Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar
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Читать онлайн книгу Der gute Mensch von Assuan - Peter S. Kaspar страница 14
Gabriel, der neben mir saß, atmete schwer. Ich tippte ihn an. Er reagierte nicht.
Besorgt fragte ich, indem ich ihn laut anschrie, um den Diesel zu übertönen: ›Was ist?‹
›Jich … jich, jich krieg keine Luft‹, japste er. Gabriel war im Begriff, einen Panikanfall zu bekommen. Ich wollte Iris um Rat fragen, doch da war es schon geschehen. Er versuchte, aufzuspringen und an die Luke zu kommen.
›Ich muss hier raus, ich muss hier raus, ich ersticke … ich ersticke.‹ Tatsächlich gelang es ihm, bis an die Luke zu kommen und sie auch aufzustemmen. Doch kaum war sie geöffnet, trat ihm jemand mit dem Fuß voll ins Gesicht, so dass er wieder rückwärts zurückfiel. Wir betteten ihn vorsichtig zwischen uns. Aus seiner Nase quoll ein heftiger Blutstrom. Irgendwie gelang es Iris, die Blutung zu stoppen. Immerhin hatte er so kurz das Bewusstsein verloren und vergaß seine Panik wenigstens für den Moment.
Er erwachte wieder und tatsächlich konzentrierte er sich zunächst auf seinen Schmerz. Doch bald bemerkte er wieder, wo er eigentlich war und begann erneut schwer zu atmen. Er hechelte immer mehr und plötzlich verlor er wieder das Bewusstsein. Sein Atem setzte aus. Doch Iris wusste genau, was zu tun war.
›Hyperventilation‹, erklärte sie mir. ›Wenn du das in der Panik zu heftig machst, kommt von hinten der kleine Mann mit dem Hammer.‹ Sie setzte zu einer Mund-zu-Mund-Beatmung an. Und Gabriel fing tatsächlich wieder an zu atmen.
Obwohl die Situation sehr aufregend war, überfiel mich auf einmal eine entsetzliche Müdigkeit, verbunden mit bohrenden Kopfschmerzen. Trotzdem verfiel ich plötzlich in Schlaf.
Jemand ohrfeigte mich. Ich konnte die Augen nicht öffnen, weil ein gleißendes Licht mich blendete. Im ersten Moment glaubte ich, ich sei tot. Aber ich glaube nicht, dass man unmittelbar nach dem Sterben mit Ohrfeigen im Jenseits empfangen wird. Ich hörte eine Stimme sagen: ›Der ist okay, seine Frau auch, aber ich glaube, den Kleinen hat’s erwischt. Komm, raus mit ihm und über Bord, dann haben die anderen hier mehr Platz.‹
Später habe ich dann erfahren, was passiert ist. Der Bilgenraum war nur unzureichend durchlüftet. So war es zu einer schleichenden Kohlenmonoxidvergiftung gekommen. Gabriel hatte mit seiner Hyperventilation die Situation für sich nur noch extrem verschlimmert. Er war schließlich kläglich erstickt. Das Schicksal teilte er mit fünf anderen, die dort unten zusammengepfercht saßen. Alle waren sie an der schlechten Luft erstickt. Es war nur einem großen Zufall zu verdanken, dass man uns entdeckt hatte, sonst wären wir alle da unten in dieser Barkasse elendiglich draufgegangen.
Nun blieb die Luke stets halb geöffnet, damit der Raum hier unten auch durchlüftet wurde. Das war einerseits gut, weil wir so ständig frische Luft bekamen, andererseits auch wieder nicht so gut, weil ich am fünften Tag unserer Reise das Unglück auf uns zukommen sah. Die ersten Tage war das Mittelmeer so ungewöhnlich glatt wie selten. Es schien, als schippere da ein Boot über einen Ententeich. Doch am vierten Tag spürten wir schon einige Wellen. Noch war das Stückchen Himmel, das wir durch die Luke sehen konnten, strahlend blau, doch tags darauf hatte er sich in ein schweres, eisgraues Laken verwandelt, das von Minute zu Minute dunkler wurde. In gleichem Maße wuchsen die Wellen. Manchmal ging es wie in einem Fahrstuhl rasant nach oben, nur um im nächsten Moment wieder ins Bodenlose zu fallen. Die Ersten begannen sich zu übergeben, mit der Folge, dass es nun immer mehr wurden.
Ich dachte mit Schrecken an die morschen Holzplanken. Wie sollte so ein marodes Schiff solch einen Sturm überstehen? Immer häufiger schwappten nun auch große Wellen durch die Luke in den Bilgenraum. Doch nicht nur von dort, von überall schien nun Wasser einzudringen. Wir mussten hier unten raus. Lange konnte es nicht mehr gutgehen. Das Schiff nahm immer mehr Wasser auf. Es war bereits knöcheltief und stieg weiter. Allerdings war mir noch wohlbewusst, was dem armen Gabriel passiert war, als er versucht hatte, den Kopf aus der Luke zu strecken. Egal, ich musste es riskieren. Ich deutete Mo und Iris an, mir zu folgen. Dann kletterte ich die Stufen hoch, immer darauf gefasst, dass jemand nach meinem Kopf treten würde. Doch nichts passierte. Oben an Deck war der Teufel los. Die Menschen schrien und heulten. Sie hielten sich gegenseitig umklammert. Von der Mannschaft war weit und breit nichts zu sehen. Das Schiff war führerlos und das mitten im Sturm. Es bestand nicht nur die Gefahr, dass das marode Stück auseinanderbrechen konnte, es konnte auch jeden Moment kentern.
Diese Barkasse war den Fischerbooten meiner Heimat einigermaßen ähnlich. Ich hatte schon früh von meinem Vater gelernt, auch ein relativ kleines Boot durch hohe Wellen zu steuern. Ich kämpfte mich zu dem verwaisten Ruder durch und kam genau zur richtigen Sekunde an, denn gerade drohte die Barkasse sich seitwärts zu einer Welle zu drehen, was sie unweigerlich zum Kentern gebracht hätte.
Die Besatzung hatte schon vor Stunden, als der Sturm aufzog, das Schiff mit einem Schlauchboot mit starkem Außenborder verlassen. Die Komplizen, die sie auffischen würden, waren wohl längst informiert.
Ob wir das alles heil überstehen würden, konnte zu diesem Zeitpunkt keiner sagen. Ich suchte unter dem Steuer nach Rettungswesten. Zwei waren noch da – zwei für über 200 Menschen. Ich reichte eine an Iris, die andere an Mo.
›Und du?‹, fragte Iris entsetzt.
›Ich kann wenigstens schwimmen, und du?‹
Sie schüttelte den Kopf und auch Mo hatte nie schwimmen gelernt.
Es dämmerte langsam und noch immer kämpfte unsere tapfere kleine Barkasse gegen die Wellen an. Doch es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die See sich das kleine Schiff holen würde. Vielleicht waren wir ja schon ganz in der Nähe der italienischen Küste, vielleicht suchte auch schon ein Schiff der Küstenwache nach uns. Es gab viele Hoffnungen, an die ich mich klammern konnte, aber die Realität sah düster aus.
Es schien, als seien die Wellenberge kleiner geworden, doch so richtig war das in dem fahlen Licht nicht mehr zu erkennen. Es wurde immer schwerer nun gegen die Wellen zu fahren. Ich musste mich auf mein Gefühl verlassen. Noch immer war die Gefahr groß, dass das Schiff kentern würde, wenn wir quer zu Welle kommen sollten.
Inzwischen war ich völlig erschöpft. Es war Schwerstarbeit, das Boot mit der großen Ruderpinne auf Kurs zu halten. Mit einem Steuer wäre es wohl einfacher und weniger kräftezehrend gewesen. Trotz der Gischt, die immer wieder in mein Gesicht spritzte, trotz des ewigen Auf und Ab war ich so erschöpft, dass ich für einen Moment einnickte. In diesem Moment traf ein schwerer Brecher das Boot ein wenig schräg von der Seite. Ich wurde klatschnass. Gleichzeitig hörte ich den gellenden Schrei von Iris. Gerade hatte sie noch neben mir gesessen, doch der Platz war leer. Die Welle hatte sie über Bord gespült. Ich wollte umdrehen, wollte die Wasseroberfläche absuchen, doch inzwischen war es finstere Nacht. Ich hörte sie nicht schreien, sondern nur das Toben des Meeres. Sie war einfach verschwunden.
6. Kapitel
Es gibt noch freundliche Menschen, trotz des großen Elends.
Wieder herrschte Stille am Tisch. Keiner wagte es, das Wort an Souliman zu richten, dessen Blick jetzt wieder in einer unbestimmten Ferne haften blieb. Draußen wirbelten einige Schneeflocken durch die kalte Berliner Luft. Ein Handy klingelte. Es gehörte Mansur. Er zog es heraus und drückte den Anrufer weg, ohne überhaupt auf das Display geblickt zu haben. Etwa eine Stunde hatte er sich für die Geschichte von Souliman nehmen wollen. Nun saßen sie schon fast dreimal so lange hier zusammen. Keiner wagte es, an Aufbruch zu denken.
Souliman schüttelte sich, als wolle er für einen Moment die Vergangenheit loswerden, um sich gleich darauf wieder voll in sie zu stürzen.
Unser Boot sank nicht, obwohl ich in