1001 Tausendundeine Lüge. Evelyne Kern
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Ihr Mann erstattet Anzeige gegen sie wegen Diebstahl von Hausrat und Auto. Sie wird von der Polizei abgeholt und wie eine Verbrecherin behandelt. Ihr Schwiegervater behauptet, dass es sein Haus sei und Evelyne es nur gemietet hätte, obwohl sie alle Bankbelege vorlegen kann.
Viele Male wird sie vor Gericht gezerrt, bis die Scheidung ausgesprochen wird und obwohl sie ausdrücklich daraufhin weist, dass sie zwar auf Unterhalt, jedoch nicht auf ihr Eigentum verzichtet, schreibt man in die arabische Scheidungsurkunde, dass sie auf alles verzichtet.
Hinterher muss sie feststellen, dass nicht nur die Anwältin, zu der sie Vertrauen hatte, sondern auch der vereidigte Dolmetscher von der Familie bezahlt wurde. Zwei weitere Anwälte aus einer Nachbarstadt versuchen ihr Glück, aber auch diese können ihr letztendlich nicht helfen. Aber Evelyne gibt nicht auf. Sie schreibt an die Deutsche Botschaft, den Justizminister, den Innenminister und sogar an Ben Ali persönlich.
Niemand hilft ihr. Erst der vierte Anwalt hat Mitleid. Er ist ein korrekter Mann und reicht eine Zivilklage gegen Amor und seine Familie ein. Nach nochmals zwölf nervenaufreibenden Verhandlungen, die allesamt in arabischer Sprache abgehalten werden und für die sie jedes mal 120 Kilometer mit dem Bus, mit dem Taxi oder mit Freunden fahren muss, sofern die sich trauen, denn auch sie werden inzwischen massiv bedroht, ist sie am Ende ihrer Kräfte. Die letzte Verhandlung findet im November statt. Die Akte wird geschlossen, ihre Klage ohne Begründung abgewiesen. Sie bricht zusammen, rastet aus, schlägt ihrem Anwalt ins Gesicht und landet 10 Minuten später beim Staatsanwalt. Dem erzählt sie unter Tränen noch einmal ihre ganze Geschichte. Er verspricht ihr zu helfen – aber sie glaubt ihm kein Wort mehr – niemandem mehr.
Vierzehn Tage später verlässt sie völlig mittellos, gedemütigt und traumatisiert das Land und beginnt ihre Erlebnisse aufzuarbeiten, in dem sie „Sand in der Seele“ schreibt.
Aus rechtlichen Gründen muss sie allerdings alle Namen ändern. Aus Evelyne wird Sabrina.
Ein Jahr später führt sie ihren Prozess in Deutschland nach internationalem Recht weiter und gewinnt. Ihr Ex-Ehemann und sein Vater werden in Abwesenheit verurteilt, ihr das in das Haus investierte Geld zurückzuzahlen. Doch alle Versuche, das ihr zustehende Geld mittels eines Gerichtsvollziehers einzufordern, scheitert an der Tatsache, dass jeder Gerichtsvollzieher wiederum bestochen wird. Alle vollstreckbaren Ausfertigungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verlaufen im Sande und landen auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Schubladen. Bis heute sieht Evelyne keinen Cent. Ein vollstreckbares Urteil gilt in Tunesien 20 Jahre. Ein paar Jahre hat sie noch Zeit. Die Hoffnung, irgendwann ihr Recht zu bekommen, hat sie allerdings längst aufgegeben und behandelt ihre eigene Geschichte wie eine von den vielen hundert Beznessgeschichten auch.
*
Was ist Bezness?
Zunächst muss natürlich der Begriff erklärt werden. Bezness, ein Kunstwort, das seinen Ursprung in dem arabischen Film von Nouri Bouzid hat. Der tunesische Filmemacher beschrieb bereits 1978 die Anfänge des Bezness so: Herumlungernde Einheimische auf den Straßen und an den Stränden Tunesiens, die Ausschau nach europäischen Frauen hielten. Immer mit der leisen Hoffnung im Hinterkopf, eine von ihnen könnte sich in ihn verlieben und ihm schließlich das reiche Europa mit all seinen Vorzügen auf dem goldenen Teller präsentieren. (Siehe Quellennachweise)
Schon damals sahen viele junge Männer, die keine Möglichkeit hatten ihr Land zu verlassen, die europäische Frau als Mittel zum Zweck, als „Visum“ auf zwei Beinen, wie einige von ihnen es heute noch auszudrücken pflegen. Wenn sich hier auch noch das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden lässt, warum nicht? Eine Frau für körperliche Bedürfnisse (die eigenen Mädchen darf ein Moslem vor der Ehe nicht anrühren), ein angenehmes Leben durch ihr Geld und schließlich durch Heirat eine Aufenthaltserlaubnis für das Land, auf dem die Geldscheine ihrer Ansicht nach auf den Bäumen zu wachsen scheinen.
Durch die intensive Arbeit bei 1001Geschichte, die unaufhaltsame Verbreitung der „Wahren Geschichten“ und tausenden von Verlinkungen im Internet verbreitete sich der Begriff Bezness relativ schnell. Heute ist er im Sprachgebrauch vieler Medien und einschlägigen Foren zu finden.
Bezness findet aber nicht nur in Tunesien statt. Mittlerweile findet dieser Geschäftszweig, der im Grunde mafiöse Strukturen aufweist, in fast allen Urlaubsländern statt. Also in Tunesien, Ägypten, Marokko, der Türkei. In Kenia und Gambia, in Nigeria, auf Sri Lanka und vielen anderen Ländern.
Fragt man einen jungen Mann aus Nordafrika, der offensichtlich europäischen Frauen nachstellt, was er da treibt, so ist die Antwort: Ich mache Bezness! Gemeint ist Business. Das Geschäft mit den Gefühlen gutgläubiger Frauen oder auch manchmal Männern. Aber dazu später mehr.
In seiner Heimat ist ein Mann, der in Europa arbeitet, um die arme Familie zuhause zu unterstützen, ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Jeden Sommer kommt er mit dem, wenn auch oft für diesen Zweck geliehenem Auto, in die Heimat. Vollgepackt mit Geschenken und den wortreichsten Versprechungen, dass alles noch viel besser werde, wenn er erst mal die versprochene Jungfrau zwecks Heirat nach Europa holt und die Familie nachholen kann.
Die monatlichen Überweisungen des großen Bruders an die Mutter, die den Sohn in der Ferne ständig in den Himmel hebt, beflügeln dann auch die jüngeren männlichen Familienmitglieder, das Geschäft Bezness zu erlernen. Und wo könnten sie das besser, als auf der großen, weiten „Strandakademie“? Hier zeigen die Profis, wie man die reichen, europäischen Frauen erobert, die einem das alles ermöglichen, was sich der Beznesser erhofft.
In prahlerischen Erzählungen unter einheimischen Männern wird dann in den Cafés, wo man großzügig Tee und Cola spendiert, geschildert, was man sich im reichen Europa alles geschaffen hat und was man für eine tolle Position hat. Aus einem Lagerarbeiter wird ein Abteilungsleiter, aus einem Fensterputzer ein Teamleiter, aus einem Autowäscher ein Verkaufsleiter bei Mercedes, aus einem Hamburger-Bräter beim berühmten goldenenM ein Filialleiter der großen Kette. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, schließlich wissen die Menschen zuhause ja nicht, dass 800 Euro Brutto-Monatslohn in Deutschland ein sehr geringer Lohn ist. In Tunesien verdient ein Lehrer oder Polizist gerade mal 300 bis 400 Euro im Monat. Auch lernen sie, dass die deutsche Frau zuhause die Miete bezahlt, die oft höher ist als sein eigener Lohn. Auch wissen sie schnell, dass man in Deutschland die Frau nicht ernähren muss, wenn man nicht will. Eine deutsche Frau hat ein Helfersyndrom und überhaupt nichts dagegen, dass der Mann seinen Lohn für sich behält, ihn aber trotzdem mit ernährt. Man muss sie nur bei der Stange halten und auch ab und zu mal lieb zu ihr sein und ihr immer wieder vergewissern, dass man sie beschützt und immer zu ihr hält, auch wenn das orientalische Temperament manchmal Oberhand gewinnt. Eine deutsche Frau verzeiht schnell, wenn man die richtigen Worte findet.
Die Jungs lernen auch ganz schnell, dass man in Deutschland Geld vom Staat bekommt, wenn man nicht arbeiten will und dass der Staat auch die Arzt- und Krankenhauskosten bezahlt und dass man mit seiner Krankenversicherungskarte auch Gutes tun kann und die nicht versicherten illegalen Landsleute zum Arzt schicken kann. Die Deutschen sind zu gutgläubig. Sie merken das nicht – allerdings funktioniert das durch die neuen Karten mit Bild nicht mehr lange.
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