Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar

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Der gute Mensch von Assuan - Peter S. Kaspar

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Am nächsten Morgen strahlte die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Mir kam es vor, als wolle mich der Himmel verhöhnen. Das Schiff aber würde nicht mehr lange durchhalten. Es war so voll Wasser gelaufen, dass zwischen Bordkante und Wasser vielleicht nur noch ein oder zwei Handbreit lagen. Da hörten wir plötzlich ein Knattern und wenige Sekunden später tauchte auch der dazugehörige Hubschrauber auf. Eine Stunde später näherte sich eine Fregatte der italienischen Küstenwache.

      Die Matrosen, die uns von Bord holten, waren hilfsbereit und freundlich. Es dauerte nicht lange, da hatten sie alle an Bord geholt. Vielleicht konnten wir Iris ja doch noch retten, schoss es mir durch den Kopf. Ich fragte einen der Matrosen, ob ich mit dem Kapitän sprechen dürfe. Er lachte nur und sagte ›Impossibile‹.

      Plötzlich trat Mo, der stets schweigende Mo, neben mich und begann wie ein Wasserfall zu reden. ›Was glauben Sie, wer das ist, Sir?‹, fragte er den Matrosen auf Englisch. ›Ihm haben wir unser Leben zu verdanken, er ist nicht irgendwer. Wenn er nicht gewesen wäre, hätten Sie heute nur 200 Leichen aus dem Wasser fischen können. Wäre Ihnen das lieber gewesen, Sir? Der Mann ist ein Held.‹ Auch andere der Geretteten kamen nun hinzu und begannen, ein Loblied auf meine Heldentat zu singen.

      Schließlich gab der Matrose nach. ›Schon gut, schon gut, ich werde euren Helden zu unserem Kapitän bringen.‹

      Der Kapitän hatte einen struppigen Vollbart und trug einen Ohrring. Das fiel mir als erstes auf. Der Matrose erklärte dem Kapitän etwas auf Italienisch. Der nickte nachdenklich und schickte den Matrosen wieder weg.

      ›Du bist so etwas wie ein Held, hab’ ich gehört?‹

      ›Ich weiß gar nicht, warum.‹

      ›Wo kommst du her, mein Sohn?‹

      Ich zögerte. Mir fielen die Worte von Gabriel wieder ein. Keinesfalls sollte ich sagen, dass ich aus dem Senegal käme, sonst würden sie mich im großen Käfig behalten und möglicherweise wieder zurückschicken. Ich holte tief Luft. ›Aus Dafur.‹

      Er nickte gemächlich. ›Soso, in Dafur lernt mal also, wie man eine 15-Meter-Barkasse mit einer Ruderpinne durch sechs Meter hohe Brecher steuert. Respekt. Nein, mein Junge, du warst bisher genauso wenig in Dafur wie ich in der Kalahari.‹

      Mir wurde heiß und kalt. Er hatte mich also sofort erwischt. Was sollte nun mit mir passieren? Eigentlich wollte ich ihn bitten, nach Iris zu suchen, doch das konnte ich nun vergessen.

      ›Es ist ein Jammer. Bist ein couragierter Bursche. Jemanden wie dich könnte ich glatt auf meiner Fregatte gebrauchen. Bist leider kein Italiener. So werden sie dich wahrscheinlich dahin zurückschicken, wo du herkommst. Gambia, Ghana? Ach, sag’s mir lieber nicht. Es ist allemal eine Schande, wie man mit euch armen Teufeln umgeht. Pass auf, ich geb’ dir einen Rat: Bleib bei deiner Geschichte und schärfe deinen Freunden ein, dass sie niemandem von deiner Heldentat erzählen. Dafür ist Dafur einfach viel zu weit vom nächsten Meer entfernt, als dass dir das jemand abnehmen würde. Du hast nichts gesagt, und ich muss ja niemandem sagen, was ich mir denke.‹

      Ich war völlig verdattert über die unerwartete Wendung, so dass ich glatt vergaß, mich zu bedanken. Aber Iris vergaß ich nicht. ›Trotzdem, Herr Kapitän, ich habe noch eine Bitte. Meine Gefährtin ist in der Nacht über Bord gegangen. Vielleicht hat sie überlebt, sie trug eine Rettungsweste. Vielleicht kann ja Ihr Helikopter …‹

      Er runzelte die Stirn. Mir schien, als bilde sich über seinen Augenbrauen eine kleine Gewitterwolke. Dann brummte er: ›Na, mal sehen. Wenn er noch genügend Sprit hat. Wann war das?‹

      Ich musste raten, denn ich hatte kaum eine Vorstellung. Ich wusste nur, dass es rabenschwarze Nacht war. Ich sagte aufs Geratewohl: ›Gegen 23 Uhr.‹

      Er nickte. ›Mal sehen, da hatten wir euch schon auf dem Radar, versprechen kann ich aber nichts, mein Sohn.‹

      Neue Hoffnung keimte in mir auf. Ich war sicher, dass ich Iris spätestens am Nachmittag wieder in meine Arme schließen konnte. Doch bis wir im Hafen von Lampedusa einliefen, bekam ich keine Nachricht. Wir wurden die Gangway hinuntergeführt. Ich drehte mich um und sah den Kapitän auf der Brückennock stehen. Er zuckte mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf. Dann winkte er mir zum Abschied zu.

      Ich hatte mir vorgestellt, dass alle Italiener, ja alle Europäer so freundlich waren wie der Kapitän der Küstenwache. Das war dann leider doch nicht so. Nachdem wir von Bord gegangen waren, wurden wir registriert, und es kam uns vor, als behandelten sie uns wie Vieh. Die Beamten bei der Registrierung waren unfreundlich. Überall standen bewaffnete Polizisten, die darauf achteten, dass keiner von uns flüchtete. Ich hatte Mo und den anderen eingeschärft, niemandem von meiner Rolle auf dem Boot zu erzählen. Stattdessen gab ich bei der Registrierung an, ein Flüchtling aus Dafur zu sein. Der Beamte füllte das Formular aus, ohne mich überhaupt näher anzusehen. Wenn ich sagte, ich käme aus Dafur, dann war das wohl auch so.

      Die Bezeichnung Großer Käfig war nicht übertrieben. Ich hatte mir vorgestellt, dass es in Europa selbst bei einer Art Internierung bedeutend besser zugehen würde, als in Libyen. Doch die Verhältnisse waren genauso schlimm – mit dem Unterschied, dass wir nun im Knast saßen und offenbar niemand so genau wusste, was mit uns passieren sollte. Wir wurden von den Aufsehern schikaniert, von den Einwanderungsbeamten und eigentlich von allen, die mit uns zu tun hatten. Die Botschaft war klar: Ihr seid hier nicht willkommen. Auch untereinander wuchs die Aggressivität wieder beträchtlich. Manche Flüchtlinge saßen schon seit Monaten in dem Käfig. Keiner wusste, wie lange er hierbleiben würde.

      Mo und ich hatten Glück. Wir mussten nur fünf Tage auf Lampedusa verbringen. Dann plötzlich wurden wir abgeholt. Ein Carabiniere brachte uns auf ein Schiff, auf dem bereits drei andere Flüchtlinge warteten. Wohin wollten sie uns bringen? Keine Antwort. Wir wurden von zwei Carabinieri begleitet. Sie brachten uns nach Messina auf den Bahnhof. Einer der beiden Beamten erklärte: ›Ihr habt jetzt fünf Tage, um das Land zu verlassen. Werdet ihr danach in Italien aufgegriffen, schicken wir euch zurück in eure Heimatländer. Also, wo wollt ihr hin?‹

      Die anderen drei tuschelten und sagten etwas von Schweden. Ich fragte Mo: ›Deutschland?‹ Mo zuckte mit den Schultern und nickte. Der Carabiniere ging an den Schalter und sagte: ›Dreimal Malmö, zweimal München.‹

      Zwei Stunden später saßen wir zu fünft in einem Abteil und tauschten unsere Geschichten aus. Die drei anderen hatten sich ebenfalls als Flüchtlinge aus Dafur ausgegeben. Tatsächlich kamen sie aus Mali. Sie hatten schon eine gescheiterte Flucht hinter sich. Vor zwei Jahren hatten sie es über die sogenannte Westroute über Marokko nach Spanien versucht. Doch sie scheiterten beim Versuch in die spanische Exklave Melilla zu kommen. Ich erfuhr, dass dort über 30 000 Menschen in einem Camp lebten, die alle irgendwie versuchen wollten, die sechs Meter hohen Zäune zu überwinden. Auch Marokko, so wurde gemunkelt, hatte schon Flüchtlinge in der Wüste ausgesetzt. Deshalb hatten es die drei dieses Mal über die mittlere Route versucht.

      Ich wollte wissen, warum sie ausgerechnet nach Schweden wollten. Soweit ich wusste, lag Schweden so weit im Norden, dass dort ewig Schnee lag. Die drei anderen mussten lachen, als ich ihnen mein Schwedenbild zeichnete. So zeigten sie mir Fotos von Schweden, auf denen kein Krümelchen Schnee lag. Im Gegenteil. Alles war grün, lag im Sonnenschein. Nur die roten Häuschen fand ich ein wenig merkwürdig.

      In Schweden, erklärte einer der drei, würden die Menschen einfach am besten behandelt. Ich wurde stutzig. ›Aber ich dachte, in Deutschland sei alles so einfach?‹ Wieder lachten die drei.

      Mo indes meinte, ich sollte mich jetzt nicht verrückt machen lassen. Er habe Freunde in Berlin und irgendwie würde man ja schon von München nach Berlin kommen. Die Freunde würden uns

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