Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866. Friedrich Freudenthal
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Der ehemalige Gardejäger stopfte sich dann in aller Gemüthsruhe eine Pfeife, rückte den auf der Achsel hängenden Spaten zurecht und drückte sein Bündel fester unter den Arm. Er wollte, wie er sagte, noch an demselben Abend nach der Elbinsel „Oßwarder“ hinüber. „Na, Kinners, bliewt munter mit ’nanner! Adjüs ok!“ rief er und dann wandte sich seine breitschultrige Gestalt der Thür zu.
6.
Der erste Tag in Lüneburg.
Am Morgen des folgenden Tages waren wir zu guter Zeit wach. Wir benutzten den Frühzug und erreichten bald das alte ehrwürdige Lüneburg. In einer Wirthschaft in der Nähe der Nicolaikirche, wo vorwiegend Landleute verkehren, hielten wir Einkehr. Alles war dort alterthümlich. War man von der Straße aus in einen langen Gang eingetreten, so hatte man zur Linken die Schenkstube, über deren Eingang zwei in Holz geschnitzte Wappenbilder angebracht waren mit der Jahreszahl 1510. Zu diesen Wappen über der Thür paßte auch die mittelalterliche Einrichtung des Zimmers, welche im Laufe der Jahrhunderte offenbar wenig Veränderungen erlitten hatte. Die Wände waren mit einem braunen Holzgetäfel bekleidet, in schmalen, schrankartigen Abtheilungen mit hervorspringenden Pfeilern. Der zwischen der gleichfalls getäfelten Decke und der Wandbekleidung sich hinziehende Fries zeigte allerlei roh in Holz geschnitzte Bildwerke, theils menschliche Figuren, theils allerlei fabelhaftes Gethier vorstellend. – Noch heutigen Tages, wenn mein Weg mich ab und zu nach Lüneburg führt, liebe ich es, jenes Schenkzimmer aufzusuchen und mich bei einem Glase Bier in allerlei Betrachtungen zu vertiefen. Die Zeiten und die Besitzer des Hauses haben gewechselt, aber die Einrichtung der Schenkstube ist dieselbe geblieben, wie sie vor 25 Jahren, ja vor – Jahrhunderten war. In dieser „altdeutschen Bierstube“ ist alles echt, und deshalb gefällt es mit hier ein gut Theil besser, als in jenen altdeutsch ausstaffirten, mit allerlei Firlefanz vollgepfropften Schankstätten, wie die heutige Mode sie überall gleich Pilzen erstehen ließ.
Beim Frühstück erfuhren wir durch andere Gäste, daß an jenem Tage (es war der 14. April) Vormittags zur Feier des Geburtstages der Königin eine Parade des Königin-Husarenregiments auf dem Exercierplatze vor dem Lünerthore stattfinde. Dies militärische Schauspiel durften wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Eine halbe Stunde später befanden wir uns unter den Zuschauern, welche sich auf dem am Exercierplatze sich hinziehenden Wall recht zahlreich zusammen gefunden hatten. Bald darauf erschienen in vollem Paradestaat die in der naheliegenden Kaserne garnisonirenden Schwadronen und rückten auf den Platz, wo alsbald der Vorbeimarsch vor dem Regimentscommandeur begann. Da dies die erste Parade war, der ich beiwohnte, so war ich ganz hingerissen von dem Anblick der stolzen Reiterschaar, die unter den Klängen des „Heil unserm König, heil!“ in schönster Haltung vorüberritt. Die breiten, blitzenden Klingen, die hohen Bärenmützen und weißbeschnürten Dolmans und Pelze, die wehenden Standarten (unter denen sich auch ein im Kriege erbeuteter Danebrog befand), die feurigen, schnaubenden Rosse, die in leichten geschmeidigen Gange nach dem Tact der Musik aufzutreten schienen, – das alles gewährte im Glanze der Frühlingssonne einen prächtigen Anblick und machte auf mein jugendliches Herz einen unauslöschlichen Eindruck. Noch oft, nach Jahren, wenn ich einmal wieder in der Allee am Exercierplatz mich erging, lebte die Erinnerung an jene Parade wieder in meinem Herzen auf und ich meine, ich hätte alles wieder vor mir gesehen, wie einst in alter schöner Zeit ...
Es reiten die alten Schwadronen
Vorüber in stolzen Reih’n,
Die Rosse schnauben, es blitzen
Die Säbel im Sonnenschein. –
Im Laufe des Tages erledigten wir die Formalitäten, welche zu meiner Aufnahme erforderlich waren. Der Bataillonsarzt Dr. B. erklärte mich für diensttauglich. Der Districtscommissar, Oberstlieutenant von H., dem ich mich gleichfalls vorstellte, empfing meinen Vater und mich sehr freundlich und gab uns die Zusicherung, daß ich, obschon noch nicht völlig 17 Jahre alt, dennoch eingestellt werden würde. „Aber, mein Sohn,“ sagte er, als wir uns verabschiedeten, „was willst Du bei den Jägern? In Lüneburg bei der Infanterie mußt Du eintreten, das ist besser für Dich.“
Dasselbe hatte mir auch schon der Arzt gerathen; er meinte, bei der Infanterie würde ich rascher vorwärts kommen, während bei den Jägern, wo alljährlich viele Freiwillige einträten, das Avancement erheblich langsamer von Statten ginge. So war ich denn wiederum in einen Zwiespalt versetzt worden und sah mich neuen Enttäuschungen gegenüber. Wieder sollte ich auf der Leiter meiner Wünsche einige Stufen niedriger steigen, statt der grünen Jägeruniform sollte ich den blauen Rock des Infanteristen tragen und statt der geräuschvollen Residenzstadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten zeigte sich mir als demnächstiger Aufenthaltsort die stille wallumschlossene Stadt an der Ilmenau. Ich wollte das Zweckmäßigkeitsprincip, das allein Anlaß dieser veränderten Sachlage war, nicht recht anerkennen, aber meinem Vater leuchtete es dafür um so eher ein. Er redete eindringlich auf mich ein, und als gehorsamer Sohn fügte ich mich bald seinem Willen. Im Grunde genommen war ja der Dienst bei der Infanterie gerade so ehrenwert als derjenige bei irgend einer anderen Truppe, und dann hatte Lüneburg als Garnison das Gute, daß zu dem Rekrutierungsbezirk des 2. Bataillons des dortigen 5. Infanterie-Regiments auch mein Heimathsdorf gehörte. Fast in jeder Compagnie dienten Burschen aus jener Gegend, so daß ich mich nirgendwo ganz fremd fühlen konnte.
Da meine Angelegenheiten nun so weit wie nöthig geordnet waren, die eigentliche Einstellung aber erst einige Tage später stattfand, so hielt mein Vater seine Anwesenheit in Lüneburg nicht länger mehr für nöthig. Er reiste am folgenden Tage ab und überließ mich meinem Schicksale.
Ich fühlte mich in der fremden Stadt und unter all den fremden Leuten, von denen ich mich umgeben sah, recht verlassen und es kam allmählich ein Gefühl über mich, welches große Ähnlichkeit mit Heimweh hatte. Ich kämpfte tapfer dagegen an und suchte meine trübe Stimmung dadurch zu verscheuchen, daß ich mich fleißig auf den Wällen und in den Straßen der Stadt erging; auch auf die Umgebung der Stadt dehnte ich meine Spaziergänge aus. Das Gefühl des Verlassenseins verlor sich bei diesen Wanderungen mehr und mehr und in ziemlich guter Verfassung erreichte ich den Tag der Einstellung.
In einem Wirthslocale an der Neuen Sülze hatten sich die zum Militärdienst Ausgehobenen am Morgen des 16. April zu stellen. Ich wurde brauchbar befunden, in die Listen eingetragen und der 6. Compagnie des 5. Infanterie-Regiments zugetheilt. Mit den anderen der Compagnie überwiesenen Mannschaften, insgesamt etwa 30 Mann, marschierte ich unter Führung eines Unterofficiers nach dem Compagnieboden, welcher sich in einem Hintergebäude der an der Grapengießerstraße belegenen F ...schen Gastwirthschaft befand.
Hier wurden wir mit einem Anzuge, bestehend aus Tuchhose, Ärmelweste, Halsbinde und Feldmütze, außerdem mit einem Quartierbillet, auf einen Tag lautend, versehen. Sodann wurden wir mit der Weisung entlassen, uns am Morgen des nächsten Tages pünktlich zu einer bestimmten Stunde auf dem Schloßhofe einzufinden.
Nachtrag 1895: Die hier geschilderte altdeutsche Schenkstube ist leider inzwischen ihres Schmuckes beraubt worden; der Besitzer hat die Täfelungen und Holzschnitzereien an einen Antiquitätenhändler verkauft.
7.
Das fidele Quartier.
Das Quartier, welches mein Billet mir nachwies, befand sich in einer entlegenen Gasse in der Nähe des Rothen Thores. Ich fand das kleine bescheidene Häuschen sehr bald auf; es lag mit dem schmalen Giebel nach der Straße. Das mittelalterliche Backsteinmauerwerk sowie der überwölbte, nischenartige Thüreingang ließen auf ein ehrwürdiges Alter schließen. Auf dem schmalen Hausflur trat mir die Wirthin entgegen, eine recht ansehnliche Frau in den vierziger Jahren. Als ich ihr das Billet überreicht