Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866. Friedrich Freudenthal
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Cord Wübbe – so hieß unser Freund – war daheim und hieß uns herzlich willkommen. Er war soeben von einer längeren Aufsichtstour zurückgekehrt und stand im Begriff einen Imbiß einzunehmen. Selbstverständlich wurden wir zum Mitessen eingeladen. Bevor wir uns jedoch am Tische niederließen, wandte unser Wirth sich zu einem Eckschränkchen und holte eine dickbauchige Flasche von grünem Glase daraus hervor. Wie er uns in umständlicher Weise erklärte, enthielt die Flasche einen „Bittern“, den er selber unter Benutzung von „negenerlei Krütern“ zusammen destilliert hatte. Es befanden sich darunter, soviel ich mich entsinne, als hauptsächlichste Bestandtheile Heidecker, Johanniskraut, Wermuth, Kalmus, Enzian, Thymian und Hopfenblüthen. Nach Freund Wübbe’s bestimmter Versicherung, war dieser Trank das beste Mittel um einen „schiefsitzendenn“ Magen wieder in die rechte Verfassung zu bringen. Er füllte ein großes blaurandiges Schnapsglas mit diesem Zaubertrank und wir mußten ihn Bescheid thun. Obschon ich in Rücksicht auf meine Jugend zu einer halben Ration begnadigt wurde, so spürte ich den bitteren Geschmack der „neunerlei Kräuter“ dennoch fast neun Stunden lang nachher auf der Zunge.
Beim Frühstückstisch nahm das Gespräch zwischen meinem Vater und dessen Freund bald eine humoristische Färbung an. Sie hatten in F..., einem freundlichen Kirchendorfe und Amtssitz, Jahrelang als Nachbarn Haus an Haus gewohnt und stets gute Freundschaft gehalten. Die Erinnerung an fröhlich verlebte Tage wurde nun wieder einmal gründlich aufgefrischt und manches scherzhafte Ereigniß wurde erzählt und besprochen.
„Weeßt woll noch,“ so begann unter anderem im Laufe des Gespächs Freund Wübbe, sich an meinen Vater wendend, „as wi achtunveertig in’n Eekhagen dat groote Volksfest fier’n un Pastor M. ut W... en Red’holen dä? – Wer trug die Schuld daran, daß die Römer unser Vaterland ungestraft unterjochen durften? so fung de Pastor sien Red’ an un dabi keek he jümmer den Küper Johann Stöckmann, de en Koppsläng öwer all de annern Tohörers wegrecken dä, int Gesicht – Wer war Schuld an jener schmachvollen Erniedrigung? frage ich – – –“
„Se brukt mi nich jümmer so verdächtig antokieken, Herr Pastor,“ röp up enmal Jan Stöckmann, – „ick bün ’r nich mit bi wesen“! – „Ja, de ole Schelm! de ole Stöckmann!“ sagte meine Vater und lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten. – „Kennst Du den Spaß, den he mal mit Pastor W. hatt hett? De Pastor hollt dat enes Dages för sien Pflicht Stöckmanns Johann wegen sien Supen to vermahnen. „Herr Pastor,“ seggt Johann, „ick bin woll en beten sehr tom Drunk geneigt, awer ick kann’t ok laten!“ „Good, Meister Stöckmann,“ seggt de Pastor, „dat freut mi, dat min Wörd nich vergewens to Ihnen spraken sünd.“
Einige Tied danach drippt de Pastor mal mit Johann Stöckmann up en Kinddöp tasamen un dor mutt he to sien Verwunnerung sehn, dat min leewe Johann en Glas Grock na’n annern wegpietscht, as wenn dat blot Water wör. „Stöckmann,“ seggt de Pastor liesen un stött Johann in de Sied, „se hebbt mi doch nülich seggt, se können et laten!“ „Kann ick ok, Herr Pastor,“ seggt Johann un kloppt sick up sein lange Liew, – „hier is noch Platz, hier kann ick enen ganzen Ammer vull laten!“
Unser gastfreundlicher Wirth hatte inzwischen Lagerbier in Flaschen herbeiholen lassen und füllte die Gläser. „Ja,“ fuhr er fort und strich sich schmunzelnd den braunen, buschigen Schnurrbart – „un de Geschicht von den „heemlichen Fehler“ wat wör dat doch man noch? Dat is recht – Johann harr mal för den Amtsauditer Meyer, de jümmer krank wör, en Badewannen makt, awer de Auditer wör flünig verstorwen un harr de Wannen gar nich mehr in Gebruk nehmen könnt. „Wat fang ick mit dat grote Küwen an, Stine? seggt Johann enes Dages to sien Froo. „Will doch mal na den Assesser Grumbart henn un mal hören, wat de dato seggt.“ – De Assesser Grumbart wör nämlich an Auditer Meyer sien Stä’na F ... henn versett’t worrn, he wör awer nich beleewt, wiel he de Lüd, de wat up’n Amt to dohn harrn, jümmer so groff anhalen dä. – „Herr Assesser,“ seggt Stöckmanns Johann to denn Assesser Grumbart, „ick bin darüm her, ick woll Se mal fragen, ob Se nich villicht enen heemlichen Fehler an sick harrn!“ „Was!“ begehrt de Assesser up, „was soll das heißen?! Wie können Sie sich unterstehen, hier solche impertinente Reden zu führen!“ Se verstaht mi nich, Herr Assesser,“ seggt Stöckmanns Johann, „Se möt nämlich weten: ick hew för Ihren Vorgänger Meyer en Küwen makt tom Baden von fiet Foot Läng, he is mi awer leider to fröh storwen, un nu dach ick, wenn mi dat glück, dat Se of enen heemlichen Fehler an Ihren Körper harrn, denn harrn Se dat Küwen ja man gliek mit öwernehmen könnt – ick würr et Ihnen to’n halwen Pries laten.“ – –
Bei solch’ erheiterndem Zwiegespräch waren rasch einige Stunden vergangen und es wurde Zeit, daß mein Vater und ich uns wieder auf den Weg machten. Bevor wir das Heim unseres freundlichen Gastgebers verließen, wurde selbstverständlich noch das Vorhaben besprochen, welches uns zu unserer Reise veranlaßt hatte. Cord Wübbe, der in seiner Jugend in Hannover bei der Artillerie gedient hatte, ließ es sich nicht nehmen, mir allerlei nützliche Winke und Fingerzeige zu ertheilen. An der Gartenpforte verabschiedeten wir uns von unserm liebenswürdigen Wirth und wanderten dann in der Richtung auf Harburg weiter.
Viel Bemerkenswertes bot sich uns nun während der nächsten Stunden nicht dar. Hier und da ein Dorf mit hart an der Straße gelegenen Wirthshäusern, die durch das über der Thür angebrachte Schild und die nie fehlende Pferdekrippe kenntlich waren, Fuhrwerke mancherlei Art und Handwerksburschen, welche uns begegneten, Pflüger auf den Feldern am Wege, die unter der Einwirkung des schönen Frühlingswetters mit den Lerchen um die Wette sangen oder eine lustige Weise pfiffen – das war so ziemlich Alles, was sich unsern Blicken Abwechslungvolles zeigte.
Eine Meile etwa vor Harburg führt die Straße durch waldige Schluchten hindurch und über Höhen und erreicht nahe vor der Stadt ihren Höhepunkt. Von dort sahen wir hinunter auf die Elbniederung mit ihren Marschen und auf die jenseits der Elbe aus einer grauen Schicht von Rauch und Qualm aufsteigenden stolzen Thürme Hamburgs.
Zur Linken hatten wir die hügeligen Waldungen der Haake und vor uns im Grunde lag das Ziel unser Tageswanderung, die Stadt Harburg. Dieselbe trug damals noch nicht so ausgesprochen den Charakter der qualmigen, russigen und schornsteingespickten Fabrikstadt, den sie heutigen Tages angenommen hat. Die „befruchtenden Segnungen einer sich mit Riesenschritten entwickelnde Industrie“ hatten – um mit den Worten eines zeitgemäßen Zeitungsschreibers zu reden – damals die „beengenden Fesseln kleinstädtischer Verhältnisse“ noch nicht völlig gesprengt, wie dies jetzt nach fünfundzwanzig Jahren der Fall ist. Handel, Gewerbe und Schifffahrt und vor allen die Weiterbeförderung der aus dem Inlande sich hier ansammelnden Waaren bildeten damals vorwiegend die Ernährungszweige der Bewohner Harburgs. Die die Stadt durchkreuzenden Hauptstraßen boten damals ein buntbewegtes Bild. Überall traf man auf Fracht- und Omnibusfuhrwerk, Bauernwagen, und Postkutschen – letztere gelenkt von rothröckigen Postillonen und viele Hundert fleißige Hände waren tagtäglich beschäftigt, die mit der Eisenbahn und auf den Landstraßen eintreffenden Kaufmannsgüter und ländlichen Producte jeder Art den zahlreichen Schiffen zuzuführen, welche den Verkehr mit den benachbarten Elbestädten und Hamburg vermittelten.
5.
In Harburg.
In einer Gastwirthschaft an der Schloßstraße in Harburg nahmen wir Quartier für die Nacht. Wir setzten uns bescheiden hinter den langen, grünen Tisch, der fast die ganze Rückwand der nicht sehr großen Schänkstube einnahm und ließen uns ein einfaches Abendessen auftragen, welches uns nach dem langen, anstrengenden Marsch außerordentlich gut mundete.
Zu unserer Linken am Ende des Tisches hatte ein anderer Gast Platz genommen, ein breitschultriger, kräftig gebauter Mann von etwa 30 Jahren mit einem von der Frühlingssonne gebräunten bartlosen Gesicht und kurz