so’n mallen Snack! Harrn wi Bunnepart bi Waterloo nich den Paß verleggt, denn harr’t ja Dütschland mitsammts Hannoverland in Ewigkeit slecht gahn! Weeßt doch good genoog, wat de Musjöhs hier hus’t hebbt, as se hier wören.“

      Nach solcher Unterbrechung wurde dann der Faden der Erzählung wieder aufgenommen und

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