Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866. Friedrich Freudenthal

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Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866 - Friedrich Freudenthal

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Soldaten hebbt wi da kregen!“

      Minna – die Tochter der Wirthin, wie ich später erfuhr – erschien auf der Schwelle. Sie war etwas leicht und nachlässig gekleidet, aber sie war jung und recht hübsch von Gestalt und Ansehen.

      Fräulein Minna schien gleichfalls etwas überrascht zu sein, doch war sie augenblicklich nicht im Stande, ihr Erstaunen durch eine Handbewegung oder durch einen Ausruf zu bekräftigen; sie hielt nämlich zwischen den Lippen eine Haarnadel und die Hände brauchte sie, um ihr blondes dichtes Haar, welches ihr wirr um die Stirn und Nacken hing, nothdürftig zu ordnen und am Hinterkopfe zu einem Knoten aufzuwickeln. Mit einer einladenden Kopfbewegung unterstützte das junge Mädchen ihre Mutter, welche mich inzwischen wiederholt zum Eintritt in das Zimmer aufgefordert hatte.

      Ich folgte zögernd dieser Einladung. Da ich mich dabei wohl etwas linkisch und verlegen zeigte, so kam Fräulein Minna, die inzwischen ihre Hände frei bekommen hatte, mir in liebenswürdiger Weise zu Hülfe; sie frug nach meinem Namen und befreite mich gleichzeitig von den „Königlichen Montirungsstücken“, die ich noch immer krampfhaft unter dem linken Arme fest hielt. Sie hing Ärmelweste und Tuchhose an den ersten besten Nagel, faßte mich dann am Arme und führte mich zu dem im Zimmer befindlichen altmodischen Sopha. In einer Ecke desselben mußte ich mich nieder lassen, während sie selber sich mir gegenüber auf einen Stuhl setzte und sofort in lebhafter und unbefangener Weise zu plaudern begann. Inzwischen war die Mutter des jungen Mädchens beschäftigt, den Tisch zu decken und das Mittagessen aufzutragen. Als sie damit fertig war, versetzte sie mir einen vertraulichen Schlag auf die Schulter. „So min lütt Soldat, nu laten Se sick dat good smecken. Se möt ganz so dohn, as wenn Se hier to Hus hört.“

      Allerdings fühlte ich mich nach einigen Stunden Aufenthalt in meinem Quartiere denn auch ganz wie zu Hause. Meine Befangenheit sowie die Anwandlungen von Heimweh, welche sich während des letzten Tages verschiedentlich bemerkbar gemacht hatten, waren völlig verschwunden. Meine Wirthin schien mir der Inbegriff aller Herzensgüte und Liebenswürdigkeit zu sein, und als Fräulein Minna ihr etwas dürftiges Morgengewand mit einem grauen gutsitzenden Kleide vertauscht und ihr üppiges Haar recht hübsch geordnet hatte, konnte sie, so meinte ich, an Schönheit mindestens mit einer Prinzessin wetteifern. Aber nicht allein schön und liebenswürdig war die junge Dame, sondern auch praktisch. Sie hatte irgendwo in einem Winkel des Hauses eine Knopfgabel aufgefunden, welche von einer früheren Einquartierung dort zurückgeblieben sein mochte. Sie unterwies mich in der Handhabung dieses Instrumentes und versetzte mittelst eines Lederlappens und etwas Putzpulvers die erblindeten Knöpfe meiner Ärmelweste in einen solch’ strahlenden Glanz, daß selbst das Auge des diensteifrigsten Corporals daran seine Freude gehabt haben würde.

      Ich hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als mich in das mir angewiesene Bodenkämmerchen zu begeben und mich „in Uniform zu werfen“. Soviel ich in einem Stückchen Spiegelglas, welches sich in dem Schlafraum vorfand, wahrnehmen konnte, stand mir die kriegerische Gewandung gar nicht übel. Die Ärmelweste war allerdings reichlich weit. Dies Bekleidungsstück war eine Jacke ohne Schooß, sie verlieh ihrem Träger etwas Unfertiges, Abgeknapptes und erinnerte lebhaft an ein Insekt, welches sich noch in Verwandlung befindet. Die Ärmelweste war bei dem gemeinen Mann nie beliebt gewesen, sie stand daher auch längst auf dem Aussterbeetat und wurde nur noch als Zugabe zu den sonstigen reichlich vorhandenen Bekleidungsstücken ausgegeben.

      Die Feldmütze keck aufs Haupt gedrückt, erschien ich in vollem Wichs unten in dem Wohnzimmer meiner Wirthsleute. Im Allgemeinen gefiel meine Erscheinung, im Besonderen aber tadelte Fräulein Minna die ungebührliche Brustweite meiner Ärmelweste. Ich hätte allerdings in dem leeren Raum, der „zwischen Brust und Tuchgewand“ verblieb ganz bequem ein Commisbrod fortschmuggeln können, aber ich tröstete mich nach Bauernweise mit dem „Towaß“; wie mit der Zeit der Kürbis eine leere Flasche, in die er im ersten Entwicklungsstadium hineingeleitet worden, völlig auszufüllen vermag, so hoffte ich auch mit der Zeit den leeren Raum meiner Ärmelweste zu überwinden. Die Wirthin pflichtete mir darin bei, keineswegs aber Fräulein Minna. Kurz entschlossen, ergriff sie ein Messer und schnitt im Nu sämmtliche Knöpfe von der Weste herunter. Bevor ich Zeit hatte, mich von dem Schrecken über diesen Vandalismus zu erholen, hatte Minna mit ihren zierlichen weißen Fingern schon ein Stück Kreide ergriffen und die neuen Stellen bezeichnet, wohin von Rechtswegen die Knöpfe gehörten. Hierauf mußte ich mich ohne Verzug des Monturstücks entledigen. Gar emsig ließ das junge Mädchen sodann die mit blauem Zwirn gefädelte Nadel durch das harte und steife Militairtuch gleiten und in kurzer Zeit war meine Ärmelweste in einen Zustand versetzt worden, der Menge und Zeit des „Zuwachses“ auf ein sehr geringes Maß herunterdrückte. Daß meine liebenswürdige Wirthstochter durch diese kühne und entschlossene That noch bedeutend in meiner Achtung stieg, bedarf wohl kaum der Erwähnung.

      Als der Abend herannahte, erschien auch die Wirthin in recht hübscher Kleidung, welche ihr Äußeres in vortheilhaftester Weise hob. Es schien mir auch fast, als ob ihr Gesicht wie durch Zauberhand einen jugendfrischen rosigen Schimmer bekommen habe, den ich zuvor nicht wahrgenommen hatte. Ich hatte aber nicht Zeit, über diese angenehme Veränderung Betrachtungen anzustellen. Fräulein Minna, deren Vielseitigkeit sich in immer günstigerem Lichte zeigte, hatte es nämlich unternommen, mich mit den Touren eines neumodischen Tanzes bekannt zu machen, zu diesem Zwecke faßte sie mich, der ich vom Tanzen ungefähr soviel verstand, wie die Krähe vom Sonntag, mehrmals recht fest um die Hüfte und wirbelte mit mir wie toll im Stübchen herum. Die doppelte Bahn, welche ich dabei zurücklegen mußte, indem ich mich nämlich zunächst um meine eigene Axe drehte und außerdem noch einen Kreis um den Mittelpunkt des Zimmers beschrieb, verursachte mir, wie ich bestimmt glaube, mehr Schwierigkeiten, wie Mutter Erde der Reigen, den sie alljährlich um die Sonne tanzt.

      Die Tanzstunde wurde unterbrochen durch die Vorbereitungen zur Abendmahlzeit. Es mußte der im Zimmer befindliche Klapptisch auf das Doppelte seiner Größe hergerichtet werden, wodurch der Kreis, den Fräulein Minna und ich bislang im Tanze beschrieben hatten, zu einer so schmalen Ellipse eingeengt wurde, daß eine Fortsetzung der Übungen höchst bedenklich erschien.

      Nach dem Abendessen holte die vielseitige Schöne ein Spiel Karten herbei und, wie vorhin im Tanzen, so wurde mir jetzt eine Lection im Sechsundsechzig ertheilt. Dieses Spiel war damals sehr beliebt, obschon es seiner Einfachheit halber keine Veranlassung bot, in der inbrünstigen und tiefgründigen Weise gepflegt zu werden, wie das edle nationale Dreimännerspiel der heutigen Zeit. Ich gab mir alle Mühe, mich auch im Kartenspiel als gelehriger Schüler zu erweisen, da ich aber mehr Aufmerksamkeit auf die Dame, welche mir gegenübersaß, als auf die Dame im Spiel verwandte, mehr auf das Spiel der blauen schelmischen Augen meiner Lehrmeisterin, als auf die Augen der Karten, die ich in der Hand hielt, sah, so waren meine Fortschritte nur gering. Wir legten daher die Karten bald fort und plauderten nun noch ein Stündchen von allerlei nichtssagenden Dingen. Die Mutter des jungen Mädchens wurde dabei leider sehr bald von Müdigkeit heimgesucht, ihre Hände, die mit einem Strickzeug beschäftigt waren, wurden immer lässiger in ihren Bewegungen und ab und zu ließ ein flüchtiges Einnicken sowie ein halbunterdrücktes Gähnen erkennen, daß die gute Frau im höchsten Grade der Ruhe bedürftig war. Ich hielt es daher für schicklich, mich zu empfehlen und den Damen ehrerbietigst „gute Nacht“ zu wünschen. Mit einem Stümpchen Talglicht in der Hand, welches Fräulein Minna angezündet und mir hergereicht hatte, stieg ich die schmale Stiege zu meinem Kämmerchen hinauf. Nachdem ich in dem dreieckigen Spiegelscherben die Umrisse meiner werthen, von der Ärmelweste umhüllten Persönlichkeit noch einmal bei Talglichtbeleuchtung wohlgefällig betrachtet hatte, legte ich mich mit dem angenehmen Bewußtsein ins Bett, daß ich alle Ursache habe, den ersten Tag, den ich im „bunten Rock“ verbrachte, als einen recht lehrreichen zu betrachten und daß ich somit auf den Verlauf dieses Tages mit voller Befriedigung zurückblicken könne.

      In der Nacht erwachte ich durch ein Geräusch. Es war mir, als ob aus dem Wohnzimmer die Stimmen von Männern sowie halblautes Trällern und Singen einer weiblichen Stimme, unterbrochen von Zeit zu Zeit durch Gelächter und Gläserklingen, heraufschallte. Ich schlief aber sehr bald wieder ein und als ich am anderen Morgen erwachte,

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