Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar
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Es war früher Morgen, als der Zug in München einlief. Wir verabschiedeten uns von unseren drei Mitreisenden und stiegen aus. Wir waren völlig eingeschüchtert von der Größe, den Menschen, den Autos, aber irgendetwas mussten wir jetzt ja tun. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, hätte ich für mein allerletztes Geld eine Fahrkarte nach Berlin gekauft. Leider folgte ich dem Vorschlag von Mo. Er sagte, dass es das Schlaueste wäre, sich bei der Bahnpolizei zu melden und einfach mal das Wort Asyl zu sagen. Alles Weitere werde sich dann schon ergeben.
So standen wir nach einer halben Stunde in der Wache der Bahnhofspolizei und sagten wie aus einem Mund: ›Asyl‹. Ein Beamter saß am Schreibtisch, notierte noch etwas und schaute uns dann gelangweilt über den Rand seiner Brille an. Dann drehte er sich um und rief über die Schulter: ›Schorsch, da san wieder zwoa.‹
Wir wurden in einem provisorischen Containerdorf untergebracht.
Wir waren froh über die Unterkunft, darüber, dass es regelmäßig etwas zu essen gab und dass die sanitären Verhältnisse stimmten, zumindest nach unseren damaligen Vorstellungen, hatten wir auf unserer Flucht doch unsagbar schlimme Dinge erlebt.
Wir wollten so schnell wie möglich weiter nach Berlin reisen. Doch da erlebten wir eine böse Überraschung.
›Das wird nicht möglich sein‹, erklärte uns ein freundlicher, aber sichtbar gestresster Mitarbeiter der Ausländerbehörde auf Englisch, der nur dafür abgestellt war, sich mit unseren Wünschen auseinanderzusetzten, um sie dann praktisch immer freundlich aber bestimmt abzulehnen.
›Als Asylbewerber unterliegen Sie der sogenannten Residenzpflicht.‹
›Was heißt das?‹, wollte ich wissen.
›Das heißt, dass Sie die Stadt München nicht verlassen dürfen.‹
Wir waren beide völlig perplex.
›Warum denn das?‹, fragte ich.
›Die Regelung gilt natürlich nur, solange Ihr Antrag auf Asyl läuft. Wenn darüber entschieden ist, werden sie entweder abgeschoben oder anerkannt, dann können sie sich natürlich frei bewegen. Naja, sie können auch nach der Ablehnung ihres Asylantrages versuchen, eine Duldung zu bekommen. Aber dann unterliegen sie natürlich wieder der Residenzpflicht.‹
›Aber warum denn?‹
Der Beamte zuckte mit der Schulter. ›So ist die Rechtslage. Haben Sie vielleicht Verwandte in Berlin? Kinder? Eine Ehefrau? Eltern?‹
Ich schüttelte nur traurig den Kopf.
›Ich habe Freunde‹, rief Mo.
Der Beamte lächelte nachsichtig. ›Das wird leider nicht reichen.‹
›Aber ich könnte bei ihnen wohnen, essen und trinken, ich würde auch meinen Freund hier mitnehmen. Dann kostet es den deutschen Staat doch nichts. Daran müssen Sie doch auch Interesse haben.‹
›Es tut mir leid meine Herren, aber da sind mir leider die Hände gebunden. Wenn sie nichts mehr Wichtiges haben … bitte, da draußen warten noch andere Fälle, die meine Hilfe brauchen.‹
Völlig verdattert verließen wir das Container-Büro und liefen prompt einem jungen Deutschen in die Arme, der uns aufgeregt fragte, was da drinnen abgelaufen sei. Mo und ich schauten uns an und erzählten dann von unserem doch etwas merkwürdigen Erlebnis mit dem Beamten.
Der junge Mann winkte nur ab. ›Das ist ja noch längst nicht alles. Ihr dürft hier gar nichts. Arbeiten beispielsweise, um eigenes Geld zu verdienen – keine Chance. Eine Ausbildung, um sich hier zu qualifizieren – kannst du vergessen‹, rief er empört. ›Aber damit soll nun Schluss sein. Wir werden die jetzt unter Druck setzen. Nächste Woche starten wir zum Marsch nach Berlin, gegen die Residenzpflicht, gegen das Arbeitsverbot und für ein bedingungsloses Bleiberecht.‹
Das hörte sich imposant an, doch wir hatten nur die Hälfte von dem verstanden, was er uns sagen wollte. Was uns klar war, war, dass er ein engagierter junger Mann war, dem unser Schicksal naheging. Das war doch schon mal was.
›Seid ihr gut zu Fuß?‹, wollte er plötzlich wissen. Wieder schauten wir beide uns an und zuckten mit den Schultern. Natürlich waren wir gewohnt, größere Strecken zu Fuß zurück zu legen. Deutsche nahmen sicherlich für jede Strecke das Auto, auch wenn’s nur um vier oder fünf Kilometer ging. Da waren wir Afrikaner schon anders. Also nickten wir.
›Fein!‹, rief der junge Mann begeistert aus. ›Wir werden am 8. September in Würzburg starten und nach Berlin marschieren. Wollt ihr mitmachen?‹
Mo fragte als erstes: ›Wie weit ist das?‹
›Wir rechnen mit 600 Kilometern, wir können ja schlecht über die Autobahn marschieren. Sonst wären es 150 Kilometer weniger.‹ Er lachte über seinen Scherz, den wir nicht so recht verstanden. Ich hatte Bedenken.
›Aber was ist mit der Residenzpflicht? Wenn uns die Polizei erwischt, dann schicken sie uns zurück nach Dafur.‹
›Unsinn‹, wandte der junge Mann ein. ›Erstens dauert es ewig, bis der Antrag bearbeitet wird und dann kann man bei einem abschlägigen Bescheid noch immer an einer Duldung arbeiten. Aber he, ihr zwei kommt aus Dafur. Da geht der Asylantrag hundertprozentig durch. Das ist sicher. Und außerdem würde kein Polizeibeamter in Deutschland es wagen, einen Flüchtling aus dem Zug rauszuholen, um ihn dann abschieben zu lassen. In dem Protestzug seid ihr sicher.‹
Das leuchtete uns ein.
›Aber wie kommen wir bis nach Würzburg? Wenn wir mit dem Zug fahren und kontrolliert werden?‹
›Natürlich werdet ihr von der Bahnpolizei kontrolliert, deswegen fahrt ihr auch mit dem Auto. Ich hole euch in drei Tagen ab. Aber verratet dem Vogel da drin nichts.‹
Er deutete mit dem Daumen auf das Büro im Container.
So hatten wir also doch noch eine Chance, nach Berlin zu kommen. Allerdings – 600 Kilometer zu Fuß?
Mo klopfte mir auf die Schulter und sagte: ›Nach allem, was wir erlebt haben, sind 600 Kilometer zu Fuß quer durch Deutschland ein gemütlicher Spaziergang.‹
Und Mo sollte diesmal recht behalten. Drei Tage später holte uns der junge Mann ab, von dem wir jetzt erst erfuhren, dass er Simon hieß und sich in einer Gruppe für Flüchtlingshilfe engagierte. Zum ersten Mal fuhren wir über eine Autobahn und waren schwer beeindruckt. Allerdings noch beeindruckter waren wir von der Gruppe, die sich da in Würzburg auf den Weg machte. Zunächst fühlten wir uns als Fremdkörper, obwohl die meisten auf dem Marsch ein ähnliches oder gar schlimmeres Schicksal mit uns teilten. Trotzdem: Wir waren gerade erst angekommen und fühlten uns zunächst auch dankbar, auch wenn uns solche Dinge wie die Residenzpflicht unsinnig oder das Arbeitsverbot absurd vorkamen. Doch wir sollten schnell lernen, wie bedrückend das für jene war, die nicht nur wenige Wochen, sondern Monate und oft Jahre auf eine Entscheidung über ihren Antrag warteten. Zwar gab es Essen, Unterkunft und auch ein wenig Geld, aber viel zu wenig, als dass man hätte wagen können, es nach Hause zu schicken.
Das Schlimmste, so erklärten uns unsere Schicksalsgenossen auf dem Marsch, sei die Langeweile. Man könne in den Asylbewerberheimen nichts tun, außer vielleicht Domino zu spielen. Arbeit war verboten, Fortbildung war verboten, für Kino oder Theater fehlte das Geld, und das Fernsehgerät im